Direkt zum Inhalt wechseln

Chronik (1996 bis 2020)

Während des 8. Frankfurter Autorenforums für Kinder- und Jugendtheater im Dezember 1996 wurden der Deutsche Kindertheaterpreis und der Deutschen Jugendtheaterpreis zum ersten Mal vom Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ) verliehen. Seitdem sind mit den beiden Staatspreisen für dramatische Kinder- und Jugendliteratur alle zwei Jahre herausragende Stücke für Kinder und Jugendliche und ihre Autor*innen ausgezeichnet worden. Mit der Vergabe der Preise werden die Entwicklung der dramatischen Literatur für Kinder und Jugendliche gefördert und Standards für die literarische und dramaturgische Qualität von Stücken des zeitgenössischen Kinder- und Jugendtheaters gesetzt.

Die Konzeption für die Vergabe der Preise hat sich kontinuierlich verändert und ist den Erfordernissen in der Praxis angepasst worden. Nachdem die Preisträger*innen in den ersten Jahrgängen bereits vor der Preisverleihung bekannt waren, werden sie seit dem Jahrgang 2004 aus den drei Nominierten für jede Sparte ausgewählt und erst während der Verleihung bekannt gegeben. Das hat die festliche Veranstaltung spannender gemacht und Gelegenheit gegeben, mit der Nominierung mehr qualitätvolle und preisträchtige Stücke und ihre Autor*innen zu würdigen.

Zusätzlich zu der Auszeichnung der Preisträger*innen sind in den ersten Jahrgängen außerdem bis zu sechs Theater mit einer Aufführungsprämie für die Preisträger*innen-Stücke ausgezeichnet worden. Ab 2004 sind diese Prämien dann als Prämien zu einer Aufführung für ein theaterpädagogisches oder ein Konzept zur Stückentwicklung ausgeschrieben worden. Von 2008 bis 2012 sind die Prämien in drei Stipendien zum Deutschen Kindertheaterpreis umgewandelt worden, mit denen die Entstehung neuer und guter Stücke für das Kindertheater gefördert worden ist. Begleitend Ausschreibung für die Preise des Jahres 2016 hat das BMFSFJ erstmals einen Stückwettbewerb für Studierende des Szenischen Schreibens ausgeschrieben. Damit sollen Studierende des Szenischen Schreibens ermuntert werden, sich schon während ihrer Hochschulausbildung mit den Chancen und Möglichkeiten des Schreibens für junges Publikum aber auch mit den besonderen Heraus- und Anforderungen an Autor*innen des Kinder- und Jugendtheaters vertraut zu machen.

Anhand der vorliegenden Chronik zum Deutschen Kindertheaterpreis und zum Deutschen Jugendtheaterpreis lassen sich diese Entwicklungen der Preise und vor allem die Entwicklungslinien der Dramatik für Kinder und für Jugendliche seit 1996 nachvollziehen. Man kann sich über die bisherigen und die aktuellen Ausschreibungsbedingungen informieren, kann kurze Einschätzungen zu den einzelnen Jahrgängen nachlesen und man erhält einen Überblick über alle bisherigen Preisträger*innen und Nominierten.

Deutscher Kindertheaterpreis 2020 und Deutscher Jugendtheaterpreis 2020

(Online-Preisverleihung)

YouTube

Mit dem Laden des Videos akzeptieren Sie die Datenschutzerklärung von YouTube.
Mehr erfahren

Video laden

Videoreihe zur Preisverleihung 2022

Die Jury 2020

Die Mitglieder der Jury

Petra Fischer, freie Dramaturgin, Zürich (Schweiz)

Dr. Caroline Heinemann, Kulturwissenschaftlerin, Theatermacherin, Theater Kormoran, Hamburg

Stanislava Jević, Dramaturgin, Junges Schauspielhaus Hamburg

Thomas Stumpp, Mitarbeiter im Bereich Theater und Tanz des Goethe-Instituts, München

 Prof. Dr. Gerd Taube, Leiter des Kinder- und Jugendtheaterzentrums in der Bundesrepublik Deutschland, Frankfurt am Main

Das Fazit

Fazit der Jury

Das Theater für junges Publikum setzt sich wie eh und je mit aktuellen Themen der Gesellschaft auseinander und ist auf der Höhe der Zeit. Es zeigt damit auch, dass Kinder und Jugendliche in derselben Welt leben wie die Erwachsenen und von den Fragen unserer Zeit genauso betroffen sind. Interessant ist bei den in diesem Jahr vorgeschlagenen Theaterstücken, dass sie in sehr verschiedenen Welten unserer Wirklichkeit spielen. Damit sind nicht nur die Orte gemeint, sondern tatsächlich Welten, mit eigenen Gesetzen und Regeln, wie zum Beispiel die Fantasiewelten von Computerspielen, die Welt der Träume oder der Mythen und Märchen. Aber auch die Welten der Vergangenheit, der Gegenwart und der Zukunft stellen die Räume für die Geschichten der aktuellen Theaterstücke.

Eine andere Auffälligkeit ist die einfallsreich gestaltete Sprache in vielen Theatertexten. Oftmals ist es verdichtete Alltagssprache. Mal ist sie lyrisch, mal poetisch. Mal spielt sie mit den Worten, ist doppeldeutig oder bildhaft. Stücke für das Theater für junges Publikum sind Literatur und unverzichtbar für die Theaterpraxis.

Die Jury hats sin in ihren Diskussionen mit diesen Auffälligkeiten des diesjährigen Jahrgangs beschäftigt und selbstverständlich auch immer danach gefragt, ob sich die Texte mit gesellschaftlich relevanten Themen befassen.

Ein wesentliches Kriterien für die Jury war die sprachlich-literarische und die dramaturgische Qualität der Texte. Befragt wurde, ob die Texte unverwechselbar sind und die Autor*innen sie mit künstlerischer Konsequenz gestaltet haben.

Die Welthaltigkeit der Texte, ihre Komplexität und die Haltung der Autor*innen zu den jungen Zuschauer*innen und wie die sich in den Texten zeigt, waren weitere Kriterien für die Auswahl.

Besonders im Blick der Jury waren die Figuren, die daraufhin untersucht wurden, wer sie sind, welche Menschen mit diesen Figuren gezeigt und welche Rollenbilder repräsentiert werden. Im Hinblick auf das Theater stand im Fokus des Interesses der Jury, ob die Texte gute Dialoge enthalten und mit den Situationen das Theater vor künstlerische Herausforderungen für die Umsetzung auf der Bühne gestellt werden. Denn die Autor*innen schreiben für eine sehr lebendige und kreative Theaterpraxis und für ein anspruchsvolles junges Publikum.

Nominierte und Preisträger*innen für den Deutschen Kindertheaterpreis 2020

Preisträger Kindertheater: „Liebe Grüße“ … oder Wohin das Leben fällt (8+) von Theo Fransz | aus dem Niederländischen von Andreas Kluitmann | Theaterstückverlag Korn-Wimmer, München

Begründung der Jury:

Moritz’ Oma muss ins Heim. Sie braucht Pflege. Während sein Vater den Umzug organisiert, findet der zehnjährige Moritz alte Postkarten seiner Oma, mit denen er in das Jahr auf Zeitreise geht, in dem sein Vater ebenso alt war.

Theo Fransz erzählt dramaturgisch spannend eine berührende Familiengeschichte, in der sich das Trauma des nicht zurückkehrenden Vaters wiederholt. Moritz‘ Urgroßvater war im Krieg gefallen und sein Großvater immer auf Reisen, bis auch er bei einem Flugzeugabsturz ums Leben kam. In der Begegnung mit der vorhergehenden Generation begreift Moritz die Hintergründe seiner Familiengeschichte und erkennt woher die übergroße Fürsorge seines Vaters, wie auch die Schuldgefühle seiner Großmutter kommen.

Der Text handelt vom Übergang, vom Abschiednehmen und dem Trauma des vergeblichen Wartens. Der Autor zeigt mit dem raffinierten Spiel der poetischen Verschränkung beider Zeitebenen eine Realität, wie sie nur auf der Bühne stattfinden kann.

Ein dramaturgisch geschickt gebautes Stück, das mit magischem Realismus den Fragen nachgeht, warum die eigenen Eltern und Großeltern so sind, wie sie sind, wie sie das Leben geprägt hat und auf welche Weise sich das auf das Leben der Kinder auswirkt.

Werkbeschreibung:

Was wäre, wenn man seinem eigenen Vater als gleichaltrigen Kumpanen begegnen könnte? Was wäre, wenn die eigene, zunehmend demente Oma plötzlich als junge Frau vor einem stünde?Theo Fransz geht Fragen nach, wie bestimmte Ereignisse das Leben einer Kleinfamilie geprägt haben und welche Spuren man in seinem Leben hinterlässt.Vater Fabian, Sohn Moritz und (Groß)Mutter Mathilde begegnen sich in realen Szenen der Gegenwart sowie in imaginierten der Vergangenheit. Welche Spielregeln gibt es im Leben, und wie können bestimmte, verschwiegene Vereinbarungen ein junges Leben beeinflussen? Aus der Perspektive verschiedener Lebensabschnitte ist der Autor mit seinem Ensemble diesen Fragen nachgegangen.

Kurzbiografie:

Theo Fransz wurde 1958 in Vleuten de Meern in Holland geboren. Er studierte Schauspiel an der Theaterschule in Amsterdam und war anschließend als Theater- und Filmschauspieler tätig. Gemeinsam mit JanWillem van Kruyssen gründete er 1984 das MUZtheater, für das er als Schauspieler, Regisseur und Autorarbeitete und das er 2001 verließ. Seitdem ist er als freier Regisseur tätig und inszeniert zunehmend inDeutschland und der Schweiz, u.a. am Deutschen Schauspielhaus Hamburg, moks Bremen, DT Göttingen,Dschungel Wien, Jungen Schauspielhaus Zürich oder an der Schauburg München.

Wer nicht träumt, ist selbst ein Traum (8+) von Jens Raschke | Theaterstückverlag Korn-Wimmer, München

Begründung der Jury:

Ahlam träumt, also lebt sie. Das ist nicht selbstverständlich angesichts der Lebensgeschichte der Zwölfjährigen. Von wo sie aufwuchs, musste sie vor den Bomben fliehen, die die Lebensgrundlage ihrer Familie zerstörten. Sie musste früh lernen, für sich selbst einzustehen und sich zu behaupten.

Jens Raschke zieht uns gleich zu Beginn hinein in einen Traum, der sich als Alptraum entpuppt: Finn lebt den Alltag im Traum. So ist er nah bei Lucy, seiner verunglückten älteren Schwester. Sie ist ihm Ratgeberin für den Umgang mit ihren Eltern, die ebenso versuchen mit dem Verlust umzugehen. Lucy lebt in den Träumen ihrer Liebsten weiter. Wenn am Ende Finn nicht mehr selbst träumen kann, ist er inzwischen zum Traum von Ahlam geworden.

Starke, suchende, sich aktiv mit schwierigen Lebenssituationen auseinandersetzende Kinderfiguren macht der Autor zu Protagonisten der Geschichte. Sie weisen über die gängigen Bilder der Erwachsenen, wie Kinder sein sollten, hinaus und sind wichtige Identifikationsfiguren: ganz real, mit beiden Beinen das Leben erobernd.

Ein Traumspiel für Kinder, das für das Publikum immer wieder überraschende Einsichten bereithält. Nichts ist was es scheint. Vieles ist nur ein Traum, aber die Geschichten der Figuren sind wahr.

Werkbeschreibung:

Was geschieht mit den Hinterbliebenen, wenn ein geliebter Mensch von uns geht?Vor über einem Jahr ist Finns Schwester Lucy bei einem Unfall gestorben. Während Mama und Papa ungern das pinke Zimmer ihrer verstorbenen Tochter betreten, begibt sich Finn jede Nacht dorthin und träumt von Lucy und Gesprächen mit ihr. Die Träume, die er in diesem Zimmer hat, wirken lebendig und so ist sich Finn sicher, dass seine Schwester noch da ist. Ganz unerwartet erzählt Mama, dass sie des Öfteren ein Heim für Kinder, die ihre Eltern bei der Flucht verloren haben, besucht. Nun möchte sie eins dieser Kinder bei sich aufnehmen und in Lucys Zimmer schlafen lassen! Das ist nicht in Ordnung, nicht für Lucy, nicht für Finn. Dann ist das fremde Mädchen namens Ahlam plötzlich da und findet Lucys Tapete blöd. In der Nacht geht Finn wieder in das Zimmer – wo ist Lucy? Er findet nur Ahlam in Lucys großen Schrank. Die beiden erzählen von ihren Erlebnissen und Träumen. Der Name Ahlam bedeutet nämlich Traum – aber sie träumt nicht mehr. Nicht seitdem sie schreckliche Dinge durchlebt und ihre Familie verloren hat. So können einen nicht nur Träume, sondern auch Traumata verfolgen. Finn und das fremde Mädchen verbindet also mehr, als sie zunächst dachten.

Kurzbiografie:

Jens Raschke wurde 1970 geboren. Nach einem geisteswissenschaftlichen Studium arbeitete er mehrere Jahre lang als Dramaturg (Schauspielhaus Kiel, Theater am Neumarkt Zürich, Folkwang-Universität Essen u.a.), bevor er 2007/08 seine ersten eigenen Inszenierungen am Theater im Werftpark, dem Kinder- und Jugendtheater am Theater Kiel, vorlegte, wo bis 2013 ein rundes Dutzend weiterer Regiearbeiten folgte. Erste eigene Stücke entstanden sehr bald. Jens Raschke lebt und arbeitet in Kiel.

Wutschweiger (Woestzoeker) (8+) von Jan Sobrie und Raven Ruëll | aus dem Flämischen von Barbara Buri | Theaterstückverlag Korn-Wimmer, München

Begründung der Jury:

Wenn die Eltern ihren Job verlieren, die Familie in eine kleinere Wohnung ziehen muss und das Geld zum Notwendigsten nicht mehr reicht, dann sind meistens die Kinder die Leidtragenden und erfahren oft viele Ungerechtigkeiten. Mit Ebeneser und Sammy treffen sich zwei Kinder, denen die für andere selbstverständliche Teilhabe an der Gemeinschaft nicht mehr möglich ist.

Jan Sobrie und Raven Ruëll lassen in ihrem Stück ausschließlich die beiden Kinderfiguren zu Wort kommen. Sie erzählen aus ihrer Perspektive von ihren Erfahrungen und ihrem Gefühl der ohnmächtigen Wut gegen erlittenes Unrecht, wenn ihnen beispielsweise die Skifreizeit gestrichen wird, weil die Eltern das Geld nicht aufbringen können. Einer so kalten Gesellschaft erwehren sie sich schließlich durch ihr Protestschweigen. Für die Eltern, die nicht in der Lage sind, ihren Kindern Teilhabe zu ermöglichen, finden die Autoren ein starkes Bild: Sie schrumpfen, bis sie zuletzt fast gänzlich verschwinden, so wie in der realen Welt das Elternhaus bei jedem Umzug kleiner wird und am Ende, wie bei der bereits obdachlosen Sammy, ganz verloren geht.

Das Stück erzählt von zwei starken Figuren, denen ihre Freundschaft die Kraft gibt, sich auch in einem Leben voller Anstrengung und Schwierigkeiten mit Würde zu behaupten.

Werkbeschreibung:

„Willkommen im Club. Im ‘Du sitzt in der Scheiße-Club‘. So begrüßt Sammy den neuen Jungen Ebenezer auf der Straße in einem düsteren Wohnviertel. Sammy und Ebenezer kennen einander ‘vom Sehen’ aus der Schule. Ebenezer ist klug und kommt aus einer Bildungs-Familie; Sammy ist rau, lebhaft und hat Probleme mit dem Lernen und dem Sozialverhalten. Aber sie ist ehrlich: ‘Du bist komisch, und ich bin dick‘. Blitzschnell freunden die beiden sich an. Ebenezer war gezwungen, mit seinen Eltern in das armselige Hochhaus umzuziehen, wo Sammy auch wohnt. ‘Es ist nur für eine kurze Zeit‘ hat sein Vater gesagt, aber darüber lacht Sammy. ‘Das hat mein Vater auch gesagt‘. Die zwei Kinder erzählen einander ihre Geschichte: Eltern mit immer mehr Problemen, Entlassung, Zahlungs-Aufforderungen, Krach und Tränen, und irgendwann wurde alles kleiner und kleiner. In Ebenezers Leben ging es abwärts: was Luxus und Komfort anging, schrumpfte seine Welt zusammen, bis er keine Luft mehr bekam. Dies wird im Stück sehr anschaulich beschrieben, weil die Eltern im Verlauf ihres Deprivationsprozesses in den Augen des Kindes wörtlich schrumpfen, bis sie fast unsichtbar geworden sind. „Wir verstehen es auch nicht. Aber bei jedem Umschlag, den wir öffnen, schrumpfen wir ein bisschen … Miete, Elektrizität, Telefon, Wasser … alles wird zu teuer. In klaren Bildern erzählt auch Sammy ihre Lebensgeschichte. Wie ihr Vater seinen Job verlor, ihre Mutter starb, und dass sie nicht versteht, warum alles so läuft, wie es läuft. Sammy lebt mit einem Papa, der trinkt und von sich selbst sagt: ‘Ich existiere nicht mehr‘. Ein einsames Leben, das sie mit viel Energie und selbstgeschriebener Poesie zu bekämpfen versucht. Als klar wird, dass Sammy und Ebenezer nicht mit auf die Klassenfahrt, die Ski-Woche kommen dürfen, weil die Eltern die Kosten nicht tragen können, reagieren die Kinder zunächst mit Schmerz und Wut. Aber dann fassen sie den Entschluss, von nun an in der Schule nicht mehr zu sprechen. Das zeigt sich als ein effektives Machtmittel in der Klasse. Als aber ein Gedicht von Sammy vom Lehrer öffentlich verlesen und lächerlich gemacht wird, bricht sie ihr Schweigen und schreit ihren Schmerz heraus: Sie zählt auf, was sie alles im Leben vermissen muss, weil ‘wir es nicht bezahlen können‘. Ebenezer entdeckt erst jetzt, dass Sammy in Wirklichkeit nicht im Hochhaus, sondern mit ihrem Vater in einem Auto lebt; die Wohnung, in der er mittlerweile mit seinen Eltern wohnt, mussten Sammy und ihr Papa räumen, weil sie die Miete nicht mehr bezahlen konnten. Dennoch: Die Kinder sind Freunde fürs Leben; sie ziehen einander durch alle Probleme, obwohl es schmerzhaft klar ist, dass sie keine wirklichen Antworten auf die Herausforderungen dieses Daseins haben, dass sie keinen Halt finden in der Abwärts-Spirale, in der sie gefangen sind. Trotzdem scheint der Text zu sagen: Kämpfen hat schon Sinn! Und das machen sie auch.

Kurzbiografie Jan Sobrie:

Jan Sobrie wurde 1979 im belgischen Gent geboren. Er studierte Schauspiel an der Theaterschule RITS in Brüssel. Seit seinem Studienabschluss im Jahr 2002 arbeitet er als Schauspieler und schreibt Theaterstücke, in welchen er auch selbst spielt. 2006 wurde sein Stück TITUS für den Belgisch-niederländischen Theaterfestivalpreis nominiert, 2008 für den Deutschen Jugendtheaterpreis. Für REMEMBER ME und SHUT UP erhielt er 2010 und 2015 den Niederländisch-Deutschen Kinder- und Jugendtheaterpreis Kaas & Kappes.

Kurzbiografie Raven Ruëll:

Raven Ruëll wurde 1978 im belgischen Knokke geboren. Ruëll wuchs auf in Vorst/Forest, einer Gemeinde der zweisprachigen Region Brüssel und ging in die LIEP (Language Instruction Education Program) Schule in Ukkel. Weiterführende Schulen: Sint-Jan Berchmanscollege und Kunsthumaniora Brüssel, wo er sich mit Film, Tanz und Theater beschäftigte. Er studierte Theaterregie an der RITCS in Brüssel und schloss dort sein Studium 2001 ab. Seit 2001 unterrichtet Ruëll an der RITCS und seit 2006 am Konservatorium in Liège. Er ist Schauspieler, Autor und „inszeniert als Regisseur auf allen großen Theaterbühnen dieser Welt“ (www.insiderei.com). 2004 erhielt er für sein Stück STOKSIELALLEEN (auch Regie) folgende Preise: 1000 watts und Kaas & Kappes. Raven Ruëll lebt in Brüssel.

Lobende Erwähnung: Kommt eine Wolke (8+) von Jens Raschke | Theaterstückverlag Korn-Wimmer, München

Begründung der Jury:

Stine ist alt und wohnt mit ihren besten Freunden aus Kindertagen, Gonne und Fiete, im Haus hinterm Deich. Die beiden sind schon lange tot, aber vor ein paar Jahren zu Stine zurückgekommen und leben in ihrem Kopf weiter. Als Kinder waren sie bei Ebbe dem Wasser in der Bucht hinterhergelaufen und dann von der Flut überholt worden. Das ganze Dorf hatte vom Deich aus zugeschaut und nicht geholfen.

An diesem Wintertag schaut Stine nicht wieder tatenlos zu, als alle Leute auf dem Eis feiern und ein Unwetter heraufzieht. Kurzentschlossen zündet sie ihr Haus an, um die Feiernden zu warnen. Die Leute können sich in Sicherheit bringen. Und Stine wird in letzter Minute gerettet?

Jens Raschke hat eine alte Husumer Sage in theatrale Vorgänge übersetzt und eine Parabel über Menschlichkeit und Moral geschaffen. Obwohl Stine bei den Leuten im Dorf als verrückt gilt und sie ihr an diesem Wintertag zur Sicherheit sogar die Tür vernagelt haben, handelt sie selbstlos und bringt sich dabei in Gefahr. Die Geheimnisse der Figuren fordern die Kombinationslust des Publikums heraus und ihre Darstellung ist eine große Herausforderung für Schauspieler*innen.

Ein dichtes und spannendes Stück für Kinder über zeitlos existentielle Fragen von Schuld, Verlust, Trauer und Verantwortung.

Werkbeschreibung:

In einem kleinen Häuschen an der Nordsee lebt eine alte Frau namens Stine. Wie ihre Nachbarn glauben, bewohnt sie die Hütte allein, doch Stine ist sich der Gesellschaft ihrer beiden Kindheitsfreunde Fiete und Gonne sicher. Aus diesem Grund hält das ganze Dorf sie für wahnsinnig und fürchtet sich vor ihr …„An einem klirrend kalten Wintertag geschah es nun, dass die Bucht binnen kurzem zufror. Sofort machte sich das ganze Dorf auf die Beine, um auf dem Eis ein Fest zu feiern – alle, bis auf Stine. Die beobachtete lieber das bunte Treiben. Plötzlich entdeckte sie eine kleine Wolke, die aufs Ufer zuschwebte, und erkannte blitzschnell die Bedeutung: Schon in weniger als einer halben Stunde würde ein schwerer Sturm landeinwärts fegen und das Eis aufbrechen lassen, alle Dorfbewohner*innen in den eisigen Fluten ertrinken. Fieberhaft überlegte Stine, wie sie die Feiernden noch rechtzeitig warnen könnte und riss kurzentschlossen ein brennendes Holzscheit aus den Flammen ihres Herdes …

Kurzbiografie:

Jens Raschke wurde 1970 geboren. Nach einem geisteswissenschaftlichen Studium arbeitete er mehrere Jahre lang als Dramaturg (Schauspielhaus Kiel, Theater am Neumarkt Zürich, Folkwang-Universität Essen u.a.), bevor er 2007/08 seine ersten eigenen Inszenierungen am Theater im Werftpark, dem Kinder- und Jugendtheater am Theater Kiel, vorlegte, wo bis 2013 ein rundes Dutzend weiterer Regiearbeiten folgte. Erste eigene Stücke entstanden sehr bald. Jens Raschke lebt und arbeitet in Kiel.

Nominierte und Preisträger*innen für den Deutschen Jugendtheaterpreis 2020

Preisträger Jugendtheater: Rishi (Rishi) von Kees Roorda | aus dem Niederländischen von Alexandra Schmiedebach | Theaterstückverlag Korn-Wimmer, München

Begründung der Jury:

Am Anfang steht ein Richterspruch: Der wegen Mordes angeklagte Polizist, der den siebzehnjährigen Rishi bei einer Polizeiaktion auf dem Bahnsteig des Haager Bahnhofs erschossen hat, wird frei gesprochen. Er habe bei der Gewaltanwendung seine Befugnisse nicht überschritten, so urteilt das Gericht.

Im Weiteren öffnet das Stück die Ermittlungsakte: Aussagen von Zeugen, Tatbeteiligten, Freunden und Polizei-Kollegen werden ausgebreitet und ein Kaleidoskop der Perspektiven entfaltet. Das so gezeichnete Bild wird immer komplexer, dichter und fataler: Wieso hielt man Rishi fälschlicherweise für bewaffnet? Warum ist er vor den Polizisten weggelaufen?

Kees Roorda gelingt es, alle Perspektiven so schlüssig und nachvollziehbar anzulegen, dass den Zuschauern ein einfaches Urteil verwehrt bleibt. Er öffnet den Blick auf das Umfeld des Opfers und der Täter und kreiert trotz des ausschließlich erzählenden Gestus große Spannung. Rishi bekommt keine Stimme, das erzeugt eine Leerstelle, die dem Geschehen etwas schmerzhaft Exemplarisches verleiht.

Der Autor stellt ein politisch und gesellschaftlich hochaktuelles Thema in den Fokus seines Stücks, dessen kluge Konstruktion auf die Urteilsfähigkeit seines Publikums setzt und damit einen intensiven Nachhall erzeugt.

Werkbeschreibung:

Am Haager Bahnhof Hollands Spoor wird in den frühen Morgenstunden ein junger Mann mit Migrationshintergrund von einem Polizisten angeschossen und tödlich verwundet.Wie bei einer Anhörung vor Gericht kommen in diesem auf wahren Ereignissen beruhenden Stück Zeugen des Vorfalls sowie Freunde und Angehörige des Opfers zu Wort, die ihre Sicht auf den Tathergang und gesellschaftliche Missstände im Allgemeinen erörtern. Das Brisante daran: Das richterliche Urteil (ein Freispruch in allen Anklagepunkten) bildet den Anfang des Stückes. Alles, was die Geschehnisse dieses verhängnisvollen Morgens in einem anderen Licht dastehen lassen könnte, kommt also zu spät.Das hält den besten Freund, die Mutter, die Nachbarin und selbst den Todesschützen aber nicht davon ab, die Unschuld wahlweise des Opfers oder des Polizisten zu beteuern und den nach wie vor existierenden Rassismus der Behörden oder das viel zu seltene Training an der Waffe anzuprangern. Zwischen all diesen Stimmen schweigt nur einer unerträglich laut: der tote Rishi.Das Stück über den Tod von Rishi Chandrikasing zeigt den weiterhin bestehenden systemischen Rassismus und die Leichtigkeit auf, mit der die einzelnen Akteur:innen im Polizeiapparat die Verantwortung von sich selbst abwälzen konnten. Zu diesem Zweck führte der Autor Kees Roorda Interviews mit Hinterbliebenen und Freund:innen des Opfers und nahm Einsicht in die Protokolle der Polizeiverhöre.

Kurzbiografie:

Kees Roorda, geboren 1967, ist ein nie­der­­län­­di­scher Dra­ma­tiker und Re­gis­seur. Nach seiner schu­­li­schen Aus­bil­dung stu­dier­te er zu­nächst nie­der­­län­­di­sche Spra­che und Li­te­ra­tur, spä­ter Kunst und Kul­tur­­po­li­tik in NL-Gro­nin­gen. Wäh­rend die­ser Zeit ent­deck­te er sei­ne Lie­be für das The­a­ter, was ihn da­zu ver­an­lass­te, meh­re­re Re­gie- und Au­to­ren­­work­shops und -schu­len zu be­su­chen, un­ter an­de­rem bei Johan Simons am Jeker­studio in NL-Maas­tricht und DAS Theatre, die A­ka­de­mie für The­a­ter und Tanz an der Hoch­­schu­le der Kün­ste, NL-Ams­ter­dam, wo er 2001 mit ei­nem Ma­ster ab­schloss. Er ist Mit­be­grün­der des in­ter­­dis­zi­pli­­nä­ren The­a­ter­kol­lekt­ivs The Glasshouse und lebt in NL-Ams­ter­dam.

Absprung (Spun) (14+) von Rabiah Hussain | aus dem Englischen von Cornelia Enger | henschel SCHAUSPIEL Theaterverlag, Berlin

Begründung der Jury:

Die Autorin erzählt die Geschichte von Safa und Aisha, zwei unzertrennlichen Freundinnen mit pakistanischen Wurzeln aus East London, die sich an der Schwelle zum Erwachsenwerden auseinanderleben: Safa ist in der Probezeit bei einer Marketingagentur im Stadtzentrum und passt sich immer mehr der weißen Mehrheitsgesellschaft an. Aisha geht als Praktikantin an ihre alte „Ghetto“-Schule zurück.

Der Terroranschlag von 2005 spaltet nicht nur die Londoner Gesellschaft, sondern auch die Freundinnen. Angst, Scham und Schuldzuweisungen bestimmen die Atmosphäre. Und während Safa sich anzupassen versucht, entscheidet sich Aisha dafür, ein Kopftuch zu tragen und Lehrerin zu werden, um junge muslimische Mädchen zur Selbstbestimmung zu ermächtigen. Doch weder der einen noch der anderen gelingt es, in der von Vorurteilen, Rassismus und Hass geprägten Gesellschaft ihre Identität zu behaupten.

Mit pointierten Dialogen entwirft Rabiah Hussain individuelle Charaktere fern von Klischees. Die parallel montierten Erzählpassagen der beiden Figuren verweisen auf die Parallelgesellschaften in den heutigen Großstädten Europas.

Ein dramaturgisch klug konstruiertes Jugendtheaterstück, das ein überzeugendes und bitteres Portrait postmigrantischer Realität zeichnet.

Werkbeschreibung:

Safa und Aisha sind zwei junge Londonerinnen und unzertrennliche Freundinnnen. Doch jetzt ist die Schule vorbei und zum ersten Mal trennen sich ihre Wege. Safa arbeitet in einer Marketingagentur im Stadtzentrum, Aisha unterrichtet an der Schule in ihrem Viertel.Als ein Terroranschlag die Stadt erschüttert, werden sie mit Rassismus, Vorurteilen und Ängsten konfrontiert. Während Safa alles tut, um zur elitären Geschäftswelt dazuzugehören, entwickelt Aisha Stolz auf ihre islamische Herkunft. Das stellt nicht nur das Selbstverständnis der jungen Frauen auf die Probe, sondern auch ihre Freundschaft.

Kurzbiografie:

Rabiah Hussain ist Theaterautorin und lebt in London. Sie arbeitet an einem Werkauftrag für das Londoner Royal Court Theatre und hat ein Kudos TV Fellowship 2019, in dessen Rahmen sie mehrere TV Projekte entwickelt.Rabiahs Debutstück, ABSRUNG (SPUN), hatte im Juli 2018 am Arcola Theater seine erfolgreiche Premiere. Rabiah ist ein Mitglied im BBC Drama Room 2018. ​Rabiahs Kurzstücke und Monologe wurden an mehreren Theatern inszeniert (The Bunker Theatre, RADA, Bechdel Theatre, Take Back Theatre und Three Pegs Productions). Sie war Storyteller während des Battersea Art Centres London Migrant Stories Festival und Teil des What Keeps You Awake At Night Filmprojekts.​Als Performerin präsentierte Rabiah Hussain ihre Lyrik auf verschiedenen Bühnen, wie The Rich Mix, The Space Arts Centre, The Lost Theatre und Brixton BookJam und ihre Arbeiten sind in einer Anthologie von The Asian Writer veröffentlicht. Rabiah Hussain ist eine Absolventin des Autorenprogramms des Criterion Theatre, Royal Court Theatre und Kali Theatre

Freie Wahl von Esther Rölz | Theaterstückverlag Korn-Wimmer, München

Begründung der Jury:

Es herrscht Notstand – in der Gesellschaft nach der letzten Wahl, nach einem Terroranschlag, nach der Geiselnahme, im Inneren von Menschen. Denise, Tochter einer inhaftierten Dozentin, die mit dem Täter des Anschlags liiert ist, nimmt ihren früheren Lehrer gefangen, um ihn zur Herausgabe von entlastenden Dokumenten zu zwingen. Bruno, verheiratet mit einer Politikerin der Regierungspartei, trägt die Dokumente versteckt bei sich.

Immer wieder nimmt das Geschehen neue Wendungen. Was wie ein Krimi beginnt, entfaltet sich zu einem Gesellschaftspanorama: Die widersprüchliche, undurchschaubare und banale Welt in ein Klassenzimmer gezwängt, eingeschlossen wie die beiden Figuren. Die Autorin spielt mit den verschiedenen sozialen Rollen der Figuren: Alt und Jung, Mann und Frau, Lehrer und Schülerin, werdender Vater und sich abnabelnde Tochter, Geisel und Kidnapperin. Die komplexen Figuren spiegeln die Komplexität der Ereignisse. Und das Publikum wird vom musikalisch-rhythmisch komponierten Text hin- und hergerissen zwischen Mitgefühl, Abwehr, Solidarisierung und Distanzierung, zwischen Verständnis und Irritation.

Das Stück, geradezu hellsichtig bereits 2018 geschrieben, gewinnt Tag für Tag an Aktualität. Nimmt es die Zukunft vorweg oder gibt es noch eine „freie Wahl“?

Werkbeschreibung:

Eine unangemeldete Demonstration bringt ein ungleiches Paar zusammen: Auf der Flucht vor der Polizei schließt sich die Schulabbrecherin Denise im Lehrerzimmer ihres ehemaligen Gymnasiums ein, wo sie auf ihren alten Geschichtslehrer Bruno trifft.Ein (Streit-)Gespräch entwickelt sich, in dessen Verlauf schnell klar wird, dass die beiden mehr verbindet, als es auf den ersten Blick scheint. Denises inhaftierte Mutter (eine Hochschulprofessorin unter Terrorverdacht), deren junger Geliebter und ein politisch motivierter Bombenanschlag mit neun Toten – Denise ahnt, dass ihr früherer Lehrer, dessen Frau für den Innenminister arbeitet, mehr über die Zusammenhänge weiß, als er zugeben will.Kommentiert, eingeordnet, aus einem distanzierteren Blickwinkel betrachtet wird dieses Ringen um Wahrheit, Gerechtigkeit und Deutungshoheit von einem immateriellen Chor, der zwischen den einzelnen Szenen den Hergang des Dialogs unterbricht.

Kurzbiografie:

Esther Rölz wurde 1973 in München geboren und spielte bereits als Kind Hauptrollen in diversen Fernsehproduktionen. Nach dem Abitur machte sie jedoch zunächst eine Ausbildung zur Filmcutterin, bevor sie ab 1996 am Mozarteum in Salzburg Schauspiel studierte. Erste Engagements führten sie ans Nationaltheater Weimar und die Städtischen Bühnen Wuppertal. Seit 2005 arbeitet Esther Rölz als freischaffende Schauspielerin und schreibt darüber hinaus Jugendtheaterstücke. Ihr Debüt „Federspiel“ wurde 2006/07 mit dem Autorenpreis der Landesbühnen Sachsen ausgezeichnet, ihr zweites Stück, „Rattenklatschen“, mit dem dm-Autorenpreis 2008. Für ihr Stück „4YourEyesOnly“ erhielt Esther Rölz 2013 den Niederländisch-Deutschen Kinder- und Jugendtheaterpreis Kaas & Kappes. Ihr Zweipersonenstück „Freie Wahl“ wurde in der Spielzeit 2019/20 am Theater der Altmark in Stendal uraufgeführt.

Sonderpreise zum Deutschen Kindertheaterpreis 2020 und zum Deutschen Jugendtheaterpreis 2020

Bis sie verschwinden im reifen Weizen (14+) von Katharina Kern | Studiengang Literarisches Schreiben an der Universität Leipzig

Begründung der Jury:

Irgendwo in der Provinz an einem namenlosen Ort. Kim und Luca sind von klein auf immer zusammen. Während Kim in der Schule immer mehr ausgegrenzt wird, vor allem von Alex, fühlt sich Luca immer mehr zu Alex hingezogen. Luca führt Alex sogar zu dem Turm, der für Kim bisher immer ein gemeinsamer geheimer Ort war. Eine schwierige Dreiecksgeschichte nimmt ihren Lauf und spitzt sich mehr und mehr zu.

Luca springt vom Turm und liegt auf der Intensivstation. Alex verprügelt Kim und verschwindet im reifen Weizen. Kim kommt auf eine andere Schule. Und Luca liegt noch immer auf der Intensivstation. Lehrer*innen und Eltern bleiben ratlos zurück.

Katharina Kern erzählt einfühlsam und talentiert von den vielen Facetten und Problemen der Adoleszenz: Unsicherheit, Eifersucht, Mobbing, Liebe und Freundschaft. Alle drei Figuren gewinnen in den subtilen Dialogen und Monologen eine feine Kontur. Dabei gelingt der jungen Autorin das wegweisende Kunststück, überzeugend von Liebe und Beziehungen zu erzählen, ohne dass die Geschlechtsidentität der Figuren eindeutig bestimmbar wäre.

Kill Baby (14+) von Ivana Sokola | Studiengang Szenisches Schreiben an der Universität der Künste Berlin

Begründung der Jury:

Kitti, Viki, Sugar, drei Generationen in einer Hochhaussiedlung. Die Monologe der drei kreisen um Liebschaften, Mutterschaft und Kindheit. Kitti ist 17 und schwanger. Viki und Sugar haben Erfahrungen im Kinderkriegen und Großziehen. Sie wollen helfen, wenn das Baby da sein wird. Kitti aber kann und will sich nicht mit ihrer zukünftigen Rolle als Mutter abfinden.

Das Stück ist nicht eindeutig. Die erste Lesart ist die tragische: Der Text umspannt die Fallhöhe von 23 Metern. Vom 10. Stock bis ganz unten. Das Baby wird gekillt durch Kittis Selbstmord. Man hofft inständig, sie möge sich anders entscheiden. Dabei fällt sie schon.

Die zweite Lesart ist die trostlose: Kitty stellt sich ihren Sturz nur vor, entscheidet sich aber dennoch für eine Abtreibung. Wie man es auch dreht, das Baby wird gekillt. Und wie man es auch liest: Ivana Sokola erzählt nicht auf geradem Wege, sondern erfindet eine poetische Struktur, die die Brutalität des Vorgangs nicht verschleiert, sondern verstärkt.

Ein eindrucksvolles atmosphärisch dichtes Stück, das junges Publikum emotional herausfordert, sich selbst einen Reim auf das Erzählte zu machen.

Aschewolken (13+) von Lisa Wentz |

Begründung der Jury:

Es ist Nacht. Michael stiehlt sich durchs Fenster aus Mathés Zimmer – da steht plötzlich Laura vor dem Haus und droht, ihn zu verpetzen. Dabei hatte Michael alles so gut geplant: heute Nacht wird er 16, in den frühen Morgenstunden will er nach Bukarest abhauen und ein Denkmal hinterlassen, um an Mathé zu erinnern. Mathé, seinen Freund, der vor kurzem gestorben ist.

Laura war auch mit Mathé befreundet, nur anders als Michael. Sie beschließt, ihn auf seinem Streifzug durch die Stadt zu folgen – gegen seinen Willen. Doch dann entsteht eine Komplizenschaft auf Zeit zwischen den beiden Figuren. Sie brechen gemeinsam in die Schule ein, sprayen Graffiti und nehmen Abschied. Beide sind Außenseiter in der Schule und für beide war Mathé eine Art Bindeglied zur Welt der Anderen. Am Ende der Nacht begleitet Laura Michael zum Bahnhof – und er steigt in den Zug nach Bukarest.

Lisa Wentz lässt die Zuschauer*innen zu Zeugen einer ungewöhnlichen nächtlichen Begegnung werden und konzentriert die Handlung auf wenige Stunden. Trotz dieser gezielten Verknappung gelingt es ihr, zwei glaubhafte und kraftvolle Figuren zu entwickeln und eine berührende Geschichte über Freundschaft zu erzählen.


Deutscher Kindertheaterpreis 2018 und Deutscher Jugendtheaterpreis 2018

  • Foto Karin Berneburg
  • Foto Karin Berneburg
  • Foto Karin Berneburg
  • Foto Karin Berneburg
  • Foto Karin Berneburg
  • Foto Karin Berneburg
  • Foto Karin Berneburg

Die Jury 2018

Die Mitglieder der Jury

Viktoria Klawitter, Stellvertretende Leiterin und Dramaturgin Junges Theater Heidelberg

Christoph Macha, Dramaturg am tjg. theater junge generation, Dresden

Karola Marsch, Leiterin Dramaturgie / Theaterpädagogik am THEATER AN DER PARKAUE, Junges Staatstheater Berlin

Thomas Stumpp, Mitarbeiter im Bereich Theater und Tanz des Goethe-Instituts, München

Prof. Dr. Gerd Taube, Leiter des Kinder- und Jugendtheaterzentrums in der Bundesrepublik Deutschland, Frankfurt am Main

Das Fazit der Jury

Für die Preise des Jahrgangs 2018 wurden 144 Stücke vorgeschlagen, fast ein Drittel mehr als 2016. Aber gestiegene Quantität geht nicht automatisch mit höherer Qualität einher. Manchen Texten mangelt es an literarischer Qualität und Originalität. Das trifft vor allem auf Stückentwicklungen zu, bei denen der im Ensemble erarbeitete Text verschriftlicht wurde. Besonders bei solchen Texten hat sich gezeigt, wie unverzichtbar die Autor*innen für die Theaterpraxis und die Repertoirebildung des Theaters für junges Publikum sind.

Dieser Befund spricht für Förderprogramme wie Nah dran! Neue Texte für das Kindertheater, das seit 2009 vom KJTZ in Kooperation mit dem Deutschen Literaturfonds durchgeführt wird und die Kooperation von Theatern und Autor*innen in Stückentwicklungsprozessen unterstützt. Das KJTZ hat mit der Weiterentwicklung dieses Programms in den letzten 9 Jahren konsequent den Paradigmenwechsel von der individuellen Autor*innenförderung zur Förderung von Literatur und den literarischen Prozessen des Schreibens von dramatischer Kinder- und Jugendliteratur vollzogen.

Dass die Begegnung von Autor*innen mit der Theaterpraxis auch weiterhin dringend notwendig ist, zeigt eine weitere Beobachtung der Jury. Nicht allen Texten ist anzumerken, dass sie in Kenntnis von und mit Verständnis für ästhetische Konzepte und performative Möglichkeiten der gegenwärtigen Theaterpraxis geschrieben wurden. Ausführliche Regieanweisungen und überproportionaler Nebentext beispielsweise, engen die literarische Vieldeutigkeit solcher Theatertexte auf die Eindeutigkeit der Regie-Ideen der Autorin oder des Autors ein. Ein Leitkriterium für die Jury-Entscheidungen war daher, das Potenzial der Texte für die Bühne, das sich in profunden Spielanlässen, spannungsvollen und differenzierten Figurenbeziehungen sowie Erzählweisen, die das Denken des jungen Publikums anregen können äußert. Gesucht wurden Texte, die dem Theater Angebote machen, es herausfordern und denen anzumerken ist, dass die Autor*innen eine Vorstellung von den Erfordernissen und den Möglichkeiten des Theaters haben.

Ein weiteres wichtiges Kriterium war die Frage nach der Welthaltigkeit der Texte. Der Jury ging es um Stücke mit Themen, die nicht nur heute aktuell sind, sondern auch in Zukunft relevant sein werden. Dabei war nicht überraschend, dass, als Reflex auf die Migration in Europa und der Welt, Fluchtgeschichten und das Thema Flucht häufiger in den Texten zu finden sind, als früher. Leider gelingt es nicht allen Autor*innen solcher Stücke über die emotionale Betroffenheit des Publikums und einen appellatorischen Effekt hinaus, auch poetische Wirkung zu entfalten.

Das Thema einer vielfältigen Gesellschaft ist in den Stücken ebenfalls allgegenwärtig. Ob direkt thematisiert oder selbstverständliche Grundlage der Geschichte: die Gesellschaft ist divers, daraus ergeben sich Konflikte, die im Zusammenspiel der diversitätssensibel gestalteten Figuren verhandelt werden. In Bezug auf Gendersensibilität war zu beobachten, dass wieder verstärkt Mädchen als Protagonistinnen der Stücke für junges Publikum auftauchen. Aber auch überkommene Geschlechterklischees finden sich weiterhin in den Theatertexten.

Nicht nur auf die Genderthematik bezogen, hat die Jury immer wieder darüber diskutiert, ob bestimmte Figuren Klischees oder Stereotype sind und wie aus dem Einzelschicksal einer Figur ein verallgemeinerbares Beispiel werden kann? In eher konventionell gebauten Stücken, vor allem des Kindertheaters, sind die Figuren oft oberflächlich gestaltet. Es ist ihnen anzumerken, dass ihre Funktion im Transfer von Informationen, Wissen und Handlungsempfehlungen liegt und sie weniger eine dramaturgische, als eine erklärende Funktion haben. Solche Kindertheaterstücke haben nicht nur die Jury unterfordert, sondern trauen auch ihrem jungen Publikum nicht zu, sich mit komplexen Geschehnissen und differenziert gestalteten Figuren auseinanderzusetzen.

Überrascht hat die Jury, wie in einigen Stücken die digitalisierte Lebenswelt von Kindern und Jugendlichen dargestellt wird. Das digitale Leben, insbesondere das Internet und die sozialen Medien, werden in den Stücken durchweg als Bedrohung dargestellt. Cyber-Mobbing Stücke orientieren sich beispielsweise an hinlänglich bekannten Plotkonstruktionen des analogen Zeitalters. Die besonderen Möglichkeiten der Kommunikation und Interaktion in sozialen Netzwerken werden ausschließlich in ihren negativen Auswirkungen thematisiert. Dramaturgisch äußert sich das in der Angst der Figuren vor der anonymen Bedrohung aus dem Netz und der damit verbundenen, mehr oder weniger unverhohlenen Botschaft an die jungen Zuschauer*innen, Vorsicht im Umgang mit dem Internet walten zu lassen.

Damit stellt sich die Frage, ob wir das Theater für junges Publikum ausschließlich als Aufklärungsinstrument begreifen und daher klare Botschaften formulieren wollen oder als einen Raum, in dem der Selbstermächtigung der jungen Zuschauer*innen künstlerischer Rahmen gegeben wird. Die Jury hätte jedenfalls gern Stücke gelesen, in denen etwas von dem Spaß und der Kreativität erzählt wird, mit dem die junge Generation die digitale Technik nutzt und zu einem wesentlichen Teil ihres Lebens macht.

Nominierte und Preisträger*innen für den Deutschen Kindertheaterpreis 2018

Preisträger Kindertheater: Die Zertrennlichen (Les séparables) (9+) von Fabrice Melquiot | aus dem Französischen von Leyla-Claire Rabih und Frank Weigand | Felix Bloch Erben Verlag für Bühne Film und Funk, Berlin

Begründung der Jury:

Romain und Sabah wohnen einander genau gegenüber. Er sieht, wenn sie sich in eine Sioux verwandelt, sie sieht, wie er sein Schaukelpferd reitet. Manchmal schickt ihre Mutter sie hinüber, um dem wilden Jungen Makrouts zu bringen. Doch Romains Eltern werfen das Gebäck kurzerhand in den Müll, weil das orientalische Zeug zu schwer im Magen liege. Wie reagieren die Kinder, was denken sie? Werden sie sich in ihrer Freundschaft, ihrer ersten, zarten Liebe von den Eltern aufhalten lassen? Die geheimnisvolle Erscheinung eines Hirsches im Dickicht vor der Stadt hat sie zueinander gebracht. Mit dieser mythischen Ebene verschafft der Autor den beiden Figuren einen eigenen Raum, in dem sie sich selbst erkennen und erproben können und damit fähig werden, zu ihrer eigenen Liebe, ihrem Sein zu finden. Während sie von dieser neuen Erfahrung euphorisiert sind, geraten ihre Väter handgreiflich aneinander. Sabahs Familie verlässt daraufhin das Viertel. Sie sehen sich nie wieder. Erst nach vielen Jahren offenbart sich ihre ureigene und besondere Verbindung aus dieser ersten gemeinsamen Zeit.

Ein vielschichtiges Liebesdrama zweier Kinder aus verschiedenen Welten, in dem die Eltern versuchen, ihren Alltagsrassismus auf ihre Kinder zu übertragen, obwohl die sich in inniger Freundschaft zugetan sind.

Werkbeschreibung:

Neun Jahre alt und irgendwie verliebt. Sabah und Romain kommen aus verschiedenen Welten, aber wohnen einander direkt gegenüber. Romain reitet auf dem Schaukelpferd über die Steppe seiner Imagination, während Sabah als arabische Indianerin mit Federn im Haar detektivisch genau das Verhalten der Hochhausbewohner beobachtet. Inmitten einer ignoranten Erwachsenenwelt sind beide mit ihren Träumen allein. Ein gemeinsamer Ausflug in den angrenzenden Wald wird zum Beginn einer sorglosen und tiefen Freundschaft. Sie sind Liebende und Gefährten, sehr zum Missfallen der eigenen Eltern, die wegen ihrer Vorurteile und durch gegenseitige Provokationen der jungen Beziehung ein brutales Ende setzen. Erst Jahre später versucht Romain, inzwischen erwachsen, Sabah wiederzufinden. Die Zertrennlichen ist viel mehr als ein Stück über interkulturelle Verständigung: Es ist die berührende Geschichte einer Annäherung über alle Ressentiments und Rückschläge hinweg.

Kurzbiografie:

Fabrice Melquiot wurde 1972 geboren. Er arbeitet als Theaterautor, Regisseur, Lyriker und Übersetzer. Als ausgebildeter Schauspieler ist er zunächst Mitglied der Compagnie Théâtre des Millefontaines um den Regisseur Emmanuel Demarcy-Mota, verfasst aber bereits seit 1998 Kinder- und Jugendstücke. Ab 2002 ist er Hausautor an der Comédie de Reims, dem Théâtre de la Ville, Paris und den Scènes du Jura. 2008 wird ihm der Prix du Jeune Théâtre de l’Académie française für sein Gesamtwerk verliehen, welches bislang ca. 50 Stücke für Kinder und Erwachsene umfasst. Fabrice Melquiot ist außerdem Mitbegründer des Autorenkollektivs La Coopérative d’Écriture. Seit der Spielzeit 2012/2013 leitet er das Kinder- und Jugendtheater „Am Stram Gram“ in Genf. 2004 produzierte SR2 KulturRadio das Hörspiel „Der Gesichtswäscher“, 2015 „Als ich Charles war“ (zusammen mit Deutschlandradio Kultur), das zuvor beim Primeurs-Festival gezeigt wurde. 2016 wurde sein Stück „Schwanengesänge“ ebenfalls auf dem Primeurs-Festival gezeigt und erhielt den Primeurs-Autorenpreis 2016 für frankophone Dramatik. „Die Zertrennlichen“ gewannen im Herbst 2018 den Grand Prix de Littérature dramatique Jeunesse und den Deutschen Kindertheaterpreis.

Windmühlen. Die merkwürdige Reise der Familie Müller nach Unmikistan (Mullinjët e erës - Një udhëtim i çuditshëm i familjes Müller në Unmikistan) (10+) von Jeton Neziraj | aus dem Albanischen von Zuzana Finger | S. Fischer Verlag Theater & Medien, Frankfurt am Main

Begründung der Jury:

Herr Müller baut Windmühlen im Auftrag der EU, um die Energieversorgung in dem fiktiven Staat Unmikistan zu stabilisieren. Er wohnt mit seiner Familie im gesicherten Diplomatenviertel der Hauptstadt des fremden Landes, getrennt von der heimischen Bevölkerung. Doch die neugierige Tochter Gisela bricht aus und freundet sich mit dem Jungen Dani an. Beide werden von der Fee Cinderella und dem Waldgeist Muja begleitet, die sich auf surreale Weise in die Handlung einmischen. Diese Märchenfiguren sind Projektionen von Ängsten und Vorurteilen und spiegeln die kulturelle Sozialisation der Kinder. Die große Überraschung für die westliche Familie ist letztlich, dass die Entdeckung des fremden Landes weitaus weniger abenteuerlich ist, als es sich alle vorgestellt haben. Die fremden Menschen sind sogar freundlicher und empathischer als daheim. Die westlichen Entwicklungshelfer sind satirisch überzeichnete Kunstfiguren, die sich übertrieben gegen die vermeintlichen Gefahren der Fremde wappnen. Der Autor lässt die Klischeevorstellungen seiner Figuren plakativ und überspitzt aufeinander treffen und zeigt damit die Lächerlichkeit von Ängsten vor dem Fremden.

Ein eigenwilliges Kinderstück über die Angst vor dem Unbekannten, das konsequent und mit Komik die Skurrilität von Vorurteilen entlarvt.

Werkbeschreibung:

Herr Müller wird versetzt in das wundersame und windige Land Unmikistan. Denn Herr Müller baut großartige Windmühlen und soll mit seiner Technik das arme Land erleuchten. Also ziehen die Müllers mit Tochter Gisela und ihrer heimlichen Freundin Cinderella um in die Hauptstadt Skipetaristan, die voller scheinbarer Gefahren ist. Zu Dani, der Glas essen kann und Gisela in den Stadtteil der sprechenden Tiere führt. Und zu Muja, der so stark ist, das er auch mal Berge versetzt. Nur leider gefällt das Giselas Eltern gar nicht. Als dann der Wind ausgerechnet immer aus der falschen Richtung weht und die Windmühlen sich partout nicht drehen wollen, kann nur noch ein Wunder helfen. Aber davon gibt es zum Glück so einige in Unmikistan.

Kurzbiografie:

Jeton Neziraj, geboren 1977 in Kaçanic im Kosovo, hat Theater an der Universität von Priština studiert und gelehrt. Seine Theaterstücke sind in zahlreiche Sprachen übersetzt und wurden im Kosovo, im europäischen Ausland sowie in den USA gespielt. Nachdem er jahrelang als künstlerischer Leiter des Nationaltheaters Kosovo tätig war, leitet er heute das von ihm gegründete Quendra Multimedia Zentrum in Priština, das sich dem zeitgenössischen Theater widmet.

Die Biene im Kopf (7+) von Roland Schimmelpfennig | S. Fischer Verlag Theater & Medien, Frankfurt am Main

Begründung der Jury:

Morgens, noch bevor er aufstehen muss, entflieht der Junge ein letztes Mal in einen Traum. Er fliegt als Biene durchs Zimmer, aus dem Fenster, in die Welt. Aber das Leben besteht aus Schultagen. Und der Morgen zuhause ist ein Parcours, bei dem er seine schlafenden arbeitslosen Eltern nicht wecken darf. Der Junge geht durch seinen Alltag wie ein Avatar durch ein Computerspiel. Jeder Tagesabschnitt ein Level, das bewältigt werden muss: Der Schulweg, Unterricht und Pausen, abends Ravioli aus der Dose. Das letzte Level ist das schwierigste: Einschlafen, ohne dass jemand „Gute Nacht“ sagt. Zur Ermutigung steht ihm jedoch seine Bienenkönigin zur Seite. Und der nächste Morgen beginnt wieder mit dem Bienenflug und der Hoffnung, erneut alle Levels zu bewältigen. In seinem ersten Stück für Kinder lässt der Autor den Protagonisten nicht selbst auftreten. Stattdessen gewähren drei namenlose Figuren mit unterschiedlicher Perspektive einen Blick in sein Inneres. Mit ihren Dialogen erzeugen sie den Eindruck eines fortwährenden inneren Monologs. Mit schnellem Wortwechsel und kurzen Repliken gewinnt der Text an Dynamik und Energie.

Ein eindrucksvoller Theatertext für Kinder über einen Jungen, der seinem prekären Alltag im Spiel mit der Leichtigkeit einer Biene gegenübertritt und dabei seine Stärken findet.

Werkbeschreibung:

In der Schule wirst du gemobbt, die Eltern kümmern sich nicht um Dich, du bist sehr oft auf dich allein gestellt. Heute morgen ist alles anders, alles schön. Du wachst auf, und die Sonne scheint. Du merkst, dass Du fliegen kannst wie eine Biene. Und das tust Du auch. Fliegst aus dem Kinderzimmer hinaus in den Sommerhimmel – mitten hinein in eine rote, dicke Blüte. Herrlich. Doch plötzlich alles weg. Denn jetzt kommt Level 2! Du musst es rechtzeitig in die Schule schaffen. Allein anziehen. Allein frühstücken. Bloß nicht die Eltern wecken. Und als Du es fast geschafft hast, stolperst Du über eine leere Bierflasche. Der Vater beginnt zu brüllen und dann die Mutter. Jetzt renn so schnell Du kannst! Haustür auf und Haustür zu. Geschafft. Du bist in Level 3. Schule. Ist denn das ganze Leben nur ein Spiel? Und wenn ja, was gibt es zu gewinnen?

Kurzbiografie:

Roland Schimmelpfennig, geboren 1967, ist einer der meistgespielten Gegenwartsdramatiker Deutschlands. Er hat als Journalist in Istanbul gearbeitet und war nach dem Regiestudium an der Otto-Falckenberg-Schule an den Münchner Kammerspielen engagiert. Seit 1996 arbeitet Roland Schimmelpfennig als freier Autor. Weltweit werden seine Theaterstücke in über 40 Ländern mit großem Erfolg gespielt. Im Fischer Taschenbuch Verlag sind erschienen: »Die Frau von früher«, »Trilogie der Tiere« und »Der goldene Drache«. 2016 erschien sein erster Roman »An einem klaren, eiskalten Januarmorgen zu Beginn des 21. Jahrhunderts«, der auf der Shortlist für den Preis der Leipziger Buchmesse stand, und 2017 sein zweiter Roman »Die Sprache des Regens«. Roland Schimmelpfennig lebt in Berlin und Havanna.

Nominierte und Preisträger*innen für den Deutschen Jugendtheaterpreis 2018

Preisträger Jugendtheater: Der (vor)letzte Panda oder Die Statik [(Pret)posljednja panda ili statika] (14+) von Dino Pešut | aus dem Kroatischen von Alida Bremer unter Mitarbeit von Sonja Anders und Friederike Heller | henschel SCHAUSPIEL Theaterverlag, Berlin

Begründung der Jury:

Sie heißen Luka, Ana, Marin, Marija. Geboren 1990 im kroatischen Sisak, zwischen Zagreb und der Grenze zu Bosnien-Herzegowina. Sie erleben ihre Kindheit als „Kellerkinder“, überraschen mit absurden Vorausblicken in ihre Zukunft als Erwachsene, irren und jubeln in der Pubertät und schauen mit Anfang 30 erstmals auf ihr Leben zurück. Sie haben die Jugoslawienkriege erlebt, aber auch die erste Liebe. Sie gehen tanzen und fühlen sich unendlich frei. Sie haben durch den Krieg unterscheiden gelernt, zwischen Kroaten, Serben und anderen. Dabei wünschen sie sich eigentlich ein normales Leben, ohne ethnische Zuschreibungen und homophobe Ausgrenzung. Dazubleiben ist nicht einfach, Selbstverwirklichung scheint nur im Westen möglich. In drei großen Szenen lässt Dino Pešut, ebenfalls 1990 in Sisak geboren, diese vier Menschen erwachsen werden. Wir erfahren in diesem vierstimmigen Monolog von ihrer Liebe, ihrem Verlust von Heimat, aber auch von ihrer unbändigen Lust auf Leben. Sie beschreiben, schauen zurück und lassen sich gemeinsam treiben. Aus der Gemeinsamkeit der Kindheit werden vier individuelle Charaktere, die sich ihren Weg im Leben suchen.

Ein Stück über Jugend in Osteuropa, das zeigt, wie man an seinen Aufgaben wächst und Hoffnung und Humor immer noch die besten Prinzipien für ein selbstbestimmtes Leben sind.

Werkbeschreibung:

Ana, Luka, Marin und Marija wurden 1990 in Kroatien geboren – in Sisak. Sie erzählen von einer Kindheit im Krieg, von Traumatisierung und Gewalt, vom Aufwachsen in der post-jugoslawischen und post-sozialistischen Gesellschaft, von sexueller Verlorenheit und Identität, von geborgten und eigenen Träumen, von Zukunftsplänen und -ängsten. Während Marin erfolgreich in der neuen Mittelschicht ankommt, regrediert Marija als dreifache Mutter in immer konservativere Ansichten. Ana und Luka dagegen verlassen die Heimat: Ana wird Schriftstellerin in Paris, Luka macht Filme in Zagreb. Trotzdem bleibt Sisak der Fluchtpunkt ihrer Erinnerung.In der Form des vielstimmigen, doch gemeinsamen Erzählens, das die unterschiedlichen Perspektiven und die Zeitebenen spielerisch, fast dialogisch zueinander in Beziehung setzt, liegt die Erkenntnis – auch der vier Protagonisten –, dass keiner der Lebenswege ohne die anderen beschreibbar wäre. Empfindsam und mit sozialer Genauigkeit verfolgt Pešut die Entwicklung seines Landes in den letzten 25 Jahren. Es gelingt ihm dabei die Typologie einer jungen Generation, in deren Erfahrung von Stagnation und Aufbruch wir uns überall wiederfinden können.

Kurzbiografie:

Lebenslauf Dino Pešut wurde 1990 im kroatischen Sisak geboren und studierte Drehbuch, Dramaturgie und Szenisches Schreiben in Zagreb. Seine Theaterstücke wurden mehrfach ausgezeichnet und an zahlreichen europäischen Bühnen aufgeführt, u. a. am Schauspiel Stuttgart und am Wiener Burgtheater. Für sein Drama »Der (vor)letzte Panda oder Die Statik« erhielt er gemeinsam mit seiner Übersetzerin Alida Bremer den Deutschen Jugendtheaterpreis 2018. »Daddy Issues« (Tatin sin) ist der erste Roman von Dino Pešut in deutscher Übersetzung.

Das Gesetz der Schwerkraft (Le Loi de la Gravité) (14+) von Olivier Sylvestre | aus dem kanadischen Französisch von Sonja Finck | Theaterstückverlag Korn-Wimmer, München

Begründung der Jury:

Dom und Fred sind unterschiedlich und doch haben sie eine Gemeinsamkeit: Sie fühlen sich fremd. In der Kleinstadt, in der Schule und in ihrem Körper. Dom als Mädchen geboren. Fred bei der Geburt als Junge identifiziert. Beide suchen nach sich selbst und ihrem Platz in der Welt. Sie blicken sehnsüchtig Richtung Stadt, von der sie sich die große Freiheit versprechen. Gemeinsam beschließen sie, am Ende des Schuljahres über die Brücke zu gehen, die in die Stadt führt. Aber bis es soweit ist, vergeht noch ein ganzes Jahr.

Das Stück handelt von zwei sympathischen Figuren, die sich nicht so leicht in die Kategorien Frau und Mann einsortieren lassen. Dom und Fred erzählen ihre Geschichte in Erzählpassagen und in dialogischen Situationen. Sie wechseln schnell und unkompliziert zwischen diesen Ebenen. So können sich die Stimmen der anderen, die über ihre Person urteilen, nicht ausbreiten. Dom und Fred suchen unbeirrbar in sich selbst und miteinander nach ihrer Identität und gehen konsequent ihren Weg. Olivier Sylvestre nutzt klare und verständliche Bilder, wie die Brücke zum anderen, Glück versprechenden Ufer – was da genau auf Dom und Fred wartet, wird die Zukunft zeigen.

Ein wichtiger Theatertext für Jugendliche mit starken Figuren, die sich wegen ihrer Geschlechteridentität nicht als Außenseiter behandeln lassen.

Werkbeschreibung:

Mit „Das Gesetz der Schwerkraft“ setzt sich Olivier Sylvestre kritisch mit dem heteronormativ geprägten Gesellschaftsbild auseinander. Freundschaft und Akzeptanz, ebenso das Anderssein und die Selbstfindung werden hier thematisiert. Es ist die Geschichte von Dom und Fred, zwei 14-Jährigen, die verschiedener und gleichartiger nicht sein könnten. Dom, der als Mädchen geboren wurde, sich aber gerne wie ein Junge kleidet, lehnt das gesamte Konzept Geschlechterrollen ab. Fred, der durchweg homosexuelle Tendenzen zeigt, will einfach nur ein „normaler“ Junge sein. Beide schmieden den Plan, die Kleinstadt, in der sie wohnen, zu verlassen, die Brücke zu überqueren, die sie in eine utopische Großstadt und zur Erfüllung ihrer Wünsche führen soll. Ihr Weg dorthin ist geprägt von Diskriminierung, Ausgrenzung und falschen Freunden. Trotzdem legen sie ihn zurück. Gemeinsam überschreiten sie die Brücke, die so viel mehr bedeutet, als einfach nur die Überquerung eines Gewässers. Obwohl nie ein Wort wie schwul oder transgender im Stück explizit genannt wird, sind sie dennoch implizit omnipräsent. Dadurch werden die elementaren Fragen aufgeworfen: Muss man der Norm entsprechen um akzeptiert zu werden? – Und was ist überhaupt die Norm? Ohne schulmeisterlich zu referieren, gelingt Sylvestre eine spannende und differenzierte Auseinandersetzung mit der nach wie vor aktuellen Thematik.

Kurzbiografie:

Olivier Sylvestre, 1982 im kanadischen Laval (Quebec) geboren, Autor und Übersetzer, hat einen Bachelor in Kriminologie und machte 2011 sein Diplom in dramatischem Schreiben an der École Nationale du Théâtre. Sein Stück „Die Schönheit der Welt“ (Leméac) erhielt den Prix Gratien-Gélinas und war in der Endrunde für den Prix littéraires du Gouverneur général. Sein jüngstes Stück „Guide d’éducation sexuelle pour le nouveau millénaire“ wurde 2017 beim Festival du Jamais gelesen. Sein Erzählband „Noms Fictifs“ wurde bei Hamac (Quebec) publiziert. Olivier Sylvestre unterrichtet Dramatisches Schreiben für kulturelle Aktivitäten (l’écriture dramatique au service des activités culturelles) an der Universität von Montreal und übersetzt Stücke kanadischer Autoren. Seit 2015 leitet er gemeinsam mit der Autorin Nathalie Boisvert und dem Regisseur Frédéric Sasseville-Painchaud die Theaterkompanie Le Dôme – créations théâtrales.

Concord Floral (14+) von Jordan Tannahill | aus dem kanadischen Englisch von Frank Weigand | henschel SCHAUSPIEL Theaterverlag, Berlin

Begründung der Jury:

Concord Floral heißt das riesige, verlassene Gewächshausareal zwischen der Autobahn und den Feldern. Der geheime Treffpunkt für die Teenager der Vorstadt. Auch Rose und Nearly wollen hier abhängen. Da fällt Rose das Handy in einen Schacht, direkt auf die Leiche eines Mädchens. Und das spricht sich in der Schule bald rum. Obendrein wird Nearly von einer Unbekannten mit Roses Telefon angerufen. Ein Nervenkrieg beginnt, doch keiner glaubt ihr. Sie wird ausgegrenzt. Dann stellt sich heraus, dass ihre ehemalige Mitschülerin Bobbie James die unbekannte Anruferin ist. Rose und Nearly hatten ihr einst aus einem nichtigen Grund übel mitgespielt. Die vermeintliche Leiche entpuppt sich schließlich als Bobbys rotes Sweatshirt, weswegen sie in der neunten Klasse von den beiden gemobbt worden war. Zehn Figuren erzählen die angebliche Mordgeschichte aus unterschiedlichen Perspektiven. So entsteht aus zitierten Dialogen, reflektierenden Monologen und dem Chor der Teenager ein kraftvoller Theatertext, der die Geschichte eines scheinbaren Verbrechens in analytischer Dramaturgie spannend wie einen Thriller erzählt.

Ein unterhaltsames Jugendstück und ein Plädoyer für echte Freiräume jenseits der Erwachsenen-Zivilisation, in denen Teenager auch heute noch Abenteuer erleben können.

Werkbeschreibung:

Concord Floral ist eine riesige stillgelegte Gewächshausanlage. Das seit Jahren verfallende geheimnisvolle Gelände ist ein beliebter Treffpunkt für Jugendliche aus der vorstädtischen Nachbarschaft – ein Ort für die Abenteuer des Erwachsenwerdens. Als die beiden Freundinnen Nearly Wild und Rosa Mundi dort eine schreckliche Entdeckung machen, wird ihr Leben durcheinander gewirbelt. Eine Tote macht per Handy Terror, ein Fuchs erzählt von seinen Beobachtungen und Nearly Wild hat das Zweite Gesicht. Das Heimliche wird unheimlich, das Selbstverständliche bedeutungsvoll – höchste Zeit, dass die Kids vom Concord Floral miteinander reden.Jordan Tannahill lässt die Geschichte von zehn jugendlichen Darstellern erzählen und spielen und dabei an Boccaccios „Dekameron“ erinnern. Aus realistischen Dialogen, reflektierenden sowie lyrischen Passagen und traumverwandten Szenen webt er eine spannende Bilderfolge, in der die Perspektiven der Jugendlichen suggestive Kraft entfalten.

Kurzbiografie:

Jordan Tannahill, geboren 1988 in Ottawa, ist Autor, Regisseur und Videokünstler. Seine Stücke „Botticelli in the Fire“ und “Sunday in Sodom” wurden 2018 mit dem Governor General’s Award ausgezeichnet, den er bereits 2014 mit „Age of Minority: Three Solo Plays“ gewonnen hatte. 2008-2016 schrieb und inszenierte er Stücke für die von ihm mitbegründete Gruppe Suburban Beast. Daneben kuratierte und realisierte er in Toronto zusammen mit William Ellis vier Jahre lang im Videofag, einem ehemaligen Friseursalon im Stadtteil Kensington, Ausstellungen, Film- und Theateraufführungen sowie Performances und interdisziplinäre Aktionen und Projekte. Videofag wurde zu einem Zentrum für queere und Avantgarde-Kunst.Zu Tannahills wichtigsten Stücken gehört „Concord Floral“, das auch auf Deutsch bereits mehrfach inszeniert wurde. Im Januar 2018 inszenierte er die Uraufführung seines neuen Texts „Declarations“ an der Canadian Stage in Toronto. Im Oktober 2019 kam am Hampstead Theatre in London „Botticelli in the Fire“ zur europäischen Erstaufführung.

Sonderpreise zum Deutschen Kindertheaterpreis 2018 und zum Deutschen Jugendtheaterpreis 2018

Zu wenig Wut oder So etwas passiert doch hier nicht von Fabienne Dürr | Studiengang Szenisches Schreiben an der Universität der Künste Berlin

Begründung der Jury:

Während des Unterrichts treffen in Fabienne Dürrs (Universität der Künste Berlin) „Zu wenig Wut oder So etwas passiert doch hier nicht“ Lene und Alexandra im Schulflur aufeinander. Beide wurden von ihren Lehrer*innen vor die Tür gesetzt. Alex würde sich am Liebsten rächen und mit einem Feueralarm dafür sorgen, dass ihr Lehrer wegen verletzter Aufsichtspflicht Ärger bekommt. Langsam rollt Dürr die Probleme der beiden Mädchen auf. Und sie schleppen nicht wenig mit sich herum – wie vermutlich die meisten Jugendlichen. Immer wieder werden auch kurz die Spielerinnen hinter den Charakteren sichtbar; stellen sich gegenseitig Fragen oder kommentieren. Der jungen Autorin gelingt es, interessante Figuren zu zeichnen, die trotz ihrer vielen Probleme nicht zu Klischees werden, und von denen man gern mehr erfahren möchte.

Allahu Akbar von Vera Schindler | Studiengang Szenisches Schreiben an der Universität der Künste Berlin

Begründung der Jury:

Mit „Allahu Akbar“ hat die Autorin Vera Schindler (ebenso Universität der Künste Berlin) ein Stück über den Versuch geschrieben, die Leere und das Alleinsein zu überwinden. Elli, Bonka und Schiller wollen für ein paar Tage Urlaub von ihrem Leben machen. Sie ziehen in einen Keller, keiner weiß, wo er genau liegt. Sie beginnen ein Spiel: Sie ziehen sich neue Identitäten wie neue Kleider an und probieren aus, was als Muslim/a alles möglich ist. Sie erleben dieses Neue als Sinn, als Gewinn, als ungeahnte Möglichkeiten. Das Spiel kippt in den Ernst, ein Inferno beginnt. – In knappen, dichten Szenen treibt Vera Schindler den Text, der wie ein klassisch anmutendes Jugendstück beginnt, in eine Groteske, die sich vor keiner Konsequenz scheut. Das Spiel wird zur Schlinge, aus der sich radikal eine neue Wirklichkeit formt und einfordert. Die junge Autorin zeigt mit diesem Szenenentwurf, wie schnell eine andere Realität hergestellt werden kann.

Abschließende Worte der Jury zu den Preisträgerinnen

Beiden Berliner Autorinnen gelingt in ihren Texten ein Blick in unsere heutige Welt, sie stellen sich dabei den großen Themen eines zeitgenössischen Jugendtheaters. Einerseits der immer währenden Frage nach Bedeutung von Leben für die jugendliche Zielgruppe und andererseits den scheinbar neuen Fragen nach dem Umgang mit anderen Religionen, am Beispiel des Islams. Beide Stücke müssen momentan dabei noch als Szenenentwürfe gelten, zu sehr bleiben sie bei sich und öffnen sich nicht den großen Zusammenhängen. Aber sie haben Potenzial und es bleibt zu hoffen, dass diese Autor*innen uns wirkliche Stücke in der nächsten Zeit schenken, das Talent haben sie.


Deutscher Kindertheaterpreis 2016 und Deutscher Jugendtheaterpreis 2016

  • Einladung zur Preisverleihung
  • Programmbaltt der Preisverleihung
  • Die Gäste der Preisverleihung im Kaisersaal des Frankfurter Römers. Foto Karin Berneburg
  • Kurz vor Beginn der Preisverleihung im Kaisersaal des Frankfurter Römers. Foto Karin Berneburg
  • Die Berliner Band "Tier aus Ton" begleitet die Preisverleihung musikalisch. Foto Karin Berneburg
  • Der Sprecher der Jury, Prof. Dr. Gerd Taube gibt in seiner Ansprache einen Einblick in die Arbeit der Jury. Foto Karin Berneburg
  • Dr. Ina Hartwig, Frankfurts Kulturdezernentin, begrüßt die Gäste der Preisverleihung im Kaisersaal des Frankfurter Römers. Foto Karin Berneburg
  • Gruppenbild der Nominierten. 2. v. re. Caren Marks, MdB, Parlamentarische Staatsekretärin im BMFSFJ. Foto Karin Berneburg
  • Die Band "Tier aus Ton" aus Berlin. V.l.n.r. Jürgen Meyer (perc), Charlotte Birkenhauer (vib), Paul Dill (voc, eb), die Moderatorin Lydia Dimitrow und Oleg Hollmann (bars). Foto Karin Berneburg
  • Die Jury. V.l.n.r. Ulrike Stöck, Lina Zehelein, Prof. Dr. Gerd Taube, Lisa Zehetner, Thomas Stumpp. Foto Karin Berneburg
  • Gruppenfoto der Preisträger*innen. V.l.n.r. Martin Baltscheit, Jörg Menke-Peitzmeyer, Caren Marks (MdB), Prof. Dr. Gerd Taube, Alina Rathmann , Franziska Isabella Niehaus und Rinus Silzle. Foto Karin Berneburg
  • Die Sonderpreisträger*innen mit den Mitgliedern der Jury und der Moderatorin. Foto Karin Berneburg.

Die Jury 2016

Die Mitglieder der Jury

Ulrike Stöck, Leiterin des Jungen Staatstheaters am Badischen Staatstheater, Karlsruhe

Lina Zehelein, Leiterin Education und Vermittlung am Staatstheater Darmstadt

Lisa Zehetner, Dramaturgin für Kinder- und Jugendprojekte am Forum Freies Theater, Düsseldorf

Thomas Stumpp, Mitarbeiter im Bereich Theater und Tanz des Goethe-Instituts, München

Prof. Dr. Gerd Taube, Leiter des Kinder- und Jugendtheaterzentrums in der Bundesrepublik Deutschland, Frankfurt am Main

Das Fazit der Jury

In nur wenigen Theatertexten aus dem Preis-Jahrgang 2016 reizen die Autor*innen die Grenzen des konventionell Dramatischen aus und spielen mit der Struktur, der Textgestalt und der Sprache. Die meisten orientieren sich an dramaturgischen Kategorien des Dramas wie Figur, Dialog und Handlung. Dabei ist selten ein spannungsvolles Verhältnis von Form und Inhalt das Ziel, sondern eher die Unterordnung struktureller und formaler Entscheidungen unter eine offenkundige Wirkungsabsicht, die den Texten eingeschrieben ist.

Dabei ist die Themenpalette im Theater für Jugendliche deutlich schmaler als im Theater für Kinder. Autor*innen für das Kindertheater scheinen ihrem Publikum viel mehr Fantasie zuzutrauen als das im Jugendtheater der Fall ist. Wo im Kindertheater mit Märchenfiguren, Tieren, Fantasiegestalten und anderen skurrilen Personen, aber auch Kindern als Protagonisten, ein vielfältiges dramatisches Personal in oftmals verrückten Welten agiert, spiegeln im Jugendtheater häufig gleichaltrige Figuren das jugendliche Publikum und dessen Lebenswelt.

Solche Texte des Jugendtheaters stellen die individuellen Beziehungen der Figuren, ihre emotionale Befindlichkeit und ihre oftmals problematische Adoleszenz in den Mittelpunkt. Gesellschaftliche Kontexte und ihr Einfluss auf das Leben und Heranwachsen von jungen Menschen werden dabei oft nur implizit miterzählt, politische Themen nur selten in den Fokus gerückt.

Insbesondere das Jugendtheater, dessen Publikum sich mit so vielfältigen Erwartungen der erwachsenen Gesellschaft an ihr Heranwachsen und ihre Persönlichkeitsentwicklung konfrontiert sieht, hat aber die Verantwortung dafür, jungen Menschen eine Orientierung für die vielfältigen Entscheidungsoptionen in ihrem Leben zu bieten. Die Jury hätte gern mehr Texte gelesen, in denen gesellschaftliche und politische Entwicklungen als sozialer Kontext des Heranwachsens von jungen Menschen thematisiert und befragt werden und die ihren Zuschauern etwas zumuten. Texte, in denen sich die Motivation der Autor*innen, für junges Publikum zu schreiben, darin zeigt, dass sie universelle und gesellschaftlich relevante Fragen formulieren und Heranwachsende im Ausprobieren ihrer individuellen Lebensentwürfe bestärken, statt mit leicht durchschaubaren Ratschlägen, Verhaltensregeln oder gar Lösungen aufzuwarten.

Überrascht haben die Jury in diesem Zusammenhang die Einsendungen zum Stückwettbewerb für Studierende des Szenischen Schreibens. Die acht Nachwuchsautor*innen überzeugen in ihren Stücken für junges Publikum mit einem kritischen Blick auf Kindheit, Jugend und Pubertät. Die Frage nach dem Publikum scheint nicht so sehr im Fokus ihres Schreibens zu stehen, als vielmehr die eigene Standortbestimmung als Theaterautorin bzw. -autor. Die Nachwuchsautor*innen spielen mit der Sprache, bringen unkonventionelle Strukturen ins Spiel und probieren verschiedene dramaturgische Formen aus. Im Ergebnis sind Theatertexte entstanden, die unverkrampft und trotzdem ernsthaft geschrieben sind und denen ein starker Formwille eigen ist. Der Jury hat besonders gefallen, dass die Autor*innen keine Sorge zu haben scheinen, ihr junges Publikum zu überfordern: Auf diese Weise nehmen sie das junge Publikum ernst und sie sind damit im besten Sinne zeitgemäße Beiträge zur dramatischen Kinder- und Jugendliteratur.

Nominierte und Preisträger*innen für den Deutschen Kindertheaterpreis 2016

Preisträger Kindertheater: Krähe und Bär (10+) von Martin Baltscheit | Verlag für Kindertheater, Hamburg

Begründung der Jury:

Da sind zwei unzufrieden mit ihrem Dasein. Der Bär, weil er in seinem Zoogehege mit Vollpension und Pool die Freiheit vermisst. Die Krähe, weil sie zwar frei wie ein Vogel, aber den Kampf ums tägliche Futter leid ist. Es dauert einige Zeit bis die Sehnsucht des ungleichen Paares so groß geworden ist, dass ein Körpertausch die letzte Rettung zu sein scheint. Doch den hungrigen Krähenbär packt in freier Wildbahn bald das Heimweh und auch die fettgefressene Bärenkrähe sehnt sich wieder nach der Freiheit der Lüfte. Sie machen den Zauber rückgängig. Und weil das Leben zu tauschen nicht glücklich macht, werden sie fortan ihr Leben teilen.

Martin Baltscheits philosophische Tierparabel zeigt, dass das Versprechen, die Sonne schiene für alle, keine Utopie bleiben muss. Der Wunschtraum, das Leben eines anderen zu führen, weil es einem verheißungsvoller erscheint als das eigene, muss scheitern. Doch mit anderen zu teilen und einen Modus für das Miteinander zu finden, könnte helfen, das Versprechen einzulösen.

Ein tiefsinniges und zugleich komisches Stück, mit dem Martin Baltscheit erneut zeigt, dass Tierfiguren im Kindertheater schauspielerische Herausforderungen sind und Charakterdarsteller erfordern.

Werkbeschreibung:

Ein Bär im Zoo. Hinter Gittern und Mauern. Tag für Tag, Stunde für Stunde dreht er die gleiche Runde und ärgert sich über die Gaffer. Drei Mahlzeiten am Tag, die er lustlos verschlingt und die sich um die Hüften herum bemerkbar machen. Der dicke Bär träumt von der Freiheit! – Eine Krähe im Zoo. Sie fliegt von Gehege zu Gehege, immer auf der Suche nach einem kleinen Happen. Doch die Tiere im Zoo lassen ihr nicht den kleinsten Knochen übrig. Die dürre Krähe träumt von drei Mahlzeiten am Tag!Nach ein paar Anfangsschwierigkeiten schließt das ungleiche Paar Freundschaft. Der Bär teilt seine Knochen, die Krähe erzählt von der Welt draußen. Noch immer träumt der Bär und es träumt die Krähe. Und eines Tages verrät ihnen die Schlange das Geheimnis. Es brechen paradiesische Zeiten an – zunächst…

In seinem neuen klugen und vielschichtigen Stück ergründet Martin Baltscheit die Frage, ob ein sicheres Leben notwendig unfrei sein muss? Und ob die ‚große Freiheit‘ nicht oft rüde am ‚Recht des Stärkeren‘ endet? Am Ende teilen Krähe und Bär das Leben miteinander – in einer freien Entscheidung und mit Vollpension!

Kurzbiografie:

Martin Baltscheit wurde 1965 in Düsseldorf geboren. Er studierte Kommunikationsdesign in Essen. Von 1986-1992 war er Mitglied des Theaters „Junges Ensemble Düsseldorf“. Er zeichnete zunächst Comics, danach widmete er
sich vor allem dem Schreiben und Illustrieren von Bilderbüchern. Außerdem entstanden zahlreiche Hörspiele und Trickfilme. 2010 erhielt er den Deutschen Jugendtheaterpreis für sein Stück „Die besseren Wälder“ und 2012 wurde er mit „Nur ein Tag“/„Only A Day“ (Übersetzung: David Henry Wilson) zum Festival „New Visions/New Voices“ nach Washington eingeladen. „Only A Day“ wurde im Januar 2015 im Belgrade Theatre in Coventry zum ersten Mal in englischer Sprache aufgeführt. Für sein Bilderbuch „Die Geschichte vom Fuchs, der den Verstand verlor“ erhielt Martin Baltscheit 2011 den Deutschen Jugendliteraturpreis; in der Spielzeit 2013/14 wurde es als Kinderoper mit Musik von Sandra Weckert uraufgeführt. Mit „Die besseren Wälder“ war Martin Baltscheit zum Theatre Café 2014 eingeladen (York, Berlin, Frankfurt/Main).

Zu klein, um ein Planet zu sein (To Small To Be A Planet) (10+) von Adam Barnard | aus dem Englischen von Henrik Adler | Felix Bloch Erben Verlag für Bühne Film und Funk, Berlin

Begründung der Jury:

Ali ist 11 Jahre alt. Er hasst Schule und Theater, liebt Wissenschaft, Computer und Planeten. Sein Großvater ist letzte Woche gestorben und wird morgen beerdigt. Heute besucht der amerikanische Präsident Alis Schule. Nach der präsidialen Ansprache versteckt sich Ali in einem Putzschrank, wo es so dunkel ist wie im Weltraum. An diesem Ort meint er die Sterne zu sehen und hier kann er gut nachdenken. Wie über die kurze Karriere von Pluto, der 1930 entdeckt, 36 Jahre später seinen Status als Planet wieder verlor. Als der Präsident zur Toilette muss findet er Ali. Sie  sprechen über das Universum und der Präsidenten erzählt von einer einst vermasselte Mathearbeit. Am nächsten Tag zählt Ali zu Ehren des Großvaters die Liste der Planeten auf und beschließt sie mit Pluto, der eigentlich zu klein für einen Planeten ist.

Barnard erzählt konsequent aus der Sicht von Ali mit viel Humor von der Achterbahn des Lebens eines Elfjährigen, in dem das Schicksal des Kleinplaneten Pluto zu einem Leitmotiv für das Wechselhafte im Leben wird.

Ein Stück, das ermutigt, sich von den wechselnden Dingen des Lebens nicht unterkriegen zu lassen, weil Erfolg und Scheitern gleichermaßen zählen.

Werkbeschreibung:

Quelle: Verlag (Felix Bloch Erben)

Gesehen werden, groß und irgendwie bedeutend sein – das ist die Sehnsucht, die der 10-jährige Ali und der kleine (Planet) Pluto auf ihren unendlichen Umlaufbahnen teilen. Ali hat gerade seinen Großvater verloren und ist voller Traurigkeit, denn er hat ihm nicht nur Geld und Aufmerksamkeit geschenkt, sondern auch das Gefühl gegeben, einzigartig zu sein. Das größte Geschenk überhaupt. Pluto ist auch etwas betrübt, nachdem ihm die Internationale Astronomische Union den Status Planet aberkannt hat und er nur noch eine Nummer ist. Wer will schon eine 134340 sein, wenn man auch Nummer eins sein könnte? Und so kreist Ali in Gedanken wie Pluto am Rande der Systeme und um sich selbst, auf der Suche nach der Antwort auf die eine Frage: Wie kann ich groß sein, wenn mich keiner sieht?

Am besten nachdenken kann Ali in seinem geheimen Versteck – einem Putzschrank auf einer alten Schultoilette, die sonst keiner mehr nutzt. Da ist es dunkel wie im Weltraum und er sieht die Sterne und alles wird unendlich weit. Ein Ort, an dem Alis Welt kurz stehen bleibt. Bis zu dem Tag, an dem er genau dort auf den Präsidenten der Vereinigten Staaten von Amerika trifft, der seiner Schule einen Besuch abgestattet hat. Zwischen der „Nummer eins der Welt“ mit einem mehr als dringenden Bedürfnis und dem kleinen Ali entspinnt sich ein eigenwillig ehrlicher Dialog über Verlust und Versagen, der Ali die Augen öffnet. Alles ist eine Frage der Perspektive.

Das Projekt »The Commissioners« der Company of Angels, in dessen Rahmen »Zu klein, um ein Planet zu sein« entstand, gibt Kindern verschiedener Londoner Schulklassen die Möglichkeit, Autoren mit einem Stückauftrag zu betrauen – über etwas, was für sie von Bedeutung ist. Aus den Begegnungen mit den Schülern und ihren Erzählungen, was sie umtreibt und beschäftigt, schrieb Adam Barnard dieses wunderbar liebenswürdige, scharfsinnige und aufrichtige Stück, was seine Protagonisten ernst nimmt und trotzdem vor Humor und klugem Witz nur so strotzt. Es wurde im Dezember 2014 beim Theatre Café Festival am Grips Theater und Frankfurter Autorenforum vorgestellt.

Kurzbiografie:

Adam Barnard begann seine Karriere als Regisseur. Nach zahlreichen Inszenierungen, u. a. für die Londoner Theater Orange Tree, Arcola und Company of Angels schreibt er nun vor allem für das junge Publikum. Zwischen 2011 und 2013 war Adam Barnard Mitglied der künstlerischen Leitung des Londoner Kinder- und Jugendtheaters Company of Angels. Im Rahmen des Projekts »The Commissioners« entstand dort u. a. das Stück »Zu klein, um ein Planet zu sein«. 2012 wurde es beim Latitude Festival in London vorgestellt. Weitere Stücke sind »buckets«, das mit dem Leverhulme Arts Stipendium entstand, und »Closer Scrutiny«. Derzeit schreibt Adam Barnard u. a. »The Invisible« für das Theatre Royal Plymouth. Außerdem schrieb und inszenierte er Kurzfilme für die britische Kommission für Gleichheit und Menschenrechte (EHRC) und arbeitete regelmäßig als Journalist für »The Times«.

Haus Blaues Wunder (6+) von Ingeborg von Zadow | Verlag der Autoren, Frankfurt am Main

Begründung der Jury:

Ein Traumhaus am Meer. Leider hat es zwei Mängel, es liegt nicht am Meer und es wird von zwei Besitzern beansprucht. Der Makler, der Herrn Pfefferkorn und Herrn Goldbeutel ein und dasselbe Haus verkauft hat, ist nicht mehr erreichbar. So ziehen zwei völlig unterschiedliche Typen ein und es beginnt ein Ringen um Raum und Haus. Sogleich wird eine Grenze gezogen. Doch Goldbeutels

Krempel passt überhaupt nicht in seine Hälfte. Pfefferkorn ist zwar ohne Gepäck angereist, aber das ihn begleitende Eichhörnchen schert sich nicht um die Grenze. Konflikte sind vorprogrammiert und der Streit eskaliert. Schließlich bricht das Haus auseinander. Obdachlos aber um einen Gefährten reicher, ziehen beide gemeinsam los, um das Meer zu suchen.

Ingeborg von Zadow erzählt eine seltsame Geschichte, die wie ein Märchen im Irgendwo und Irgendwann spielt und deren, durchaus heutig wirkendes, Personal sprechende Namen trägt. In ihrer Märchenparabel für Kinder führt die Autorin den philosophischen Diskurs über Haben und Sein auf überzeugend bildhafte Art und Weise.

Ein intelligentes Stück für das Kindertheater dessen einfache Fabel nicht über die Komplexität des verhandelten Themas hinwegtäuschen will.

Werkbeschreibung:

Ein Häuschen am Meer! Wer möchte nicht darin wohnen? In Ingeborg von Zadows Theaterstück möchten gleich zwei Personen – Herr Goldbeutel und Herr Pfefferkorn – in das leere Haus einziehen, das ihnen von einem dubiosen Vertreter verkauft wurde. Beide erheben Anspruch, der rechtmäßige Besitzer zu sein, und damit gehen die Probleme los, denn zwei sind einer zu viel. Während Herr Pfeffersack in Begleitung des Eichhörnchens „Badesalz“ und eines Koffers einzieht, verbarrikadiert sich sein unliebsamer Mitbewohner hinter einer Unmenge Möbel, die zunehmend ein Eigenleben zu entwickeln scheinen. In dieser Konfliktlage müssen sich beide arrangieren und Lösungen für ein friedliches Zusammenleben finden…

»Haus Blaues Wunder« erzählt, wie auf engstem Raum aus Rivalen mit unterschiedlichen Lebensvorstellungen Freunde werden können.

Kurzbiografie:

Ingeborg von Zadow wurde 1970 in Berlin geboren, lebt in Heidelberg. Zu schreiben begann sie im Schultheater; von dort führte ihr Weg über das Studium der Angewandten Theaterwissenschaften in Gießen zum Master of Arts an der State University of New York at Binghamton, USA. Teilnahme an der Wolfenbüttler Dramatikerwerkstatt für Kinder- und Jugendtheater. Als gerade 22jährige setzte sie sich auf Anhieb durch: In ihren Kinderstücken »Ich und du« und »Pompinien«, später auch in »Besuch bei Katt und Fredda« – alle drei Stücke vielgespielt und in mehrere Sprachen übersetzt – schlug sie einen neuen Ton an, der sich in Musikalität, Rhythmus und Dialogmelodie ausdrückt: »Die Texte ›klingen‹ bereits beim Lesen« (Theater der Zeit, Stück-Werk 2). Seitdem ist ihr Werk weiter angewachsen, darunter auch eines für den Abendspielplan, in dessen Mittelpunkt zwei »Alte Schachteln« stehen.

Nominierte und Preisträger*innen für den Deutschen Jugendtheaterpreis 2016

Preisträger Jugendtheater: The Working Dead. Ein hartes Stück Arbeit. Die komplette erste Staffel – Uncut (13+) von Jörg Menke-Peitzmeyer | Theaterverlag Hofmann-Paul, Berlin

Begründung der Jury:

Ostberlin an der Schwelle zum 21. Jahrhundert. Die Arbeiterklasse ist untergegangen. Ihre Geister, die in den Industriebrachen hausen, erzählen aus den Zeiten, in denen sie noch eine Aufgabe hatten. Die Überlebenden bewohnen die Altersheime. Sich im Heute zurechtfinden ist schwer für sie. Ihre Enkel können sie nicht verstehen. Ein Arbeiter? – Was ist das? Erst übernehmen Sexshops und Nagelstudios die leer werdenden Flächen, dann kommen die Galerien, Kinderläden und Cafés. Die Gentrifizierung nimmt ihren Lauf.

Jörg Menke-Peitzmeyer stellt sich einer Riesenaufgabe. Er erinnert an die schwere und schmutzige Industriearbeit, die im hippen Berlin inzwischen längst verschwunden ist. So schildert er die Schwierigkeiten des intergenerationellen Dialogs vor dem Hintergrund deutscher Geschichte. Auch wenn die Figuren berlinern, was das Zeug hält: Das Stück, das auf Recherchen des Autors beruht, erzählt keine Ostgeschichte. Es fragt vielmehr, was Arbeit heute ist. Wie sie unser Leben und unser Sein definiert.

Der Jugendtheatertext für eine große Besetzung ist eine kluge Reflexion über den Wert der Lebensleistung der Großeltern und die Schwierigkeiten einer Gesellschaft auf dem Weg zum Dienstleistungskapitalismus.

Werkbeschreibung:

Zombies, Zukunftsträume und eine alte Industriehalle – das ist das Setting von “THE WORKING DEAD”. Hier trifft sich das Alte und das Neue. Interessiert die jungen Leute, was dort früher hergestellt wurde, wie man arbeitete? Wie füllen sie den Ort mit ihren Zukunftsideen?

Jenny will Friseurin werden und bedingungslos im Jetzt leben. Thamara träumt von einer großen Karriere als Tänzerin. Finn will ganz Oberschöneweide wegsprengen – für einen freien Blick auf die Spree! Bei einem nächtlichen Gang in eine alte Industriehalle trauen die drei ihren Augen nicht: Sind das Zombies? Untote Fabrikarbeiter, die durch die leeren Gemäuer geistern und ihrer Vergangenheit hinterher jammern?

Ein Stück über Seifenblasen und Solidarität, über Beruf und Berufung, über Paranoia und Perspektiven, das mitten durch eines der ehemals größten Industriegebiete der DDR und Europas geistert: das Königreich Oberschöneweide. Das alte Königreich passt nicht mehr in die Jetzt-Welt. Die Jugendlichen müssen also nicht nur den Enttäuschungen und dem Stolz der älteren Generation trotzen, sondern auch beweisen, dass sie miteinander etwas Neues, für sie Passendes aufbauen können.

Nach einem Jahr Recherche in Oberschöneweide entstand ein Text, der sich zwischen Maloche und Arbeit verortet, der das Erbe der Industriekultur aufnimmt und die Sehnsucht der Jugendlichen heute erforscht. Ist der geschichtsträchtige Ort eine Belastung oder eine Perspektive für die Zukunft? Was treibt Jugendliche an diesem Ort heute an?

Die Industriehalle KAOS in Berlin-Oberschöneweide ist inmitten des ehemaligen ‚Elektropolis‘, einem der damals größten Industriegebiete der DDR und Europas. Jede Stadt hat leere Industrieanlagen, die vom Wandel der Zeit kündigen.

Das Auftragswerk im Rahmen des Projektes “Industriegebietskinder” entstand in einer deutschlandweit bisher einzigartigen Kooperation mit dem THEATER STRAHL Berlin, dem Kinder- und Jugendtheater Dortmund und dem Thalia Theater Halle an der Saale. Mehrere Monate lang arbeitete der Autor mit Jugendlichen und Künstlern der drei Theater gemeinsam zu Themen wie Industriekultur, Arbeit, Beruf – gestern und heute.

Schirmherr des Projektes war Gregor Gysi. Abgeordneter für den Wahlkreis Berlin Treptow-Köpenick im Deutschen Bundestag. „Ich habe die Schirmherrschaft für dieses spannende Projekt übernommen, weil ich den nachdenklichen Ansatz begrüße.”

Die Aufführung des Theater Strahl, in der Industriehalle KAOS in Berlin-Oberschöneweide, wurde in Jörg Steinbergs Inszenierung mit dem IKARUS 2015 des Landes Berlin ausgezeichnet.

Kurzbiografie:

Jörg Menke-Peitzmeyer wurde 1966 in Anröchte/Westfalen geboren. Von 1986-1990 studierte er Schauspiel an der Folkwang Hochschule in Essen. Engagements führten ihn nach Mainz, Gießen, Stendal, Coburg und Berlin.

Am Deutschen Literaturinstitut in Leipzig absolvierte er von 1998-2002 ein zweites Studium für Dramatisches Schreiben, das er mit dem Monolog »Der Manndecker« abschloss. Noch während des Studiums wurde das Stück uraufgeführt und liegt auch als Drehbuch vor. Es folgten Auftragsarbeiten für das Theater der Altmark Stendal, Theater Freiberg, Grips-Theater Berlin, Schloßtheater Moers, Theater Koblenz, Junges Ensemble Stuttgart, Oper Dortmund, Chawwerusch Theater Herxheim, Junges Schauspiel Zürich und Theater Strahl Berlin. Er lebt als freiberuflicher Autor und Schauspieler in Berlin und Istanbul.

Traurigkeit und Melancholie oder Der aller aller einsamste George aller aller Zeiten Fragment (14+) von Bonn Park | henschel SCHAUSPIEL Theaterverlag, Berlin

Begründung der Jury:

George ist eine extrem alte Schildkröte, hat schon die gesamte Menschheitsgeschichte – jeden Krieg, jede Entdeckung und jede Revolution – erlebt und ist seines ewigen Lebens müde. Sein Dialogpartner ist die Regieanweisung, die als deus ex machina alles Bühnenmögliche unternimmt, damit George noch nicht stirbt. Der verliert sich sinnierend in seiner Vergangenheit. Erzählt von unzähligen Lebensstationen, so dass das Leben eines Menschen im Vergleich wie das einer Eintagsfliege erscheint. Seine Erzählung geht stets vom Konkreten und Bekannten aus, um sich ins Allgemeine, Überdimensionierte oder Absurde zu steigern, so dass die Differenz zwischen historischer Begebenheit und Fiktion unerheblich wird.

Man kann Bonn Parks Stück für das Jugendtheater als Lobgesang auf Depression und Fatalismus oder als zynischen Kommentar auf eine oberflächliche Gesellschaft lesen. Man kann es aber auch als Katalysator für das Denken des Publikums begreifen, das mit einem unkonventionellen Stoff sowie seiner unangepassten Form und Sprache aufrütteln und zum Nachdenken bringt.

Ein formal und sprachlich irritierender Theatertext für das Jugendtheater, der die Menschheit und ihre Geschichte kritisch reflektiert.

Werkbeschreibung:

George sehnt sich nach der warmen Sandmulde seiner Kindheit, in der er vor gefühlten Millionen Jahren aus dem Ei kroch. Dort will er sterben. Mit Meerblick. Und dem Gefühl, dass in all den Jahrhunderten, die er auf seinem Panzer schleppt, doch nicht alles Humbug und Schamott war. Seine Erinnerungen machen nicht mehr große Unterschiede zwischen den erlebten Kriegen damals in Troja oder Persien und dem nachfolgenden Geschrei. Seine Geliebten glichen sich an im Laufe der immer gleichen Liebeskurven. Sein Nachwuchs kam ihm abhanden. Um seiner allumfassenden Einsamkeit zu entkommen, erfand George Kochrezepte angereichert mit sich selbst. Er wurde der Held seiner Alpträume und der Antrieb seiner Arztbesuche. George ist eine uralte Schildkröte mit einem kosmisch angewachsenen Sack voll fideler Depressionen. Ein sensibles, gieriges, weises Fragment. George ist eine Entdeckung von Bonn Park.

Kurzbiografie:

1987 in Berlin geboren, wuchs in Berlin, Korea und Paris auf. Ab 2008 Studium der slawischen Sprachen und Literatur an der Humboldt-Universität Berlin, parallel dazu erste Arbeiten als Regisseur und Autor an der Volksbühne Berlin: »Die Orestie – eine Trilogie in vier Teilen« und »Was Diese Ratten Nagen Aus?«. Außerdem Hospitanzen bei Werner Schroeter (»Antigone//Elektra«), Heiko Kalmbach (»Seestücke«), Frank Castorf (»Die Soldaten«). In »Du hast mir die Pfanne versaut, du Spiegelei des Terrors! «von René Pollesch übernahm Bonn Park eine Gastrolle. 2011 hatte sein Film »WALBURGA «an der Volksbühne Premiere. Seit 2010 studiert Bonn Park Szenisches Schreiben an der Universität der Künste Berlin. 2011 schrieb er sein erstes abendfüllendes Stück (»Die Leiden des jungen Super Mario in 2D – erster Teil der Superstartrilogie Gut&Böse«), das mit dem Innovationspreis des Heidelberger Stückemarkts ausgezeichnet wurde.

Mädchen wie die (Gils like that) (14+) von Evan Placey | aus dem Englischen von Frank Weigand | Felix Bloch Erben Verlag für Bühne Film und Funk, Berlin

Begründung der Jury:

1928: Ein Mädchen bleibt gegen den Willen ihres Bruders allein auf einer Poolparty. 1945: Ein Mädchen schasst seinen Piloten-Kollegen, weil dieser sich weigert unter ihrem Befehl zu fliegen. 1968: Ein Mädchen entscheidet sich, gegen den Wunsch ihres Freundes, für eine Abtreibung. 1985: Ein Mädchen wehrt sich als Praktikantin einer Anwaltskanzlei gegen sexuelle Belästigung. Davor, dazwischen und danach: heute. Scarlett wird von einer Mädchenclique im Internat gemobbt, bis sie eines Tages verschwindet.

Evan Placey lässt seine Mädchenfiguren, von denen nur Scarlett einen Namen hat, die Geschichte einer Ausgrenzung monologisch, chorisch oder dialogisch erzählen, dazwischen historischen Beispiele, wie sich Frauen aus ihrer Familie über die Jahrzehnte gegen unfaire und machohaften männliche Dominanz gewehrt haben. Die heutigen Mädchen in dem Stück verhalten sich dagegen als Kontrahentinnen ihrer eigenen Emanzipation. Damit wird der historische Exkurs auf originelle Weise um eine aktuelle Dimension erweitert.

Der szenisch herausfordernde Jugendtheatertext für eine große Gruppe junger Darstellerinnen verbindet multiperspektivisches Erzählen mit schonungsloser und doch sinnlicher Analyse heutigen Mädchenseins.

Werkbeschreibung:

Mitten in der Geschichtsstunde, als die Lehrerin gerade über das Wahlrecht der Frauen spricht und die meisten Schülerinnen langsam wegdösen, wird es heller im Klassenzimmer der Mädchenschule St. Helens, die Handys blinken auf, es brummt und piept, alle Blicke wandern auf die Smartphones: ein Nacktfoto ist zu sehen, ein Foto der Mitschülerin Scarlett. Schnell sind alle wach, es wird weitergeleitet und geteilt, die Neuigkeit verbreitet sich wie ein Lauffeuer und innerhalb weniger Sekunden ist die gesamte Schule eingeweiht. Anstatt mit Scarlett zu sprechen, werden schnell weitere Vermutungen und Gerüchte über sie verbreitet. Die Angst, den eigenen Ruf zu ruinieren, lässt die Mädchen von Scarlett Abstand nehmen. Sie gehen sogar so weit, ihr vorzuwerfen, sie bringe mit ihrem Verhalten alle Mädchen in Verruf. Es dauert nicht lange und ein zweites Foto geht an alle Schüler raus: Wieder ein Nacktfoto, doch diesmal ist ein Junge zu sehen: der allseits beliebte Russell. Den Spießroutenlauf, den Scarlett hinter sich hat, steht Russell nicht bevor. Denn Russell ist ein Junge und das ist ein Unterschied, denn: »Ein Schlüssel, der eine Menge Schlösser aufkriegt, ist ein richtig guter Schlüssel. So ne Art Generalschlüssel. Aber ein Schloss, das eine Menge Schlüssel öffnen können, ist ein echt beschissenes Schloss.« Doch Scarlett schlägt zurück und nutzt dabei die Stärke mehrerer Frauengenerationen ihrer Familie.

Evan Placey beschreibt mit direkten und ehrlichen Worten, wie grausam Kinder und Jugendliche werden können, wenn sie sich zu einer Gruppe formieren und ein gemeinsames Opfer gefunden haben. Placey stellt drei Frauengenerationen und die Verhältnisse, gegen die sie ankämpfen müssen, in den Vordergrund. Er macht schonungslos deutlich, dass die Kinder derer, die auf die Straßen zogen und sich für das Wahlrecht der Frau einsetzten, dieses Gemeinschaftsgefühl und die Stärke, füreinander einzutreten, verloren haben. Es ist kein ständiger Kampf mehr gegen chauvinistische Machtspielchen, aber ein erbarmungsloser Krieg untereinander, bei dem sich jeder gegenseitig das Leben zur Hölle macht und froh ist, wenn es den anderen trifft. In der Figur der Scarlett lässt Placey einen Hoffnungsschimmer durchblitzen, denn sie zeigt Rückgrat und behauptet sich gegen ein Meer von Mitläuferinnen. Im Zusammenhang mit der Uraufführung am Birmingham Repertory Theatre schrieb »The Guardian«: »Das Stück sollte von vielen Jugendlichen gesehen werden. Und auch von ihren Eltern, die wahrscheinlich geschockt sein werden.«

Kurzbiografie:

Der kanadisch-britische Autor Evan Placey (geboren 1983) wuchs in Toronto auf und lebt in London. Sein erstes abendfüllendes Theaterstück mit dem Titel »Mother of Him« (2010) gewann den King’s Cross Award for New Writing, Canada’s RBC National Playwriting Competition und den Samuel French Canadian Play Contest. Zahlreiche Stücke folgten, darunter »Banana Boys« (2010), »Suicide(s) in Vegas«, »Scarberia« (2012), »How was it for you?« (2012) und »Holloway Jones« (2011). Letzteres erhielt den Brian Way Award 2012 für das beste Jugendstück. Placey schloss sein Studium an der Central School of Speech and Drama und an der McGill University ab und ist heute selbst Dozent an der University of Southampton und unterrichtet dramatisches Schreiben am National Theatre in London, am Tricycle Theatre und in Gefängnissen. Er gewann mit »Mädchen wie die« den Writers’ Guild Award als »Bestes Stück für junges Publikum«.

Sonderpreise zum Deutschen Kindertheaterpreis 2016 und zum Deutschen Jugendtheaterpreis 2016

Körpergrenzen von Franziska Isabella Niehaus | Studium der Theater- und der Politikwissenschaften an der Freien Universität Berlin

Begründung der Jury:

Fläche, natürliche Rundungen, keine Ecken, Dellen, Pfropfen, Risse. Der Körper ist durch die Haut nach außen begrenzt und offenbart einerseits den Zustand, die Gefühle, die Entwicklung und ist andererseits die Hülle des Inneren, ein Mantel des Ich. Alle menschliche Verletzlichkeit zeigt sich in der Haut, die wir permanent versuchen zu modellieren, kaschieren, straffen oder auch zu verhüllen.

Franziska Niehaus nähert sich in ihrem Theatertext, der einer Textfläche aus Assoziationen und Gedanken ähnelt, dem Körper aus der Außen- und Innenperspektive. Sie verhandelt die Haut als Organ und auch als sichtbare und verändernde Fläche, die sich nur von außen zeigt und deren Veränderung sowohl Scham als auch Lust mit sich bringt. In drei Teilen nähert sie sich dem Körper. Wenn er im ersten Teil als zu beschreibendes Objekt verhandelt wird, wird er im zweiten Teil zu einer Art Experimentierfeld, an dem man sich mit all seinen Belastungsgrenzen abarbeitet. Hier sind besonders die Lebensphasen angesprochen, in denen Niehaus die großen Veränderungen vermutet – Jugend, Pubertät, Alter. Mit kleinen Exkursen in Kleidungsgewohnheiten wie den Zwiebellook, oder auch die Übertragung der Hautschichten auf gesellschaftliche Schichten, verweist die Autorin  über die physische Beschaffenheit der Haut hinaus und ergründet die Haut als Metapher. Im dritten Teil verbinden sich Körper und Ich zu einem wir.

In einer überzeugenden Korrespondenz zwischen Inhalt und Form nähert sich Niehaus dem Thema Körper und betrachtet es unter dem Blickwinkel seiner Mehrschichtigkeit – auch in emotionaler Hinsicht. Körpergrenzen ist ein gelungener Anlass um sich jenseits dem pubertär Zugeschriebenen und Klischees einem für alle Altersgruppen sensiblen Thema zu nähern.

Die Reste unserer Kindheit von Alina Rathmann | Studium der Theater- und Filmwissenschaft an der Freien Universitat Berlin

Es ist die Geschichte von fünf jungen Menschen in Zeiten von Entscheidungen und Emanzipationsprozessen, vor dem Hintergrund ihrer Kindheit: Paul ist gerade zu seinem älteren Bruder Jan gezogen, weil er es bei seinem alkoholkranken Vater nicht mehr aushält; Heike’s Hochzeitspläne kollidieren mit der Trennung ihrer Eltern; und Lorenz tut sich schwer mit der Entscheidung seiner schwangeren Freundin Mia, keine Kinder haben zu wollen aufgrund ihrer eigenen Erfahrung als Waise. Das Ganze kulminiert in einem gemeinsamen Abendessen, das der unverzichtbaren Bedeutung von Freundschaft ihren Tribut zollt.

Mit einem genauen Gespür für Sprache und Figuren setzt sich Alina Rathmann in ihrem Stück mit der Frage auseinander, welchen Einfluss Eltern auf ihre Kinder haben, welche Folgen damit verbunden sein können und inwiefern sich die Kinder im Erwachsenenalter davon emanzipieren müssen. Trotz der Vielzahl und Komplexität der Themen schafft sie es, die einzelnen Figuren genau zu entfalten, so dass keines der Themen als Allgemeinplatz verkommt. Und ohne sich dabei in Einzelheiten zu verlieren, legt Alina Rathmann mit „Die Reste unserer Kindheit“ ein gut strukturiertes, kompaktes Stück vor, das die Themen nicht nacheinander ’abfertigt’, sondern diese miteinander verschränkt und auf eine gemeinsame Denkschiene/Verhandlungsebene bringt. Sie offenbart sich als eine genaue Beobachterin von menschlichen Emotionen und Prozessen und beeindruckt durch ihre literarische Umsetzung, die weder moralisch noch aufklärerisch ist, sondern sich auf die Fragen als auf die Antworten konzentriert. So zeichnet es sich als ein intergenerationelles Stück aus, dass die Entscheidungen der Jugend mit den vorherigen mitgegebenen Erfahrungen der Erwachsenen verknüpft.

Feige und Bananenbox (Arbeitstitel) von Rinus Silzle | Studium des Szenisches Schreiben an der Universität der Künste Berlin

Konstanze wird ihr Handy geklaut. Kann man ohne leben? Eben. Also will sie wem anders seins klauen. Sie macht einen super Plan mit ihrem Kumpel, aber es wird unerwartet schwierig. Jemanden mit kleinen Kinder bestehlen?  Lieber nicht. Den mit der toten kleinen Schwester? Erst recht nicht. Und den Typ der so unerwartet nett ist? Schon gar nicht.

 

Sophie mag Dominik. Aber er? Reagiert nicht. Wie macht man das, als Mädchen Jungs abschleppen? Hilft Hartnäckigkeit?

 

Ohne ein klassisches „Problemstück“ zu sein, erzählt Rinus Silzles Stück FEIGE & BANANENBOX aus der Welt von Teenagern. In einem Szenenreigen entfalten sich langsam Zusammenhänge und stellen sich Fragen danach, was gerecht und was feige ist oder welche Rolle die Eltern im Leben von Vierzehnjährigen spielen. Zwei erfreulich starke Mädchenfiguren sind dabei die zentralen Akteurinnen. Am Ende haben viele Handys den Besitzer gewechselt und Sophie gibt Dominiks Mutter ein paar Ratschläge für ihre neue Beziehung und ihren Sohn.


Deutscher Kindertheaterpreis 2014 und Deutscher Jugendtheaterpreis 2014

  • Programmblatt zum Frankfurter Autorenforum für Kinder- und Jugendtheater. Im Rahemn des Forums fand die Preisverleihung statt.
  • Einladung zur Preisverleihung
  • Programmblatt zur Preisverleihung.
  • Frankfurts Oberbürgermeiste, Peter Feldmann (li.), und Prof. Dr. Gerd Taube, Leiter des KJTZ. Foto Karin Berneburg
  • Während der Preisverleihung. Foto Karin Berneburg
  • Die Gewinner*innen des Stipendiums zum Deutschen Kindertheaterpreis 2014 Thilo Reffert, Ruth Johanna Benrath und Michael Müller (v.r.n.l.). Foto Karin Berneburg
  • Der Moderator der Preisverleihung, Martin Baltscheit, präsentiert die nominierten Stücke, musikalisch begleitet von Nicolas Brandenburg. Foto Karin Berneburg
  • Gruppenfoto der Nominierten. V.l.n.r Bettina Bundszus, Abteilungsleiterin Kinder und Jugend im BMFSFJ, Jens Raschke, Kristo Šagor, Carsten Brandau, Anja Hilling, Jan Friedrich, Barbara Christ, David Greig Gerd Taube und Peter Feldmann. Foto Karin Berneburg
  • Preisträger des Deutschen Kindertheaterpreises Jens Raschke (3. v.l.) mit Peter Feldmann, Gerd Taube und Bettina Bundszus. Foto Karin Berneburg
  • Preisträger*innen des Deutschen Jugendtheaterpreises Barbara Christ und David Greig (2.u.3.v.l.) mit Peter Feldmann, Bettina Bundszus und Gerd Taube. Foto Karin Berneburg

Die Jury 2014

Die Mitglieder der Jury

Susanne Freiling, Künstlerische Leiterin des Theaterhaus Ensembles, Frankfurt am Main

Ulrike Hatzer, freie Regisseurin und Theaterpädagogin, Braunschweig

Hannes Oppermann, Dramaturgieassistent am Deutschen Theater, Berlin

Thomas Stumpp, Mitarbeiter im Bereich Theater und Tanz des Goethe-Instituts, München

Dr. Gerd Taube, Leiter des Kinder- und Jugendtheaterzentrums in der Bundesrepublik Deutschland, Frankfurt am Main

Das Fazit der Jury

Bereits zum zehnten Mal hat die Jury die literarische Produktion des Kinder- und Jugendtheaters der letzten beiden Spielzeiten gesichtet und die literarische Qualität, die künstlerische und gesellschaftliche Relevanz sowie die Praxistauglichkeit von Theatertexten für Kinder und Jugendliche evaluiert. Ein grundlegender Befund zu den literarischen Formen zeigt, dass unter den 102 Vorschlägen die geschlossene dramatische Form kaum noch vorkommt und das Episodische, das Episch-Narrative und das Monologische dominieren. Das, wofür Schauspieler ausgebildet werden, ist selten geworden: Dialoge, die in differenzierter Sprache Figuren umreißen, die von Schauspielerinnen und Schauspielern auf der Bühne dargestellt und somit zu lebendigen und vielschichtigen Figuren werden, haben wir kaum gefunden. Und dramatische Situationen, die in der Vergegenwärtigung auf der Bühne ihre szenische und emotionale Kraft entfalten können, sind oft durch Reflexion und Kommentar ersetzt.

Es gibt dafür andere Herausforderungen für die Schauspieler. Das Episch-Narrative erfordert oftmals die direkt an den Zuschauer gerichtete Ansprache, ohne das Grundgerüst einer dramatischen Situation; das erfordert vom Schauspieler aber dennoch eine wahrhaftige Haltung, damit er nicht zur Sprachröhre für Kommentar und Reflexion der Figuren wird. Außerdem muss die dramatische Spannung, die nicht mehr aus der dramatischen Bauform des Stückes resultiert, über andere Verfahren hergestellt werden, denn das Gespanntsein darauf, wie es weiter geht, ist eine grundlegende Erwartungshaltung des Publikums. Das ist eine Herausforderung für Schauspieler und Autoren.

Positiv sind uns die Ergebnisse der Stückentwicklungen von Autoren und Theatern aufgefallen. Sie sind oftmals theatralischer als andere Texte und man merkt ihnen an, dass sie für die Praxis eines Schauspielertheaters geschrieben wurden. Thematisch dominiert weiterhin die Vielfalt. Auffällig sind im Kindertheater Stücke über Tod, Abschiednehmen und Trauer, die diese Themen auf ganz unterschiedlichen symbolischen Ebenen und in oftmals poetischen Geschichten erzählen. Schulversagen, Wohlstandsverwahrlosung und Helikoptereltern sind Themen aus der aktuellen Lebenswelt von Kindern. Themen kindlicher Sozialisation wie Freundschaft, Peer-to-Peer-Beziehungen, Gerechtigkeit und Selbständigkeit werden als Sozialisationsaufgaben der Kindheit reflektiert. Wir erleben starke und mutige Kinder, verletzliche und schwache Kinder, selbständige und hilflose Kinder – ein einheitliches Kindheitsbild lässt sich für das gegenwärtige Kindertheater jedoch nicht feststellen. Der Kindheitsdiskurs im Kindertheater wird dadurch differenzierter.

Allerdings ist der Jury aufgefallen, dass die Helden der Theaterstücke selten Heldinnen sind und der fachliche Diskurs zu Geschlechterkonstruktionen im zeitgenössischen Kinder- und Jugendtheater kaum geführt wird. Und in der Tat, seit der Ausstellung ‚Weibliche Rollen im Kinder- und Jugendtheater‘ im Jahr 2000 hat sich das Kinder- und Jugendtheaterzentrum nur noch am Rande mit der Genderfrage im Kinder- und Jugendtheater beschäftigt.

Zwar wird in der Theaterpraxis hier und da die Diskussion über Geschlechterbilder in der Kinder- und Jugenddramatik geführt. Aber sie müssten wieder zum Gegenstand des Fachdiskurses gemacht werden. Denn das Kinder- und Jugendtheater soll sich auf die ganze Bandbreite der gesellschaftlichen Realität von Kindern und Jugendlichen beziehen. Deshalb muss die Frage nach den Geschlechterkonstruktionen in den Theatertexten für Kinder und Jugendliche gestellt und reflektiert werden.

Und ein anderes Defizit fällt bei den 102 Vorschlägen auf: Figuren, die einen anderen ethnischen oder kulturellen Hintergrund haben sind in den Texten der deutschen Autorinnen und Autoren unterrepräsentiert. Interkulturelle Akzente setzen allenfalls die Texte ausländischer Autorinnen und Autoren. In der Landschaft des deutschen Kinder- und Jugendtheaters ist offensichtlich die Theaterpraxis bereits weiter als die Theaterliteratur. Denn vor allem in Rechercheprojekten und Produktionen mit Jugendlichen werden die ethnische und die kulturelle Vielfalt unserer Gesellschaft repräsentiert und reflektiert.

Wenn wir jetzt erleben, dass nun zunehmend auch Künstlerinnen und Künstler anderer Sparten, die bislang ausschließlich für Erwachsene gearbeitet haben, künstlerisch für Kinder und Jugendliche tätig werden, dann erfüllt sich damit eine jahrzehntelang erhobene Forderung aus der Kinder- und Jugendtheaterszene. Kunst für Kinder soll zur Selbstverständlichkeit werden! Nachdem die Kinder- und Jugendtheater lange dafür gearbeitet und gekämpft haben, dass das Kinder- und Jugendtheater Spartengrenzen überwindet, sollte die Szene den neuen Akteur/innen und Autor/innen mit Offenheit begegnen und weiterhin die Förderung von Autor/innen, egal ob sie literarische Texte schreiben oder ob sie andere Formen der künstlerischen Autorschaft pflegen, als Motor der künstlerischen Entwicklung des Theaters für Kinder und Jugendliche begreifen. So wie der Deutsche Kindertheaterpreis und der Deutsche Jugendtheaterpreis sein 18 Jahren als Motor in der Autorenförderung wirken.

Nominierte und Preisträger*innen für den Deutschen Kindertheaterpreis 2014

Preisträger Kindertheater: Was das Nashorn sah, als es auf die andere Seite des Zauns schaute von Jens Raschke | Theaterstückverlag Brigitte Korn-Wimmer & Franz Wimmer (GbR), München

Begründung der Jury:

Vier Schauspielerinnen und Schauspieler erzählen von einem Zoo. Es ist aber kein gewöhnlicher Zoo, denn er befindet sich direkt hinter dem Zaun zu einem Lager, in dem gestreifte Menschen von Gestiefelten gefangen gehalten werden. Um zu überleben müssen die Tiere in dem Tierpark damit leben, dass sich außerhalb ihres Gefängnisses die unmenschliche Welt der Menschen befindet. Der Bär, ein nicht angepasster Neuankömmling leistet Widerstand und opfert am Ende sein Leben für ein sichtbares Zeichen der Hoffnung.

Angeregt durch das historische Beispiel des Zoos am KZ Buchenwald erzählt Jens Raschke eine aktuelle Parabel über eine totalitäre Machtstruktur sowie über Mächtige und Machtlose aus der Perspektive eingesperrter Zootiere, die eigentlich unbeteiligt und gleichwohl abhängig sind. Ihm gelingt es dabei, ein allgemeingültiges Szenario über Verhaltensmuster und Überlebensstrategien in einer unmenschlichen Welt zu entwerfen. Denn wo Freiheit fehlt, gibt es keine Menschlichkeit.

Werkbeschreibung:

Vier Schauspieler/innen erzählen die Geschichte von einem Zoo vor vielen Jahren. Einem kleinen Zoo auf einem Berg, in dem nur wenige ausgewählte Tiere lebten. Ein Elitezoo. Neben dem Zoo gibt es eine Stadt, mit schönen und hässlichen Häusern. Die hässlichen Häuser sind von den schönen Häusern durch einen summenden und brummenden Zaun getrennt. Hinter dem Zaun leben die Gestreiften, die auch die Tiere im Zoo füttern. In den schönen Häusern wohnen die Gestiefelten, deren Kinder die Tiere mögen und die sie jeden Sonntag im Zoo besuchen kommen. Eines Tages kommt der junge Bär aus Sibirien in dem Zoo an und Papa Pavian weist ihn in die Regeln ein: Die Gestiefelten sind zwar zu Gestreiften böse und gewalttätig, aber zu den Tieren sind sie gut. Und das soll so bleiben. Also nicht hinsehen und Klappe halten! Doch der Bär sieht das Elend der Gestreiften und riecht, dass nicht nur der Gestank des Krematoriums, sondern Unmenschlichkeit und Menschenverachtung in der Luft liegen. Er beugt sich diesem Gesetz nicht. In einem heroischen Akt öffentlichen Widerstands geht er selbst unter und zeigt damit, dass man sich mit Menschenverachtung und Unmenschlichkeit nicht arrangieren darf. Den Zoo von dem der Autor erzählt, gab es wirklich, direkt neben dem KZ Buchenwald. Raschke mischt in seinem Stück historische Wahrheit und poetische Fiktion und erzählt über das Lager aus der Sicht der Tiere.

Kurzbiografie:

Jens Raschke wurde 1970 geboren. Nach dem Studium der Nordischen Literaturwissenschaft und Geschichte arbeitete er als Dramaturg am Schauspielhaus Kiel. Spätere Engagements führten ihn nach Zürich an das Theater am Neumarkt, nach Essen an die Folkwang-Universität und an weitere Theater. Seit 2003 gehört er zum Leitungsteam des internationalen Monodramafestivals ‚Thespis‘ in Kiel. Seit 2007 arbeitet er kontinuierlich als Autor, Dramaturg und Regisseur für das Theater im Werftpark, das Kinder- und Jugendtheater des Theaters Kiel. Sein Stück ‚Schlafen Fische? ‚ erhielt 2012 den Mülheimer KinderStückePreis, für ‚Was das Nashorn sah, als es auf die andere Seite des Zauns schaute‘ wurde er beim Stück-Wettbewerb ‚Kaas & Kappes‘ 2014 ausgezeichnet. Jens Raschke lebt in Kiel.

Dreier steht Kopf (4+) von Carsten Brandau | drei-masken-verlag, München

Begründung der Jury:

Die Figuren heißen Einer, Zweier und Dreier. Der arithmetischen Reihe der Zahlen folgend, muss Einer immer der Erste sein und Zweier immer der Zweite. Ordnung muss sein. Als Dreier dazu kommt, will er dazugehören. Doch in einer auf der natürlichen Reihenfolge der Zahlen beruhenden Weltordnung ist für Dreier kein Platz. Deshalb stellt er die Ordnung in Frage. Und als alle drei die natürliche Reihenfolge hintergehen, steht die Welt auf dem Kopf.

Es geht um Dazugehören, Bestimmendürfen und Ausgrenzen. Die numerische Reihenfolge bestimmt die soziale Rangfolge. Brandaus Figuren befragen solche scheinbar unumstößlichen Regeln der Ordnung. Mit präzise rhythmisierter Sprache, rhetorischen Eigenarten und dadaistisch anmutender Absurdität gibt der Autor seinen abstrakten Figuren ihr unverwechselbares Profil. Carsten Brandaus Stück für Kinder ab 4 Jahren ist ein philosophischer Diskurs über die Fragwürdigkeit ewiger Regeln.

Werkbeschreibung:

Die Welt ist in Ordnung: Einer ist natürlich immer der Erste und Zweier zwangsläufig immer der Zweite. Als allerdings Dreier in diese Ordnung hinein platzt, droht die Welt zu kippen. Denn Dreier will sich nicht damit abfinden, als ewiger Dritter nie mitspielen zu dürfen. Also pfeift er auf die Reihenfolge der Zahlen. Er pfeift auf die Ordnung der Welt und konfrontiert Einer und Zweier mit einer Frage, die die beiden bei all ihrer Ordnungsliebe völlig aus den Augen verloren haben. Ausgehend von der Lebenswirklichkeit von Vorschulkindern erzählt ‚Dreier steht Kopf‘ ein Stück über die Ordnung der Welt, die mit Sprache und spielerischer Phantasie immer wieder mutig auf den Kopf gestellt werden kann und muss.

Kurzbiografie:

Carsten Brandau wurde 1970 in Hamburg geboren. In Trier, London und Heidelberg studierte er Germanistik, Geschichte und Philosophie. Danach arbeitete er als Regieassistent im Schauspieltheater, seit 2000 auch mit eigenen Regiearbeiten. 2012 initiierte er in Hamburg die partizipatorische Stadtteilperformance ‚Altona macht auf! Sehnsuchtsfenster & Balkontheater‘, die er seitdem zusammen mit Tania Lauenburg leitet und die 2013 u.a. mit dem Hamburger Stadtteilpreis“ ausgezeichnet wurde. Für seine dramatischen Arbeiten für Kinder erhielt er zahlreiche Auszeichnungen u.a. für ‚Dreier steht Kopf‘ das Stipendium zum Deutschen Kindertheaterpreis 2012 und den Mülheimer KinderStücke Preis 2015. Carsten Brandau lebt mit seiner Familie in Hamburg.

Patricks Trick von Kirsto Šagor | Gustav Kiepenheuer Bühnenvertriebs GmbH, Berlin

Begründung der Jury:

Patrick wird einen kleinen Bruder bekommen, der behindert sein wird. Während die Eltern noch nachdenken, ob sie das Kind überhaupt wollen, findet Patrick Schritt für Schritt heraus, was das bedeuten wird. Patricks Trick ist die Konstruktion dieses ungeborenen Bruders als Dialogpartner. Und es ist gleichzeitig des Autors Trick: Patrick sucht und findet im Zwiegespräch mit seinem ungeborenen Bruder seine eigene Haltung. Am Ende weiß er, dass er ein großer Bruder werden muss, der seinem kleinen Bruder hilft, ein Mensch zu sein, wie er selbst einer ist.

Rasante Rollenwechsel zwischen den verschiedenen Figuren prägen das Zwei-Personen-Stück strukturell und sprachlich. Kristo Šagor zeigt in seinem ungewöhnlichen Kinderstück Inklusion als einen individuellen und aktiven Vorgang, bei dem eine Veränderung der Haltung Voraussetzung für Verhaltensänderung ist.

Werkbeschreibung:

Patrick (11) bekommt einen kleinen Bruder, obwohl er sich immer einen großen Bruder gewünscht hat. Aus den heimlichen Gesprächen seiner Eltern erfährt er, dass sein Bruder behindert sein und nie sprechen können wird. So macht er sich auf, um zu klären, wie man Sprache lernen kann. Mit Hilfe seines Freundes Valentin, dessen Bruder Danijel, dessen Boxlehrer, einer Verkäuferin, eines Obdachlosen, namens Professor, und seiner Lehrerin findet er heraus, was das für ihn bedeutet. Und dann spricht er auch mit seiner Mutter darüber, die nicht so recht weiß, wie sie ihm alles erklären soll. Er weiß dass er jetzt selbst ein großer Bruder werden wird. Patrick setzt sich mit dem Phänomen der Behinderung auseinander und beginnt, über sich selbst und sein Verhältnis zur Welt nachzudenken. Am Ende weiß er, dass er als Bruder eines behinderten Jungen zwar nichts gegen die Behinderung tun kann. Aber er wird seinem Bruder helfen ein Mensch zu sein, wie er selbst einer ist. Formal ist das Stück raffiniert gebaut. Patrick und sein ungeborener Bruder übernehmen während des dialogischen Erzählens im Wechsel jeweils die Rollen aller anderen Figuren. Ein ungewöhnliches Kinderstück zu einem gesellschaftlich relevanten Thema.

Kurzbiografie:

Der Autor und Regisseur Kristo Šagor wurde 1976 in Stadtoldendorf geboren, wuchs in Lübeck auf und studierte an der FU Berlin und am Trinity College Dublin (Irland) Neuere Deutsche Literatur, Linguistik und Theaterwissenschaft. Er schreibt vor allem Jugendstücke, einige davon werden auch in Übersetzungen im Ausland gespielt. Als Regisseur inszenierte u. a. am Staatsschauspiel Dresden, am Schauspielhaus Bochum und am Staatstheater Hannover. Er ist Lehrbeauftragter an der Zürcher Hochschule der Künste und der Universität Hildesheim. Für seine Inszenierung ‚Törleß‘ am Jungen Schauspielhaus Hamburg erhielt er 2008 den deutschen Theaterpreis ‚DER FAUST‘ in der Kategorie beste Regie im Kinder- und Jugendtheater. Kristo Šagor lebt in Berlin.

Nominierte und Preisträger*innen für den Deutschen Jugendtheaterpreis 2014

Preisträger Jugendtheater: Monster von David Greig | aus dem Englischen von Barbara Christ | Rowohlt Theater Verlag, Reinbeck

Begründung der Jury:

David Greigs Stück ist Punkrockkonzert, Schrank-auf-Schrank-zu-Komödie und Themenstück über die ‚Caring Kids‘ in einem. Und noch viel mehr. Weil der Autor in seinem Stück auf die Rollenaufteilung verzichtet, beschleunigt er damit den Theatertext zum Soundtrack eines jungen Lebensgefühls zwischen Mutwille und Angst: Eine Liebeserklärung an das ‚Trotz alledem‘.

Im Mittelpunkt der Komödie mit tieftraurigem Hintergrund steht Duck. Sie lebt allein mit ihrem schwer kranken Dad. Sie hält den Laden zusammen und tut alles, damit im Zusammenbruch ihrer familiären Ordnung, alles bleibt, wie es ist. Aus dem Paradox von Festhalten und Verändern entstehen wunderbar absurde Vorgänge, die den berührend starken Figuren eine enorme emotionale Tiefe und eine große Bandbreite im Handeln geben.

Die Sprache des Stücks ist extrem musikalisch und der Humor ‚very British‘. In ihrer Übersetzung findet Barbara Christ kongeniale Analogien, um den Sprachwitz, die Situationskomik und die phonetischen Finessen des Originals in der deutschen Fassung zur Wirkung zu bringen.

Werkbeschreibung:

Das titelgebende Monster ist ein Exemplar der berühmten Zweizylinder-Viertaktmaschine Monster 796 von Ducati, scharlachrot, mit einem Hubraum von 803 cm³ und 87 PS und die steht bei der 14jährigen Duck und ihrem schwerkranken Vater im Wandschrank im Flur. Sie ist kaputt denn sie hatte damals ziemlich viel abbekommen, bei dem Unfall, bei dem auch Ducks Mutter starb. Seitdem versucht Duck, den Laden und ihr Leben zusammenzuhalten. Ducks Vater leidet an Multipler Sklerose und verbringt die Nächte kiffend und Bountyriegel essend vor dem Computer. Und Duck, fast noch ein Kind, muss sich um ihn und um sich selbst kümmern. Bisher sind die beiden und die Monster in ihrem Flur ganz gut über die Runden gekommen, aber jetzt gehen die Dinge den Bach runter. Die freundliche Dame vom Jugendamt hat sich für einen Hausbesuch angekündigt, die Wohnung sieht aus wie ein Saustall, Ducks Schulkamerad Lawrence macht ihr ein unmoralisches Angebot, und ausgerechnet heute steht auch noch die radikalanarchistische norwegische Internetbekanntschaft von Ducks Vater vor der Tür. Kurz entschlossen entwickelt Duck einen aberwitzigen Plan, der alle Beteiligten in ein Chaos aus haarsträubenden Lügen und hochgradig verwirrenden Begegnungen verstrickt. Zwischen Pizzakartons, Joints und völlig misslungenen Käsemakkaroni nimmt das Unheil seinen und die Komödie ihren Lauf– rasant, komisch und völlig unabwendbar.

Kurzbiografie:

David Greig wurde 1969 in Edinburgh (Großbritannien) geboren. Er wuchs auf in Jos (Nigeria) und Edinburgh. Dort studierte er an der Bristol University Englisch und Drama. Sein erstes Stück ‚A Savage Reminiscence‘ wurde 1991 beim Edinburgh Festival uraufgeführt. 1992 war Greig erneut beim Edinburgh Festival vertreten, diesmal mit ‚Stalinland‘, beide Stücke wurden für ‚Guardian International Student Award‘ nominiert. 1995 begann David Greigs Zusammenarbeit mit der Performance-Gruppe Suspect Culture.1996/97 war er Hausautor der Royal Shakespeare Company. Die deutsche Übersetzung seines Jugendstücks ‚Monster‘ (UA 2010 in Glasgow) von Barbara Christ wurde 2012 am Staatsschauspiel Hannover erstaufgeführt. David Greig lebt im schottischen Edinburgh.

mir nichts dir nichts von Jan Friedrich | theaterverlagmuenchen, Hamburg

Begründung der Jury:

Mit dem Abschlusszeugnis in der Tasche verbringen sieben Freunde ihren letzten gemeinsamen Sommer am Meer. In dieser besonderen Zeit zwischen Schule und selbstverantwortetem Leben sind die bekannten Regeln des Miteinanders plötzlich ohne Geltung. Was der Höhepunkt ihrer langjährigen Freundschaft werden sollte, entwickelt sich zu einer schonungslosen gegenseitigen Abrechnung. Alle ringen mit der Frage nach dem Sinn des Lebens, wie es war, wie es ist und wie es sein wird.

Der junge Autor Jan Friedrich schafft ein außergewöhnliches Figurentableau mit scharf gezeichneten Charakteren, die er in ein Netz aus Lügen und Geständnissen verstrickt. Das Stück ist ein beängstigend realistisches Psychogramm einer Gruppe junger Menschen, deren Vertrauen in sich und andere plötzlich implodiert.

Werkbeschreibung:

Nach bestandenem Abitur fahren vier Jungs und zwei Mädchen miteinander zum Zelten an die Ostsee. Gemeinsam sind sie groß geworden, teilen Erinnerungen, Jugendfreundschaften und erste Liebesgeschichten. Mia hat ihren Freund mitgebracht, den alle nur ‚Fisch‘ nennen. Sie weiß, dass er mit ihrer besten Freundin Jette schläft, die bald als Au-pair-Mädchen nach Frankreich geht. Butte studiert nach dem Sommer Medizin. Bei seinem besten Freund Hecktor hat der Abi-Schnitt dazu nicht gereicht. Leon will auf die Schauspielschule, hat aber eine pflegebedürftige Familie zu Hause. Zuletzt kommt noch Hecktors kleine Schwester Merle dazu. Es wird getrunken, gebadet, geraucht, gekifft und gequatscht. Hinter ihrem rauen Umgangston verbergen die jungen Menschen auch vor sich selbst Träume, Gefühle und jede Menge Sehnsucht. Im Blick zurück und nach vorn ahnen alle, dass sie die längste Zeit eine eingeschworene Clique gewesen sind und die Zukunft anders als in ihren Träumen erden wird.

Kurzbiografie:

Jan Friedrich wurde 1992 in Lutherstadt Eisleben geboren. Er spielte und inszenierte in verschiedenen Theaterjugendclubs, war Stipendiat des Literarischen Colloquiums Berlin und besuchte dort eine Prosa-Autorenwerkstatt. 2010 gewann er mit einer Kurzgeschichte den Sonderpreis des Autorenwettbewerbs von KulturSPIEGEL und Thalia. 2014 nahm er an Interplay Europe – Festival of Young Playwrights in Bregenz/Österreich teil. Zur Zeit studiert Jan Friedrich Zeitgenössische Puppenspielkunst an der Hochschule für Schauspielkunst ‚Ernst Busch‘ in Berlin.

was innen geht von Anja Hilling | Felix Bloch Erben Verlag für Bühne Film und Funk, Berlin

Begründung der Jury:

Das Stück schildert die radikale Abrechnung eines jungen Menschen mit seiner Lebenswelt, die ihm monströs und übermächtig erscheint. Der Junge ist vierzehn und nicht einverstanden. In dieser Welt sieht er für sich keine Chance. Die Schule ein Angsttraum. Die Mutter nicht hilfreich. Doch dieser Held hat ein reiches Innenleben. Er heißt Ovid und will sich verwandeln. Und niemand bleibt davon verschont.

In ihrem monologischen Text beschreibt die Autorin die Innenwelt dieses Jungen von heute in drastischer und gekonnt verdichteter Sprache: seine inneren Kämpfe und Verletzungen, seine Gewaltfantasien, seine rabiate Wut und seine Sehnsucht nach Veränderung. Sie stattet ihren Helden mit großer Sprachmacht und differenzierten Gefühlen aus. Ein Text der seinem Helden mit großer lyrischer Kraft eine starke Stimme verleiht.

Werkbeschreibung:

Das Stück ist der Monolog des vierzehnjährigen Ovid, der mit seiner Mutter in der Einzimmerwohnung eines Neubaus wohnt. Er hat eine Katze, drei Jeans und keine Chance. Die Mutter ist dem Heroin verfallen und seinen Vater, von dem er sein ölig-schwarzes Haar hat, kennt er nicht. Er hat keine Geschwister und keine Freunde und seit der Grundschule kein Auge mehr zugemacht. Ovids Mitschüler jagen ihn, erpressen und missbrauchen ihn. Sein Fluchtort ist sein inneres Labyrinth, seine Rettung sind seine Metamorphosen. Mit Sprachgewalt reflektiert Ovid in seinem Monolog oft sein Leben und erzählt von seinen Verwandlungen. Er ändert seine Gestalt, sein Wesen, seine Macht, wird zu Vögeln, Bäumen, Blumen, Licht und Wasser. Aus Kälte, Grausamkeit und Mangel an Menschlichem in seinem Leben entwirft er, reich an Dynamik, eine organische Innenwelt, in der es sich aushalten lässt. Doch der unabwendbare Takt seines Lebens konfrontiert ihn immer wieder mit seiner stoisch ignoranten Mutter und den ihn peinigenden Mitschülern. Die Verwandlungen erlösen ihn, ohne ihn zu befreien, und obwohl die Welt ihm ins Gesicht spuckt, wütet eine Liebe in ihm, die am Ende explodiert und die Welt selbst verwandelt.

Kurzbiografie:

Anja Hilling, Jahrgang 1975, lebt als freie Autorin in Berlin. Sie absolvierte Studien der Germanistik und Theaterwissenschaft an der FU Berlin sowie ‚Szenisches Schreiben‘ an der UdK Berlin. Ihr erstes Theaterstück ‚Sterne‘ wurde 2003 zum Stückemarkt des Berliner Theatertreffens eingeladen und dort mit dem Preis der Dresdner Bank für neue Dramatik ausgezeichnet. Ihr folgendes Stück, die Tragikomödie ‚Mein junges idiotisches Herz‘ wurde 2005 in einer Inszenierung der Münchner Kammerspiele zu den Mülheimer Theatertagen eingeladen. Im selben Jahr wird Anja Hilling in der Kritikerumfrage von ‚Theater heute‘ zur Nachwuchsautorin der Saison gewählt. Ihre Theaterstücke werden im In- und Ausland gespielt, zuletzt u. a. am Königlichen Dramatischen Theater, Dramaten, in Stockholm. Ihr Stück für Jugendliche ‚Was innen geht‘ erhielt 2013 den Autorenpreis Kaas & Kappes.

Vergebene Stipendien zum Deutschen Kindertheaterpreis 2014 und Deutschen Jugendtheaterpreis 2014

Projekt Der Junge bei den Fischen von Ruth Johanna Benrath, Berlin

Begründung der Jury:

Die Autorin erhält das Stipendium für ihr Vorhaben, ein Stück über die grenzüberschreitende Verständigung zwischen den Menschen zu schreiben. Die geplante Geschichte eines deutschen Jungen, der von seinen Freunden nicht verstanden wird, obwohl sie dieselbe Sprache sprechen, und seiner Freundschaft mit einem polnischen Mädchen von der anderen Seite des Flusses zeigt, dass man nicht unbedingt dieselbe Sprache sprechen muss, um sich zu verständigen. Die Jury würdigt mit dem Stipendium das Potential von Sprache, welches die Autorin eröffnet und mit der ein bildkräftiges, poetisches Stück für das Kindertheater entstehen kann.

Projekt Die Füße im Himmel von Michael Müller, Hamburg

Begründung der Jury:

Der Autor erhält das Stipendium für sein Vorhaben, ein Stück über die Auswirkungen des Krieges in Afghanistan auf das Leben eines Jungen und seiner Mutter in Deutschland zu schreiben. Der Autor plant die Geschichte einer Vater-Sohn-Beziehung, aus der Rückschau des Jungen, der mit seiner Mutter allein lebt, weil sein Vater beim Militäreinsatz gefallen ist. Den Jungen bewegen die Fragen nach den Umständen des Todes seines Vaters und der Frage nach dem Sinn von Leben und Tod. Die Jury würdigt mit dem Stipendium das Potential der Geschichte, ein gesellschaftlich relevantes und brisantes Thema für das Kindertheater zu entdecken.

Projekt Ronny von Welt von Thilo Reffert, Berlin

Begründung der Jury:

Der Autor erhält das Stipendium für sein Vorhaben, ein Stück über die Fähigkeit eines Jungen zu schreiben, Wirklichkeit als Konstruktion erfahrbar zu machen. Im Zentrum soll dabei die Begabung des Jungen stehen, sich mit seinen Geschichten selbst zu erfinden, Menschen zu faszinieren und diese auch in ihrer Weltwahrnehmung zu verstören. Die Jury würdigt mit dem Stipendium das Potential der Idee, sich durch die Kraft der Erzählkunst eine emanzipatorische Haltung zur Welt anzueignen.


Deutscher Kindertheaterpreis 2012 und Deutscher Jugendtheaterpreis 2012

  • Programmblatt der Preisverleihung.
  • Gruppenbild der Nominierten und Stipendiat*innen. Moderator Martin Baltscheit, die Stipendiat*innen Carsten Brandau, Anja Tuckermann und Esther Becker, die Nominierten Gesine Pagels (in Vertretung für Mike Kenny), Lutz Hübner, Pascal Brullemans, Eva Rottmann, Gerd Taube, Marc Schäfers (in Vertretung für Björn Bicker), Jörg Menke-Peitzmeyer, Regina Kraushaar, Abteilungsleiterin Kinder und Jugend im Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend. Foto Karin Berneburg
  • Marc Schäfers (Verlag schäfersphillipen, Köln) nimmt den Deutschen Jugendtheaterpreis 2012 stellvertretend für Björn Bicker in Empfang.
  • Gesine Pagels (Verlag Felix Bloch Erben, Berlin) nimmt den Deutschen Kindertheaterpreis 2012 stellvertretend für Mike Kenny in Empfang.
  • Martin Baltscheit mit den Gewinner*innen des Stipendiums zum Deutschen Kindertheaterpreis 2012, Carsten Barndau, Anja Tuckermann, Esther Becker, Regina Kraushaar (v.l.n.r). Foto Karin Berneburg
  • Martin Baltscheit, Regina Kraushaar, Dr. Gerd Taube und Hans-Peter Bergner, Referatsleiter im BMFSFJ. Foto Karin Berneburg
  • Stadtrat Prof. Dr. Felix Semmelroth, Kulturdezernent bei seiner Begrüßung der Gäste der Preisverleihung. Foto Karin Berneburg
  • Prof. Dr. Wolfgang Schneider – Vorsitzender der ASSITEJ Bundesrepublik Deutschland e.V. spricht zu den Gästen der Preisverleihung.
  • V.l.n.r.: Walfried Böcker, Kontrabass, Inga Lühning, Gesang, Martin Baltscheit, Moderation. Foto Karin Berneburg
  • V.l.n.r.: Stadträtin Cornelia-Katrin von Plottnitz, Jurymitglieder Thomas Stumpp, Winfried Tobias, Dr. Kathi Loch, Prof. Dr. Wolfgang Schneider, Dr. Gerd Taube. Foto Karin Berneburg
  • Regina Kraushaar, Abteilungsleiterin Kinder und Jugend im Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend. Foto Karin Berneburg
  • Dr. Gerd Taube, Leiter des KJTZ bei seinem Bericht über die Juryarbeit. Foto Karin Berneburg
  • Dr. Kathi Loch, Mitglied der Jury, bei ihrer Laudatio auf Mike Kenny als Gewinner des des Deutschen Kindertheaterpreises 2012. Foto Karin Berneburg
  • Winfried Tobias, Mitglied der Jury, bei ihrer Laudatio auf Mike Kenny als Gewinner des des Deutschen Jugendtheaterpreises 2012. Foto Karin Berneburg
  • Die Mitglieder der Jury Winfried Tobias, Dr. Gerd Taube, Dr. Kathi Loch und Thomas Stumpp. Foto Karin Berneburg

Die Jury 2012

Die Mitglieder der Jury

Kerstin Behrens, Theaterwissenschaftlerin und freie Dramaturgin, Dresden

Dr. Kathi Loch, Dramaturgin am tjg. theater junge generation Dresden

Winfried Tobias, Dramaturg am GRIPS Theater Berlin

Thomas Stumpp, Mitarbeiter im Bereich Theater und Tanz des Goethe-Instituts, München

Dr. Gerd Taube, Leiter des Kinder- und Jugendtheaterzentrums in der Bundesrepublik Deutschland, Frankfurt am Main

Das Fazit der Jury

Das einstige Spezialtheater für Kinder und Jugendliche verortet sich nicht mehr durch künstlerische und strukturelle Abgrenzung, sondern durch Grenzüberschreitungen. So ist Theater für junges Publikum vielerorts zum Normalfall geworden. Das Spezialtheater gilt nun als die Sparte der Spezialisten für junge Zuschauerinnen und Zuschauer und seine künstlerische Praxis verbreitet sich rasch. Dank einer gestärkten Beziehung der Theaterkünstler zur Theaterpädagogik und der damit verbundenen Grenzüberschreitungen in beide Richtungen, kommen die Idee des Kinder- und Jugendtheaters und die damit verbundenen Qualitätsvorstellungen zunehmend in der Praxis des deutschen Stadttheaters an. Künstlerinnen und Künstler, die begierig auf interdisziplinäres und genreübergreifendes Arbeiten sind, erschließen interessiert und risikobereit dem jungen Publikum Ausdrucksformen jenseits des herkömmlichen Schauspieltheaters.

Gegenwärtig gewinnen die moderne Theaterpädagogik, das zeitgenössische Tanztheater und die Performancekunst entscheidenden konzeptionellen Einfluss auf das Profil des Theaters für junges Publikum, indem sie darstellerische, tänzerische und performative Formen des Theaters für soziale und künstlerische Bildungsprozesse nutzbar machen und den aktiven, spielend forschenden und lernenden Menschen in den Mittelpunkt rücken. Und so ist das Theater für junges Publikum als selbstbewusste Kunstform eine sozial wirksame und gesellschaftlich bedeutsame Spielart der Kulturellen Bildung.

Ein Blick auf die Auswahllisten zu den Preisen und in die Spielpläne der Theater für junges Publikum zeigt deutlich, dass die Autorinnen und Autoren, die für Kinder und Jugendliche schreiben einen entscheidenden Anteil am Erfolg des Kinder- und Jugendtheaters haben. Auch sie sind Spezialisten und wir wünschen uns mehr davon: Junge Autorinnen und Autoren, die sich schon während des Studiums des Szenischen Schreibens für das junge Publikum interessieren, erfahrene Autorinnen und Autoren des Kinder- und Jugendtheaters, die in Förderprogrammen wie ‚Nah dran!‘ oder dem Stipendium zum Deutschen Kindertheaterpreis gemeinsam mit den Theatern neue Stücke entwickeln und berühmte Autorinnen und Autoren, die wie der Nominierte Lutz Hübner, in der Sparte Kindertheater debütieren. Die Vergabe von Preisen kann die Mühsal der unermüdlichen Forderung und Förderung neuer Schreib-Projekte nicht ersetzen, aber Preise können Leuchttürme sein, Landmarken an denen man sich orientieren kann. Mit der Vergabe des Deutschen Kindertheaterpreises und des Deutschen Jugendtheaterpreises haben wir dank der zuverlässigen Förderung des preisstiftenden Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend seit 16 Jahren zwei bundesweit strahlende Leuchttürme.

Die insgesamt 153 Vorschläge für die beiden Preise zeigen, dass die Texte des gegenwärtigen Theaters für Kinder und Jugendliche inhaltlich und formal so vielfältig sind wie niemals zuvor. In seinen besten Theatertexten erweist sich das Kinder- und Jugendtheater nach wie vor als emanzipatorisches Theater, das dem jungen Publikum realistische und fantastische, fiktionale und dokumentarische, magische und rationale Zugänge zur Welt eröffnet. Die Texte des Theaters für junges Publikum erzählen immer Geschichten über kindliche und jugendliche Identitätsfindung und Emanzipation, indem die Autorinnen und Autoren lustvoll mit Regeln, Verhaltensweisen und sozialen Hierarchien spielen.

Top-Themen im Jugendtheater sind nach wie vor die Pubertät und die Suche nach Halt und Identität in dieser biografischen Phase der Verunsicherung und Orientierung. Fremdsein und Anderssein sind Motive, die sich in aktuellen Texten des Jugendtheaters häufig finden. Auffällig am aktuellen Jahrgang ist die kritische Auseinandersetzung mit der Abschiebepraxis in Deutschland. In diesen Stücken wird das Theater zu einer politischen Öffentlichkeit und holt sonst verborgene Vorgänge ins Licht. Im Kindertheater dominieren familiäre Themen wie Tod und Trauer, Verlust und Verlustangst, Demenz, abwesende Eltern und Missbrauch. Dieses Themenspektrum verweist auf die dunklen Seiten der Lebenswirklichkeit von Kindern. Dennoch gelingt es den Autorinnen und Autoren des Kindertheaters in ihren Texten, mit fantastischen, komischen und tragikomischen Mitteln starke Kinder zu zeigen, die an den existentiellen Lebenssituationen nicht zerbrechen, sondern mit Hoffnung und Sehnsucht in die Zukunft schauen können.

So hebt das gegenwärtige Theater für junges Publikum die Tradition des Emanzipatorischen Kinder- und Jugendtheaters für die Zukunft auf. Und so müssen wir immer wieder sorgfältig prüfen, wie viel Anteil die Tradition an der Zukunft dieser Theaterform haben muss, denn das künstlerisch und gesellschaftlich Zukunftsfähige entsteht in kritischer Auseinandersetzung mit der Gesellschaft, der aktuellen Theaterkunst und der eigenen Tradition des Kinder-und Jugendtheaters. Den Herausforderungen, die vor dem Theater für junges Publikum stehen, müssen sich nicht nur die Künstlerinnen und Künstler stellen, sondern alle, die an der künstlerischen Entwicklung und der Stärkung der Theaterkunst für junges Publikum als integraler Bestandteil der Theaterkultur und der Kulturellen Bildung in Deutschland interessiert sind!

Nominierte und Preisträger*innen für den Deutschen Kindertheaterpreis 2012

Preisträger Kindertheater: Nachtgeknister (Electric Darkness) von Mike Kenny | aus dem Englischen von Andreas Jandl | Felix Bloch Erben Verlag für Bühne Film und Funk, Berlin

Begründung der Jury:

Jeden Abend bringt Maman ihre Tochter Marie und den kleinen Bruder François mit Schlaflied und Gute-Nacht-Kuss ins Bett. Doch eines Tages beginnt Marie, ihrem Bruder eine unheimliche Geschichte von der Kirmes, der Geisterbahn und von Kinder fressenden Clowns zu erzählen, in der Maman zur Menschenfresserin wird. Nun meint François zu entdecken, seine Mutter verändere sich tatsächlich. In seinem elektrisierenden Stück erzählt Mike Kenny von der Kraft des Geschichtenerzählens, das die Wahrnehmung der Welt verändern kann und von der verstörenden Erfahrung der Fremdheit zwischen Kindern und Eltern, die sich doch lieben. Mit einfacher, bündiger Sprache und in knappen Sätzen erzeugt der Autor die besondere Atmosphäre, in der die gruselige Angstgeschichte erst ihre kathartische Wirkung entfalten kann.

Werkbeschreibung:

Marie und ihr kleiner Bruder François werden jeden Abend von der Mutter ins Bett gebracht. Sie singt ihnen ein Schlaflied vom Mond und verabschiedet sich zur Arbeit in der Küche des benachbarten Cafés. Maman geht mit Marie und François auf die Kirmes. François geht verloren, weil ein Clown seine Aufmerksamkeit erregte. Am Abend erzählt Marie François die Geschichte von den Clowns auf der Kirmes, die Kindersuppe essen. In der Geisterbahn fährt ein Wagen nicht wie alle anderen nach rechts, sondern nach links und kommt in die Küche, wo die in dem Wagen sitzenden Kinder von der Menschenfresserin zu Suppe für die Clowns gekocht werden. Sie mögen besonders Jungs, die sind sehr lecker. Am nächsten Morgen fallen den Kindern merkwürdige Dinge an Maman auf. Das führt zu der Frage, ob Maman sie selbst ist oder eine Menschenfresserin. Marie erzählt ihre Geschichte weiter: Sie gehen auf die Kirmes, in der Geisterbahn sitzen sie in dem Wagen der nach links in die Küche abbiegt. Die Menschenfresser-Maman erwarte sie schon. Sie kocht eine Suppe und Marie darf ihr helfen. Sie würzt und schmeckt ab. Eine Zutat fehlt: François. Und als Marie ihn mit ihrer Erzählung so weit gebracht hat, das als den Lauf der Dinge zu akzeptieren, führt sie in ihrer Erzählung die Wendung herbei und wirft die als Maman getarnte Menschenfresserin in den Kessel. François hilft ihr, den Deckel drauf zu halten. Durch die Geschichte aufgewühlt gehen sie in die Küche der Maman im Café, die Gäste sind schon gegangen. In der Küche gibt’s noch Rinderbraten für die beiden.

Kurzbiografie:

Mike Kenny gewann für seine Theaterstücke für Kinder und Jugendliche zahlreiche Dramatikerpreise in Großbritannien und Kanada. Für ‚Stepping Stones‘ erhielt er in seiner Heimat England als erster Dramatiker den Writers‘ Guild Award. 2003 war er unter den Top Ten der lebenden britischen Autoren gelistet. Kenny hat inzwischen mehr als 50 Stücke geschrieben, von denen viele in England zum festen Bestandteil der Theaterspielpläne gehören. Auf deutschsprachigen Bühnen wurde Mike Kenny mit seinen Stücken ‚Der Junge mit dem Koffer‘ und ‚Der Gärtner‘, vor allem aber mit ‚Die Seiltänzerin‘ bekannt. 2008 wurde sein Auftragswerk ‚Nachtgeknister‘ für die Comédie de Valance in Frankreich mit dem Writers‘ Guild Award als Best Play for Children and Young People ausgezeichnet.

Eisberg (Isberg) von Pascal Brullemans | aus dem kanadischen Französisch von Andreas Jandl | Theaterstückverlag Brigitte Korn-Wimmer & Franz Wimmer (GbR), München

Begründung der Jury:

Drei Geschwister, der Kleine, der Große und die Schwester, ziehen sich nach dem Unfalltod ihrer Eltern wie Asseln in den Keller vor der Fürsorge ihrer Pflegefamilie zurück. Weil die Eltern tot sind, ist ihre Familie noch lange nicht tot, wenn sie nur zusammenhalten. Allein mit sich und mit Trauer und Schmerz entwickeln sie jeweils eigene Strategien um zu überleben. Doch bald verstehen sie einander so wenig, wie das, was ihnen widerfährt. Pascal Brullemans erzählt mit seinem Stück, wie rätselhaft und gegenseitig verstörend die Überlebensstrategien der Betroffenen sein können. Und auch dem Zuschauer erschließt sich das Handeln der Kinder erst nach und nach. Unsentimental, knapp und gesetzt ist die Sprache der drei Kinder, so als suchten sie nach den Worten, die sie für das Unfassbare nicht finden können.

Werkbeschreibung:

Der kleine und der große Bruder und die Schwester, mit Koffern in der Hand, erzählen, wie sie vom Unfalltod ihrer Eltern erfahren haben. Nun stehen die drei im Keller des Hauses der Pflegefamilie, die sie aufgenommen hat. Sie wollen zusammen bleiben. Der Große will, dass sie zusammen halten, denn ihre Familie ist nicht tot, obwohl die Eltern fehlen. Die Schwester ist absonderlich, sie baut aus allen möglichen Gegenständen Skulpturen, die den Keller immer enger werden lassen. Der Kleine sammelt Meldungen von Menschen, die auf besonders tragische und außergewöhnliche Art und Weise zu Tode gekommen sind. Er ist eher bereit, sich auf einen Alleingang einzulassen, denn die absonderliche Schwester stört ihn. Bei einer Keilerei mit der der Große seine Schwester verteidigt, springt der Kleine seinem Bruder nicht bei. Für ihn ist klar, nun ist auch der Große verrückt geworden, er ist allein. Als er das dem Großen sagt, scheuert der ihm eine und der Kleine läuft mit seinem Koffer weg. Die Schwester erklärt dem Großen ihre Skulpturen. Sie hat aus ihrer Erinnerung und den im Keller gefundenen Gegenständen gemeinsame Momente mit den Eltern nachgestellt. Denn ihre Familie ist nicht tot. Sie gehören zusammen. Und der Kleine kommt bestimmt bald zurück.

Kurzbiografie:

Pascal Brullemans arbeitete nach dem Studium im Bereich szenisches Schreiben an der École nationale de théâtre du Canada als Drehbuch- und Bühnenautor und wurde bereits mehrfach für seine Arbeit ausgezeichnet. So erhielt er für seine Adaption des Werkes ‚Camélia‘ von Alexandre Dumas einen Preis von der Académie québécoise du théâtre. Sein Stück ‚Hippocampe‘ wurde von der Association québécoise des critiques de théâtre ausgezeichnet. Weiter hat Brullemans die Kinder- und Jugendstücke ‚L’armoire‘ und ‚Isberg‘ geschrieben. Mit seinem neuesten Stück ‚Vipérine‘ vervollständigt er einen Zyklus, der sich mit dem Thema der Trauer aus der Sicht des Kindes auseinandersetzt.

Held Baltus von Lutz Hübner | Hartmann & Stauffacher Verlag, Köln

Begründung der Jury:

In Lutz Hübners erstem Kinderstück wird der sechsjährige Baltus, der seine alleinerziehende Mutter für sich haben will zum Helden. Gemeinsam mit seiner neunjährigen Freundin Claire bewahrt er sich und seine Mutter Hanna davor, dass der autoritär auftretende Elmar neuer Mann im Hause wird. In bester emanzipatorischer Tradition helfen sich die Kinder selbst, die Familie bekommt eine neue Lebensperspektive und Held Baltus besiegt seine Angst vor Geistern. Lutz Hübner hat ein Well-made-Play mit großartigen dramatischen Charakteren geschrieben, das die konflikthafte Geschichte einer symbiotischen Eltern-Kind-Beziehung in einer Komödie für Kinder erzählt. So kann zeitgenössisches emanzipatorisches Kindertheater aussehen.

Werkbeschreibung:

Der sechsjährige Baltus ist ein Schisser. Er hat Angst vor Gruselfilme im Fernsehen und noch mehr Schiss abends allein zuhause zu bleiben, wenn Hanna, seine Mutter ausgehen will. Die Alleinerziehende ist auf der Suche nach einem Partner und nach einem Vater für Baltus. Seine drei Jahre ältere Freundin Claire erzählt Baltus Geistergeschichten über den neuen Freund der Mutter und so bekommt seine Angst neue Nahrung. Claire und Baltus bauen Geisterfallen und Mutter Hannas Freund Elmar tappt hinein. Für Baltus ist und bleibt Elmar ein Geist der böse ist. Elmar zieht zu Hanna und führt ein Gespräch unter Männern mit Baltus. Er ist jetzt so eine Art Vater und will ihm helfen, ein richtiger Junge zu werden, der keinen Schiss hat. Nun will Claire nachweisen, dass Elmar auf Baltus eifersüchtig ist. Hanna ruft Elmar an: Er soll kommen und dem Schisser einen Schreck einjagen. Macht er das, sei bewiesen, dass er eifersüchtig auf Baltus ist. Elmar sagt gern zu. Claire triumphiert, gemeinsam mit der irritierten Hanna versteckt sie sich. Baltus begegnet dem Geist Elmar. Der wähnt sich mit dem Jungen allein und zeigt ihm, wer bald der Herr im Hause sein wird. Daraufhin schmeißt ihn Hanna raus. Baltus ist ein Held. Und seiner Mutter wird er mehr Zeit zu Aussuchen lassen, damit sie nicht wieder so einen Typen wie den Elmar anschleppt.

Kurzbiografie:

Geboren 1964 in Heilbronn. Nach einem Studium in Münster begann er 1986 seine Ausbildung zum Schauspieler an der Hochschule des Saarlandes für Musik und Theater. Es folgten Engagements u.a. am Saarländischen Staatstheater Saarbrücken und dem Badischen Staatstheater Karlsruhe. Danach arbeitete Hübner als Schauspieler und Regisseur am Rheinischen Landestheater Neuss und dem Theater der Landeshauptstadt Magdeburg. Seit 1996 ist er freiberuflicher Schriftsteller und Regisseur in Berlin, wo er mit Frau und Kind lebt. 1998 wurde Lutz Hübner für ‚Herz Eines Boxers‘ mit dem Deutschen Jugendtheaterpreis ausgezeichnet. Seit Ende der Neunziger Jahre zählt Lutz Hübner zu einem der meistgespielten Gegenwartsdramatiker auf deutschen Bühnen.

Nominierte und Preisträger*innen für den Deutschen Jugendtheaterpreis 2012

Preisträger Jugendtheater: Deportation Cast von Björn Bicker | schaefersphilippen Theater und Medien, Köln

Begründung der Jury:

„Schuld“, „Verantwortung“ und „Rechtfertigung“ übertitelt Björn Bicker die drei Handlungsebenen, auf denen er in seinem Stück von der Abschiebung einer Roma-Familie aus Deutschland in den Kosovo erzählt. Der nüchterne bürokratische Vorgang wird so mit dem Blick auf die darin verwickelten Menschen eindrucksvoll subjektiviert: als Tragödie einer traumatisierten Familie, als Drama einer entzweiten Ersten Liebe, als lukratives Geschäft und als Störfaktor, der die Gewissheiten einer bürgerlichen Mittelschicht ins Wanken bringt. Dabei wird klar, dass zwischen Recht und Gerechtigkeit eine entsetzliche Lücke klafft. Simple Gut-Böse-Zuschreibungen laufen ins Leere und werden dem Mut zur inhaltlichen Komplexität des Autors nicht gerecht. Der Autor etabliert sprachlich pointiert und im Wechsel von pseudo-dokumentarischen, epischen und dialogischen Passagen eine starke theatrale Form.

Werkbeschreibung:

Der fünfzehnjährige Egzon, Sohn einer Roma-Familie, hat nicht mehr gesprochen seit er vier ist und bei einem Überfall auf sein Dorf Grausames erlebt hat. Seine Familie ist aus Deutschland abgeschoben worden. In der alten Heimat sind die Roma nicht willkommen. Der Vater sammelt Dosen auf der nahen Müllkippe, seine Schwester Verena geht im Hotel anschaffen, damit sie die Medikamente für ihren epileptischen Bruder bezahlen kann. Toni sein großer Bruder macht Geschäfte mit den Albanern. Der Vater hält das andauernde Schweigen Egzon nicht mehr aus. Er fährt in das Dorf, um zu erfahren was sein Sohn damals erlebt hat. Egzon trinkt sich Mut an und sticht dem Mann, der seine Schwester auf den Strich schickt mit einem Messer die Augen aus. Im Gefängnis stirbt Egzon. Die Familie flieht. Parallel entwickelt sich die Handlung zwischen Bruno, dem Sohn des Piloten, der in die Tochter der abgeschobenen Roma-Familie verliebt ist und es nicht verwindet, dass Verena jetzt dort ist und nicht wieder zurückkommen darf. Seine Lehrerin bringt ihn auf die Idee, Verena im Kosovo zu besuchen, allerdings soll er sich von seinem Vater begleiten lassen. Doch Bruno klaut der Lehrerin Geld und fliegt allein nach Pristina. Dort holen ihn der Vater und die Lehrerin ab. Auf der Rückfahrt halten sie an einer Raststätte. Bruno hält eine Tankpistole wie eine Dusche über sich, in der anderen Hand ein Feuerzeug. Und der tote Egzon, der als Vierjähriger die verheerende Kraft des Feuers erlebt hatte, steht neben ihm und sagt ruhig: „Kein Feuer, Bruno, kein Feuer.“ Das Stück verwebt die Geschichten zweier Familien zu einem bewegenden und vielschichtigen Spiel um Verantwortung und Schuld. Auf wessen Seite ist das Recht? Und wer spielt seine Rolle am überzeugendsten?

Kurzbiografie:

Geboren 1972. Björn Bicker studierte Literatur, Philosophie und Allgemeine Rhetorik in Tübingen und Wien. Er arbeitete als Dramaturg am Wiener Burgtheater und an den Münchner Kammerspielen. In München erfand, entwickelte und leitete er gemeinsam mit Kollegen in den Jahren 2003 bis 2008 die Stadtprojekte ‚Bunnyhill‘ und ‚Illegal‘. Von verschiedenen Theatern wird Björn Bicker regelmäßig mit Auftragsarbeiten betraut. Etliche seiner Stücke, so auch ‚Deportation Cast‘, wurden vom Bayrischen Hörfunk in Hörspielfassungen übernommen. Weiter ist Björn Bicker Dozent für Dramaturgie, Theatergeschichte und Szenisches Schreiben an der Otto-Falckenberg-Schule in München.

Getürkt von Jörg Menke-Peitzmeyer | Theaterverlag Hofmann-Paul, Berlin

Begründung der Jury:

Musa ist als Libanese in Deutschland aufgewachsen. Er spricht, liest und denkt Deutsch. Als den Behörden auffällt, dass sich seine türkischen Eltern fälschlich als libanesische Bürgerkriegsflüchtlinge ausgegeben haben, wird er von einem Augenblick zum anderen ein Türke. Er ringt mit seiner neuen Identität, die er nicht annehmen kann, die er sogar verachtet. Jörg Menke-Peitzmeyer schildert den Zynismus und Wahnsinn der Geschichte einer Abschiebung. Mit sprachlicher Wucht zeichnet der Autor einen starken selbstbewussten Protagonisten, während er seine Gegenspieler vom Amt satirisch darstellt und die Absurdität des amtlich verordneten Identitätswechsels komisch zuspitzt. Er bietet aber keine Lösung an, sondern zeigt nur die Situation der Figuren und ihre Reaktionen darauf.

Werkbeschreibung:

Als der Ausländerbehörde auffällt, dass sich seine türkischen Eltern zu Unrecht als Bürgerkriegsflüchtlinge aus dem Libanon, ausgegeben haben wird per amtlichem Bescheid aus dem in Deutschland geborenen, vermeintlichen Libanesen Musa von einem Augenblick zum anderen ein Türke. Nun wird der Achtzehnjährige abgeschoben. Und er ringt mit seiner neuen Identität, die er nicht annehmen kann, die er verachtet. Amtsleiter Trostmann von der Ausländerbehörde, der Recht und Gesetz durchsetzt, und die Sachbearbeiterin Ulrike, die immer Mitleid mit den Fällen hat, sind geübt im Abschieben und sprechen über ihre Erfahrungen. In Strombergscher Manier hält Trostmann den Büroalltag in einer Art Video-Tagebuch fest. Musa sitzt im Abschiebeknast und dann im Flieger nach Istanbul, wo er sich als Löwe in der Fremde fühlt. Als seine türkische Freundin aus Berlin kommt, um ihn zu besuchen, schlägt er sie in der Verzweiflung des unbehausten und getürkten Libanesen. Sie fliegt zurück, er bleibt zurück. Entscheidend ist, ob man sich frei bewegen kann, weil man Geld und den richtigen Pass hat oder ob man sich nicht frei bewegen kann, weil man kein Geld und nicht den richtigen Pass und deshalb dort bleiben muss, wo man hingeschickt oder hineingeboren wurde.

Kurzbiografie:

Geboren 1966 in Westfalen. Nach seinem Studium an der Folkwang Hochschule in Essen führten ihn Engagements nach Mainz, Gießen, an das Theater am Kurfürstendamm und das Schlossparktheater in Berlin. Auf sein zweites Studium in dramatischem Schreiben folgten Auftragsarbeiten für das Theater der Altmark Stendal, das Theater Freiberg, das Grips-Theater Berlin und das Schloßtheater Moers. Seit 2006 lebt er als freiberuflicher Autor und Schauspieler in Berlin.

Die mich jagen von Eva Rottmann | Felix Bloch Erben Verlag für Bühne Film und Funk, Berlin

Begründung der Jury:

Wie wäre es, in einer Welt zu leben, die kein Oben und kein Unten mehr kennt? Eva Rottmanns Stück beschreibt den schleichenden Orientierungsverlust im scheinbar geordneten Gefüge einer kleinen Stadt. Charlotte zieht durch die Straßen, der alte Adam hockt am Fenster, Eigenbrödler Yannik behält auf dem Schulhof Charlotte immer im Blick. In einer Nacht treffen sie alle in Yanniks Haus aufeinander. Die Autorin kombiniert für ihr Drama Liebesgeschichte und Krimihandlung, beim gekonnten Spiel mit kleinen sprachlichen Verschiebungen und starken Symbolen gelingen ihr surreal anmutende Momente. ‚Die mich jagen‘ ist ein sorgfältig komponiertes Stück über Sein und Haben, gleichzeitig Komödie und bissiger Kommentar auf verlorene Glücksversprechen und den Anpassungsdruck einer Gesellschaft, die unter ökonomischem Druck zusehends auseinanderdriftet.

Werkbeschreibung:

Das Mädchen Charlotte (17) ist mal wieder mit der Mutter umgezogen. Sie trifft den alten Adam, der immer nur am Fenster seiner Wohnung sitzt. Jannik sieht sie auf dem Schulhof und ist von ihr hingerissen und will ihr eigentlich nur wie ein Schatten folgen, nur in ihrer Nähe sein, sie riechen, ihre Haut sehen. Und dann spricht er doch mit ihr und lädt sie ein zu sich nach Hause. An dem Abend kann Adam nicht schlafen, er hält es nicht mehr zuhause aus und läuft zu Jannik. Er schläft auf dem Sofa ein, obwohl Jannik ihn bittet, nach Hause zu gehen. Und dann kommt Charlotte und sagt Jannik, dass sie heute vielleicht noch mit ihm schlafen wird. Charlotte nähert sich Jannik. Sie trinken und reden und eigentlich wollen sie schwimmen im Pool hinter dem Haus. Adam sitzt im Kleiderschrank und oben zieht Charlotte sich aus, doch Jannik denkt an Adam und erzählt Charlotte von dem Mann im Schrank. Er will die Polizei rufen. Charlotte beschwichtigt ihn.

Adam erzählt von seiner Frau, die sei ein wenig sonderbar und rechne ständig die Einnahmen und Ausgaben nach. Das rührt Charlotte, sie meint, es seien genug Klamotten, um Adam einige für seine Eva mitzugeben. Da holt Jannik die Polizei, die das Haus umstellt. Eine Stimme erzählt davon, wie Adam seine Frau mit einer Bratpfanne erschlagen hat, weil er die Zahlenkolonnen nicht mehr ertrug, mit denen sie ihr Leben in ein Notizbuch schrieb. Und wie er dann immer am Fenster saß und seine erschlagene Frau seit Tagen am Küchentisch. Als die Polizei das Haus stürmt übergießt sich Adam mit Benzin und zündet sich an. Am Tag nach Adams und Evas Beerdigung trifft Charlotte Jannik vor Adams ehemaliger Wohnung. Jannik will bald weg, in die Antarktis und sie werden wohl zusammen gehen und beim Whiteout gemeinsam verrückt werden und der Polarfuchs schaut zu und dann… dann küssen sie sich wohl endlich.

Kurzbiografie:

Geboren 1983 in Würzburg. Nach ihrem Studium an der Zürcher Hochschule der Künste ist sie diplomierte freie Theaterschaffende und arbeitet als Theaterpädagogin, Regisseurin und Autorin. Ihr Theaterstück ‚Eidechsen und Salamander‘ wurde mit dem Kathrin-Türks-Preis des Landestheaters Burghofbühne Dinslaken und mit dem deutsch-niederländisch en Jugenddramatikerpreis ‚Kaas und Kappes‘ ausgezeichnet. Für ihr Stück ‚Skills‘ erhielt Eva Rottmann 2012 den Jugendtheaterpreis Baden-Württemberg. Im Auftrag verschiedener Theater arbeitet Eva Rottmann regelmäßig als Theaterautorin.

Vergebene Stipendien zum Deutschen Kindertheaterpreis 2012 und Deutschen Jugendtheaterpreis 2012

Projekt Supertrumpf von Esther Becker, Zürich (Schweiz)

Begründung der Jury:

Die Jury würdigt mit dem Stipendium das Konzept der Autorin, das Thema Magersucht als dramatischen Katalysator für die Darstellung sozialer Beziehungen und von Vertrauenskonflikten in der Familie zu nutzen und dem ernsten Sujet absurde und komische Seiten abzugewinnen.

Projekt Dreier steht Kopf von Carsten Brandau, Hamburg

Begründung der Jury:

Die Jury würdigt mit dem Stipendium den konzeptionellen Ansatz des Autors, mit Blick auf die Ordnung der Zahlen die soziale Ordnung der Welt zu beleuchten. Der überzeugende Entwurf lässt auf ein lustvolles Spiel mit Worten, Zahlen und der Weltordnung dahinter in einem ernsthaften Stück für Vorschulkinder hoffen.

Projekt Fünf ist meine Lieblingszahl von Anja Tuckermann, Berlin

Begründung der Jury:

Die Jury würdigt mit dem Stipendium das Vorhaben, die Lebenswelt eines zehnjährigen Mädchens und die ganz eigene Welt ihrer dementen Großmutter aufeinander zu beziehen. Aus dem dramatischen Dialog der Generationen kann ein komisches Stück für Kinder entstehen.


Deutscher Kindertheaterpreis 2010 und Deutscher Jugendtheaterpreis 2010

  • Gäste der Preisverleihung auf der Zuschauertribüne in der Naxoshalle in Frankfurt am Main. Foto Karin Berneburg
  • Stadträtin Cornelia-Katrin von Plottnitz begrüßt die Gäste der Preisverleihung im Namen der Stadt Frankfurt am Main. Foto Karin Berneburg
  • V.l.n.r.: Dr. Gerd Taube, die Gewinner*innen des Stipendiums zum Deutschen Kindertheaterpreis 2010 Juliane Blech, Maja Das Gupta und Bernhard Studlar sowie Josef Hecken, Staatssekretär im Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend. Foto Karin Berneburg
  • Die Mitglieder der Jury, Thomas Stumpp und Kirstin Hess (v.l.n.r.) stellen die für den Deutschen Jugendtheaterpreis 2010 nominierten Autorinnen und Autoren vor.
  • Prof. Dr. Wolfgang Schneider, Vorsitzender der ASSITEJ Bundesrepublik Deutschland e.V. spricht zu den Gästen der Preisverleihung. Foto Karin Berneburg
  • Das Theaterhaus Ensemble mit Uta Nawrath, Günther Henne, Susanne Schyns und Michael Meyer (v.l.n.r.) gestaltet die musikalischen Intermezzi mit Szenen aus dem Sing-Spiel „Kuckuck, Esel, Kaperfahrt“ Foto Karin Berneburg
  • Dr. Gerd Taube (li.) und Staatsekretär Josef Hecken (2. v. re.) mit den Nominierten für den Deutschen Kindertheaterpreis 2010, Franziska Steiof, Charles Way, Roel Adam. Foto Karin Berneburg
  • Der Preisträger des Deutschen Kindertheaterpreises 2010, Charles Way, mit den Jurymitglieder Elisa Priester (2. v. li.) und Amelie Mallmann (2. v. li.) sowie Dr. Gerd Taube (li.) und Staatsekretär Josef Hecken (re.). Foto Karin Berneburg
  • V.l.n.r.: Thomas Stumpp, Dr. Gerd Taube, die Nominierten für den Deutschen Jugendtheaterpreis 2010, Martin Baltscheit, Thomas Maahg (Verlag der Autoren) in Vertretung für Wajdi Mouawad und Benoît Vermeulen, Tina Müller, sowie Kirstin Hess und Staatsekretär Josef Hecken. Foto Karin Berneburg
  • Der Preisträger des Deutschen Jugendtheaterpreises 2010, Martin Baltscheit (mi.), mit Thomas Stumpp, Dr. Gerd Taube, Staatsekretär Josef Hecken und Kirstin Hess (v.l.n.r.). Foto Karin Berneburg

Die Jury 2010

Die Mitglieder der Jury

Kirstin Hess, Dramaturgin und Theaterpädagogin am Jungen Schauspielhaus Düsseldorf

Amelie Mallmann, Dramaturgin am THEATER AN DER PARKAUE, Junges Staatstheater Berlin

Elisa Priester, Kulturwissenschaftlerin, Hildesheim

Thomas Stumpp, Mitarbeiter im Bereich Theater und Tanz des Goethe-Instituts

Dr. Gerd Taube, Leiter des Kinder- und Jugendtheaterzentrums in der Bundesrepublik Deutschland, Frankfurt am Main

Das Fazit der Jury

Für den Deutschen Kindertheaterpreis 2010 sind insgesamt 154 Texte eingesandt worden, 30 mehr als 2008. Bei einem Blick auf die für den Deutschen Kindertheaterpreis 2010 nominierten Stücke fällt auf, dass die beiden Autoren und die Autorin als Stoffe literarische Vorlagen gewählt haben und alle drei Texte als Auftragsarbeiten von Theatern entstanden sind.

Obwohl oder gerade weil die Nominierungen damit nicht repräsentativ für die Einsendungen in der Kindertheater-Sparte sind, lässt sich aus dieser Beobachtung die Frage ableiten, ob mehr Zusammenarbeit von Theatern und Autoren nötig ist, weil so die Expertise der Theatermacher über ihr Publikum in die Entwicklung der Texte einfließen kann? Und mit Blick auf die gewählten Stoffe und den Wirklichkeitsbezug der nominierten Theatertexte ließe sich schlussfolgern, dass die Reflexion des Hier und Jetzt in einer alten Geschichte offensichtlich einen überzeugenderen künstlerischen Zugriff erlaubt, als das Streben nach dramatischem Realismus. Zumindest hat die Jury bei ihrer Lektüre beobachtet, dass Autorinnen und Autoren von Theatertexten für Kinder in der Auseinandersetzung mit literarischen oder filmischen Vorlagen oftmals eine überzeugendere szenische Fantasie entfalten, als wenn sie eine selbst erfundene Geschichte erzählen.

Das ist im Jugendtheater anders, die Autoren und die Autorin der nominierten Stücke erfinden Geschichten aus dem Hier und Heute, und spielen kunstvoll mit den Zeiten und Räumen, den Figuren und ihren Beziehungen. Und obwohl die Themenwahl im Jugendtheater noch zu oft den oberflächlichen gesellschaftlichen Konsens bedient, dass die Jugend eine Zeit mit vielen Problemen ist, die als zu überwindende Defizite dargestellt werden, erscheinen die Autorinnen und Autoren des Jugendtheaters insgesamt souveräner im Umgang mit den Mitteln des Theaters.

Was machte demgegenüber einen guten Kindertheaterautor aus? Der Künstler, der für Kinder arbeitet, muss den Kindern emotional und rational nahe sein, ohne seine eigene künstlerische Identität und seine Identität als Erwachsener aufzugeben. Er sollte seinen künstlerischen Willen in ein bewusstes Verhältnis zu Lebensrealität und Erfahrungen seines Publikums setzen. Das Experiment der ‚Akademie für generationsübergreifendes Sehen‘ während des Internationalen Symposiums ‚Play Young‘ im Juli 2010 in Mülheim an der Ruhr hat darüber hinaus gezeigt, dass Theaterkunst für Kinder nicht nur das künstlerische Expertentum braucht, sondern unbedingt auch der Expertise über das Kinderpublikum bedarf.

Nominierte und Preisträger*innen für den Deutschen Kindertheaterpreis 2010

Preisträger Kindertheater: Verschwunden (Missing) von Way Charles | Aus dem Englischen von Anke Ehlers | Theaterstückverlag Brigitte Korn-Wimmer & Franz Wimmer (GbR), München

Begründung der Jury:

Die Figuren dieses Stücks verhehlen ihre Herkunft aus dem Märchen nicht: Der hilf- und arbeitslose Vater, die grausame und geldgierige Stiefmutter und die von ihren Eltern als Last empfundenen verwahrlosten Kinder Hans und Grete. Doch es sind Menschen von heute: Die alte Zeche und der Förderturm lokalisieren das Geschehen, das heruntergekommene Haus der Familie erzählt von prekären Verhältnissen. Die Eltern fassen den monströsen Plan einer Entführung der eigenen Tochter und spekulieren auf das Geld der mitleidsvoll spendenden Gemeinschaft. Am Ende rettet Hans seine Schwester und die Eltern werden bestraft. Das Geld hat Hans im Wald vergraben. Ein Schatz für Grete. Die Geschichte wird von den Figuren aus ihrer jeweiligen Perspektive erzählt. So entsteht eine berührende und konsequent heutige Märchenadaption, die auf die Symbolkraft der Motive und die Spannung des Geschehens setzt. Die epische Wucht des Textes ist eine Herausforderung an jede Inszenierung.

Werkbeschreibung:

Hans und Grete, zwei Geschwister im Revier, müssen zusammenhalten, seitdem ihre Stiefmutter in ihr Leben trat. Hans geht arbeiten, statt in die Schule, um seine Schwester finanziell zu unterstützen. Er stiehlt sogar für sie. Grete hat gelernt dauerhaft zu lächeln, um ihr Leben erträglicher zu machen und mit dem Grinsen ihre Hoffnungslosigkeit zu maskieren. Als der Vater seinen Job verliert, sieht die Stiefmutter ihre Hoffnungen auf ein besseres Leben dahin schwinden. Dumm ist sie aber nicht, ein neuer Plan ist schnell geschmiedet: Ihr Cousin soll Grete entführen, die Beute wird geteilt. Zwar beobachtet Hans die Entführung, doch er kann den Plan nicht durchkreuzen. Polizei und Medien werden eingeschaltet. Die Bevölkerung spendet Geld; der Plan scheint aufzugehen. Durch einen Trick gelingt es Hans jedoch, Grete zu befreien. Die Stiefmutter und der Vater müssen ins Gefängnis und Hans vergräbt das gespendete Geld. Ein Schatz für Grete.

Kurzbiografie:

Geboren 1955 in Tiverton (Großbritannien). Way schreibt seit 1978, damals noch als Hausautor am Leeds Playhouse, Stücke für das professionelle Theater sowohl für Erwachsene als auch für Kinder. Er arbeitet immer wieder intensiv mit verschiedenen Theatergruppen in England und Wales zusammen, die sich neuen Themen und Ideen aufgeschlossen zeigen. Charles Way hat inzwischen über vierzig Stücke geschrieben, die weltweit gespielt werden. Das nominierte Stück entstand im Auftrag des Consol Theaters Gelsenkirchen.

Alles für das Feuer (Alles wil het vuur) von Roel Adam | Aus dem Niederländischen von Eva Maria Pieper | Verlag der Autoren, Frankfurt am Main

Begründung der Jury:

Roel Adam verhandelt in seiner Bearbeitung der Legende von Tristan und Isolde die hochaktuelle Frage von Selbstbestimmung oder Ergebenheit in die Verhältnisse. Königin Isolde pocht auf ihr Recht auf Autonomie und ist bereit alles dafür zu geben. Hin- und hergerissen zwischen Politik und Individualität, setzt sich Tristan leidenschaftlich für die Freundschaft mit seinem König ein. Doch dieser wird sie seiner Gier nach Macht opfern. Berührend lässt Roel Adam die Liebe von Tristan und Isolde während einer Prügelei auf Leben und Tod beginnen. Selten ist schöner gezeigt worden, was es bedeutet, „den Kampf mit sich selber in Würde zu bestehen“, wie Janusz Korczack das Menschsein umschrieb. Das Stück erzählt eine Geschichte über die Kraft bedingungsloser Entschiedenheit und den Wert von Freundschaft und Liebe. Sie endet tragisch. Doch sie muss erzählt werden, weil sie von der Qualität des Andersseins im Zeitalter der Nivellierungen berichtet.

Werkbeschreibung:

Ewig soll die Freundschaft zwischen König Mark und seinem Ritter Tristan währen – das haben sich die beiden an dem Tag geschworen, als sie sich auf den Weg zu Königin Isolde machen. König Mark will sie heiraten und sein Reich mit dem ihrem vereinen, wie es ihre Väter vereinbart haben. Aber Isolde hat nicht die Absicht, sich heiraten zu lassen – es sei denn, der Kandidat kann ihren besten Ritter im Kampf besiegen. Mark nimmt die Herausforderung an, schickt aber den verkleideten Tristan in den Kampf. Tristan ahnt nicht, dass ihm in Gestalt des schwarzen Ritters Isolde selbst entgegentritt. Am Ende des Kampfes gibt es keinen Sieger – aber zwei, die sich im Kampf gefunden haben.

Kurzbiografie:

Geboren 1953 in Den Haag (Niederlande). Während seiner Ausbildung an der Akademie voor Expressie door Woord en Gebaar in Utrecht von 1972 bis 1976 war er 1975 Mitbegründer der Theatergruppe Lijn Negen und arbeitete dort bis 1985 als Schauspieler, Regisseur und Autor. 1986 war er Mitbegründer des Theaters El Dorado und bis 1989 Mitglied der künstlerischen Leitung. Seit 1990 ist er künstlerischer Berater des Theaters Huis aan de Amstel in Amsterdam. Roel Adam lebt in Amsterdam.

Undine, die kleine Meerjungfrau von Franziska Steiof | Verlag Autorenagentur, Berlin

Begründung der Jury:

Der Autorin gelingt in ihrer Bearbeitung des Andersen-Märchens ein starker Zugriff auf den Undine-Mythos und sie erzählt eine eigenwillige Emanzipationsgeschichte. Undine verlässt gegen den Willen ihres Vaters und gegen das Gesetz die Unterwasserwelt und ist fremd in der neuen Welt mit anderen Regeln und Gewohnheiten. Ihre Liebe zu dem Prinzen, den sie gerettet hat, ist für ihn nur eine Spielerei. Doch Undine geht ihren Weg und verlangt ihr Herz zurück, um in einer weiteren Transformation zum Luftgeist zu werden. So wird gleichsam metaphorisch eine Seite in der Entwicklung von Kindern dargestellt, die eines Tages ebenfalls Bindungen lösen und in die Welt hinausgehen müssen. Mit ihrer gleichermaßen komischen wie traurig-schönen Bühnenfasssung gelingt es Franziska Steiof Kindern unausgesprochen Mut zu machen, um sich auf Neues einzulassen und die Ungewissheiten der Zukunft als Lebens-Chance zu begreifen.

Werkbeschreibung:

Für Undine, die Tochter des Meerkönigs, gibt es keine größere Freude, als den Geschichten von der fernen, fremden Menschwelt zu lauschen. Nachdem sie dem jungen Prinz Hans das Leben gerettet hat, wählt sie einen gefahrvollen Weg, um seine Liebe zu gewinnen. Sie begibt sich in die Menschenwelt und lernt im Schloss des Prinzen die seltsamen Geschöpfe auf zwei Beinen kennen, deren merkwürdige Regeln sie erst einmal auf den Kopf stellt. Doch ihre Liebe wird auf eine schwere Probe gestellt, als der Prinz eine andere Frau heiraten soll.

Kurzbiografie:

Geboren 1962. Seit 1992 ist Franziska Steiof als freie Regisseurin und Theaterautorin tätig. Oft inszeniert sie ihre Stücke selbst, darunter auch Kinder- und Jugendstücke. Sie arbeitete u. a. auf Kampnagel, Hamburg, am Grips-Theater, Berlin, an den Städtischen Bühnen Kiel, am Düsseldorfer Schauspielhaus, am Theater der Jugend in Wien, am Staatstheater Oldenburg sowie am Bremer Theater und am Deutschen Schauspielhaus in Hamburg. Ihre beiden Inszenierungen am GRIPS-Theater in Berlin, ‚Baden gehn‘ und ‚Rosa‘, wurden für den Friedrich-Luft-Preis nominiert. 2002 war sie in Kiel an der Gründung der freien Gruppe professioneller Theaterschaffender ‚DeichArt‘ beteiligt, deren Mitglied sie ist. Sie arbeitet als Regisseurin, Autorin, Business Coach und als Kommunikationsberaterin. Franziska Steiof lebt in Hamburg.

Nominierte und Preisträger*innen für den Deutschen Jugendtheaterpreis 2010

Preisträger Jugendtheater: Die besseren Wälder von Martin Baltscheit | Verlag für Kindertheater Weitendorf GmbH, Hamburg

Begründung der Jury:

Der Autor hat ein Tierstück für Jugendliche geschrieben, das allein ist ungewöhnlich und bemerkenswert. Ein kinderloses Schafsehepaar nimmt einen kleinen elternlosen Wolf an Kindes statt an. Der Wolf im Schafspelz lernt fleißig ein Schaf zu sein und verblüfft mit seinem Gesang und anderen Fähigkeiten. Der Zaun, der die heile Schafwelt umschließt, ist für ihn kein Hindernis. Des Mordes an seiner besten Schaffreundin bezichtigt, flieht er und bleibt auch im Rudel der Wölfe ein Außenseiter. Schließlich lebt er mit dem Bären, der sich für eine Biene hält und der Gans, die sich als Fuchs fühlt zusammen und bekennt sich zu seiner Identität als Schafswolf. Die besseren Wälder, zu denen einst seine Wolfseltern auf dem Weg waren und den Jägern zum Opfer fielen, sind oftmals näher als man glaubt. Diese Parabel über Herkunft und Zukunft erzählt von der Sehnsucht nach dem besseren Leben, deren Preis nicht Assimilation bis zur Selbstaufgabe sein darf.

Werkbeschreibung:

Auf dem Weg in die besseren Wälder gerät eine Wolfsfamilie in einen Schneesturm. Mutter und Vater Wolf werden von den Jägern erschossen. Der Wolfsjunge aber bleibt im Schnee stecken und als der taut liegt er zwischen dem weißen Schaf und dem schwarzen Bock auf der Frühlingswiese. Die beiden wünschen sich schon lange ein Kind und beschließen, den kleinen Wolf als Schaf aufzuziehen. Bald tut Ferdinand, was Schafe nicht dürfen. Er springt über Zäune. Und er singt schöner als alle anderen das ‚Schafe Maria‘. Als seine Schaf-Freundin tot aufgefunden wird, gerät er unter Verdacht. Ferdinand flieht aus dem Gefängnis zu den Wölfen hinter dem Zaun, um einer von ihnen zu werden. Doch als weißer Wolf findet er keinen Anschluss und wird von den anderen verstoßen. Doch dann begegnet er seinen beiden Zellengenossen wieder, dem Bären, der meint eine Biene zu sein und der Gans, die sich als Fuchs fühlt. Ferdinand beschließt in das Haus des Bienenbärs und der Fuchsgans zu ziehen. Seine Schafeltern denken wehmütig an ihn. Und sein Schafkumpel der Bock Beck ist noch immer verblüfft: „Warum soll ein Wolf kein Schaf sein? Es kommt doch nicht darauf an, wo du herkommst. Es kommt darauf an, wo du hingehst und mit wem.“

Kurzbiografie:

Geboren 1965 in Düsseldorf. Martin Baltscheit studierte Kommunikationsdesign an der Folkwangschule in Essen. Von 1986 bis 1992 war er Mitglied des Theaters ‚Junges Ensemble Düsseldorf‘. Er zeichnete zunächst Comics, danach widmete er sich vor allem dem Schreiben und Illustrieren von Bilderbüchern. Außerdem entstanden zahlreiche Hörspiele und Trickfilme. Er arbeitete auch als Schauspieler und Theaterautor. Für seine Arbeiten erhielt er zahlreiche Auszeichnungen. Martin Baltscheit lebt in Düsseldorf.

Die Durstigen (Assoiffés) von Wajdi Mouawad, zusammen mit Benoît Vermeulen | aus dem Frankokanadischen von Uli Menke | Verlag der Autoren, Frankfurt am Main

Begründung der Jury:

Der Durst nach Leben bringt den jungen Boon zum Schreiben: Er kreiert mit dem Mädchen Norwegen eine Figur, die plötzlich ein Eigenleben bekommt. Die Suche nach dem Sinn hinter allem Alltäglichen treibt den jungen Murdoch zum wütenden Aufschrei gegen die Welt und in den Tod: Echauffiert und unaufhörlich schimpfend taumelt er dem Abgrund entgegen. Fünfzehn Jahre später, werden er und das fiktive Mädchen eng umschlungen als Wasserleichen aus einem Fluss gefischt und dem Gerichtsanthropologen Boon auf den Tisch gelegt. Das Stück mit einem Gerichtsmediziner als Erzählerfigur spitzt anhand der beiden Protagonisten existenzielle Lebensfragen zu: Wie will ich leben? Was ist meine Leidenschaft? Was mache ich mit der Wut in mir? Das hochkomplexe und geheimnisvolle Stück ist analytisch wie ein Fernsehkrimi, es verwebt kunstvoll Fiktion und Realität miteinander und lässt den Zuschauer mit der Frage zurück: Was ist die Wahrheit?

Werkbeschreibung:

Der Gerichtsanthropologe Boon muss zwei Wasserleichen identifizieren, die eng umschlungen aus dem Fluss gefischt wurden. In der einen erkennt er seinen Freund Murdoch wieder, der vor fünfzehn Jahren spurlos verschwunden war. Die Identität des Mädchens, mit dem er so lange auf dem Grund gelegen hat, gibt Boon jedoch genauso Rätsel auf, wie das damalige Verschwinden seines Freundes Murdoch, der auf der Suche nach dem Sinn hinter allem Alltäglichen und oftmals sinnlos Erscheinenden war. Boon erinnert sich an seine Schulzeit, als er die merkwürdige Geschichte von dem Mädchen mit Namen Norwegen geschrieben hatte. Eine unheimliche Geschichte mit einer monströsen Pointe. Kann es sein, dass es dieses fiktive Mädchen ist, mit dem Murdoch vor fünfzehn Jahren auf dem Eis getanzt hatte, um dann einzubrechen und mit ihr auf den Grund des Flusses zu sinken? Was ist die Wahrheit?

Kurzbiografie:

Wajdi Mouawad: Geboren 1968 in Deir-el-Kamar (Libanon). Er wuchs in Frankreich auf und immigrierte in jungen Jahren nach Québec (Kanada). Nach seiner Schauspielausbildung an der Ecole Nationale du Canada und als Mitbegründer des Théâtre Ô Parleur ist Wajdi Mouawad als Schauspieler, Autor und Regisseur vor allem in der Theaterszene Montréals, wo er für die wichtigsten Bühnen inszeniert, präsent. 1999 landete mit seinem Stück ‚Littoral‘ einen großen Erfolg beim Festival in Avignon und wird seither auch in Frankreich als Autor stark wahrgenommen. Von 2000 bis 2004 leitete er das Théâtre de Quat’Sous in Montréal. Wajdi Mouawad lebt in Montreal (Kanada).

Benoît Vermeulen: Geboren 1964. Er studierte Theater am Collége Lionel-Groulx in Québec. Er arbeitete als Schauspieler am Theater Le Carrousel und der in Montreal ansässigen Groupe multidisciplinaire. 1989 gründete er gemeinsam mit Monique Gosselin und Sylvain Scott das Jugendtheater Théâtre Le Clou, in dessen künstlerischer Leitung er bis heute aktiv ist. Seit 1992 führt er Regie und arbeitet als Produzent. Seit 2007 ist er für die Kinder- und Jugendtheatersparte am Théâtre Français des Centre National des Arts du Canada in Ottawa unter der Künstlerischen Leitung von Wajdi Mouawad verantwortlich.

Filmriss von Tina Müller | Rowohlt Theater Verlag, Reinbek

Begründung der Jury:

Auf dem Schulhof wird über Poppen und Ficken, Impfen und Knallen geredet. Im Lehrerzimmer diskutieren sie schockiert über ein Handyvideo, das an der Schule kursiert. Und ein Elternchor fragt sich, warum ihre Kinder nicht so sind, wie sie es sich vorstellen. Tina Müller zeigt Parallelwelten der Auseinandersetzung mit jugendlicher Sexualität und Identität. Alle Figuren reden über das Unbekannte, das ihnen verlockend oder beängstigend erscheint. Die Jugendlichen sprechen eine pornographische Sprache, wenn sie sich über ihre angeblichen sexuellen Praktiken austauschen. Die Erwachsenen reden über das ihnen unverständliche Verhalten der Jugendlichen. Alle reagieren auf die Welt der anderen, aber ohne Verständnis füreinander. Tina Müllers Stück provoziert durch seine sprachliche Direktheit und Brutalität, ist anrührend in seiner großen Ehrlichkeit und unterhaltsam in der pointierten Zeichnung von Personen und Situationen.

Werkbeschreibung:

An der Schule kursiert ein anstößiger Handyfilm. Die vierzehn- bis sechszehnjährigen Schüler reden darüber. Sie reden Klartext über den Sex den sie gerne hätten. Sie schockieren ihre Lehrer damit und die reagieren mit Konferenzen, in denen deutlich wird, wie wenig sie die Jugendlichen verstehen. Und sie schockieren ihre Eltern, deren Erwartungen, Vorurteilen und Klischees von ihren Kindern nicht mehr erfüllt werden. Während die besorgten Eltern klagen und der Lehrkörper sich in Aktionismus flüchtet, suchen die Jugendlichen ihre eigene Sexualität hinter der pornographischen Bilderflut der Medien, irgendwo auf dem schmalen Grat zwischen Provokation und Verstörung. Das Stück über Jugendliche, Sex und was Erwachsene darüber zu wissen glauben entstand auf Basis von Gesprächen mit Teenagern.

Kurzbiografie:

Geboren 1980 in Zürich (Schweiz). Von 2001 bis 2004 studierte sie Kulturwissenschaften an der Universität Hildesheim, ab 2004 Szenisches Schreiben an der Universität der Künste, Berlin. Sie war 2003 zum Festival für Nachwuchsdramatiker ‚World Interplay‘ in Townsville (Australien) eingeladen und sie hat Auftragsstücke für Theater in der Schweiz und Deutschland geschrieben. Ihr Jugendstück ‚Bikini‘ wurde mit dem 3. Preis des niederländisch-deutschen Kinder- und Jugendtheaterfestivals Kaas & Kappes 2005 sowie dem 2. Baden-Württembergischen Jugendtheaterpreis 2006 ausgezeichnet und erhielt den Deutschen Jugendtheaterpreis 2008. Tina Müller lebt und arbeitet als Autorin in Berlin.

Vergebene Stipendien zum Deutschen Kindertheaterpreis 2010 und Deutschen Jugendtheaterpreis 2010

Projekt Ich glaube was, was du nicht glaubst von Juliane Blech, Halle an der Saale

Begründung der Jury:

Die Jury würdigt mit dem Stipendium die Wahl des gesellschaftlich bedeutsamen Themas Glauben, das mit Fantasie, Absurdität und Poesie in einem Stück für Kinder bearbeitet werden soll. Besonders die sprachliche Kompetenz der Autorin lässt auf ein neues Stück Literatur für das Kindertheater hoffen.

Projekt Mrs. und Miss Scatterbrain kopflos in Indien von Maja Das Gupta, München

Begründung der Jury:

Die Jury würdigt mit dem Stipendium den konzeptionellen Ansatz der Autorin, das Fremde und Unbekannte nicht als Problem zu beschreiben, sondern lustvoll die Ebenen von Realität und Mythos zu vermischen. Das überzeugende Konzept zur Partizipation von Kindern zielt darauf, den Zuschauern eine besondere Erfahrung von Fremdheit vermitteln.

Projekt Um die Ecke von Bernhard Studlar, Wien

Begründung der Jury:

Die Jury würdigt mit dem Stipendium die Professionalität und Erfahrung des Autors und das Konzept, auf dessen Grundlage er erstmals ein Stück für kleine Kinder schreiben wird. Das Kindertheater in Deutschland braucht Autoren und Stücke für die jüngsten Zuschauer.


Deutscher Kindertheaterpreis 2008 und Deutscher Jugendtheaterpreis 2008

  • Das Ensemble der Jungen Oper am Nationaltheater Mannheim präsentiert Ausschnitte aus dem Musiktheater für Kinder „Schaf“, nach einem Konzept von Flora Verbrugge in der Regie von Andrea Gronemeyer. Es musizieren Sora Korkmaz (Mezzosopran), Julia Weigel (Sopran), Gregor Herrmann (Cello) und Marie-Theres Justus-Roth (Cembalo). Foto Karin Berneburg
  • Prof. Dr. Wolfgang Schneider, Vorsitzender der ASSITEJ Deutschland bei seinem Grußwort. Foto Karin Berneburg
  • V.l.n.r.: Stadträtin Cornelia-Katrin von Plottnitz, Prof. Dr. Wolfgang Schneider, Dr. Gerd Taube, Bürgermeisterin Jutta Ebeling. Foto Karin Berneburg
  • Dr. Gerd Taube (li.) und Hans-Peter Bergner, Referatsleiter im BMFSFJ (re.) mit den Gewinner*innen der Stipendien zum Deutschen Kindertheaterpreis 2008, Jörg Menke-Peitzmeyer, Katharina Schlender und Erik Schäffler (v.l.n.r.). Foto Karin Berneburg
  • Dr. Gerd Taube, Leiter des KJTZ bei seinem Bericht über die Juryarbeit. Foto Karin Berneburg
  • V.l.n.r. in der ersten Reihe: Heike Hambrock, Kulturpolitische Sprecherin der Grünen im Römer, die Nominierten für den Deutschen Kindertheaterpreis 2008, Bente Jonker, Katrin Lange, Andreas Steudtner in Vertretung für Guus Kuijer sowie die Nominierten für den Deutschen Jugendtheaterpreis 2008, Jan Sobrie und Tina Müller. Foto Karin Berneburg
  • Dr. Gerd Taube (li.) und Hans-Peter Bergner, Referatsleiter im BMFSFJ (re.) mit den Nominierten für den Deutschen Kindertheaterpreis 2008, Bente Jonker, Katrin Lange, Andreas Steudtner in Vertretung für Guus Kuijer (v.l.n.r.). Im Hintergrund Marion Firlus und Hans-Peter Frings (Jury). Foto Karin Berneburg
  • Dr. Gerd Taube (li.) und Hans-Peter Bergner, Referatsleiter im BMFSFJ (re.) mit der Preisträgerin des Deutschen Kindertheaterpreises 2008, Katrin Lange (mi.). Im Hintergrund Marion Firlus und Hans-Peter Frings (Jury). Foto Karin Berneburg
  • Marion Firlus, Chefdramaturgin des Theaters der Jungen Welt Leipzig (li.) und Hans-Peter Frings, Dramaturg am schauspielfrankfurt (re.) stellen die Nominierten für den Deutschen Kindertheaterpreis 2008 vor. Foto Karin Berneburg
  • Die Preisträgerin des Deutschen Kindertheaterpreises 2008, Katrin Lange, bei ihrer Dankesrede. Foto Karin Berneburg
  • Die Mitglieder der Jury, Prof. Dr. Ute Pinkert, Professorin für Theaterpädagogik an der Universität der Künste Berlin (li.) und Thomas Stumpp, Mitarbeiter im Bereich Theater und Tanz des Goethe-Instituts in München (re) stellen die Nominierten für den Deutschen Jugendtheaterpreis 2008 vor. Foto Karin Berneburg
  • Dr. Gerd Taube (li.) und Hans-Peter Bergner, Referatsleiter im BMFSFJ (re.) mit den Nominierten für den Deutschen Jugendtheaterpreis 2008, Jan Sobrie und Tina Müller (v.l.n.r.). Im Hintergrund Prof. Dr. Ute Pinkert und Thomas Stumpp. Foto Karin Berneburg

Die Jury 2008

Die Mitglieder der Jury

Marion Firlus, Chefdramaturgin des Theaters der Jungen Welt, Leipzig

Hans-Peter Frings, Dramaturg am schauspielfrankfurt, Frankfurt am Main

Prof. Dr. Ute Pinkert, Professorin für Theaterpädagogik an der Universität der Künste, Berlin

Thomas Stumpp; Mitarbeiter im Bereich Theater und Tanz des Goethe-Instituts, München

Dr. Gerd Taube, Leiter des Kinder- und Jugendtheaterzentrums in der Bundesrepublik Deutschland, Frankfurt am Main

Das Fazit der Jury

Für den Deutschen Kindertheaterpreis 2008 und den Deutschen Jugendtheaterpreis 2008 sind 125 Texte vorgeschlagen worden. Das Verhältnis von 67 Vorschlägen für den Deutschen Kindertheaterpreis und 58 Vorschlägen für den Deutschen Jugendtheaterpreis, das 2006 noch deutlich zugunsten des Kindertheaters ausfiel, weist zunächst oberflächlich auf ein Erstarken des Jugendtheaters hin. Bei dem Versuch, in den beiden Sparten des Kindertheaters und des Jugendtheaters inhaltliche Trends und Tendenzen zu beschreiben, lassen sich zudem für das Jugendtheater deutlichere stoffliche und inhaltliche Schwerpunkte beobachten als im Kindertheater.

Ein prägendes Thema des aktuellen Jugendtheaters ist die Suche nach der eigenen Identität der jungen Protagonisten in einer Gesellschaft, in der verbindliche Werte und Normen zur Orientierung fehlen und in der auch Erwachsene zunehmend den Überblick verlieren. Die Elterngeneration kommt in den aktuellen Stücken des Jugendtheaters kaum vor, wird entweder nur zitiert oder als derart egoistisch geschildert, wie man es sonst den Teenagern vorwirft. Damit erscheint die erwachsene Generation eher als passiv und selbstbezogen, während sich die Aktivität der jugendlichen Protagonisten oft in Gewalt gegen sich selbst und andere äußert. Ihre Aggressivität ist eine Überlebensstrategie: Die Figuren wollen sich selbst spüren, der Wirkung eigenen Handelns gewahr werden und sich unabhängig machen von den Erwartungen und Urteilen anderer. Sie intensivieren in der Ausübung und dem Erleiden von Gewalt ihre Erfahrungen, um ihrem Leben einen Sinn geben. In der Aggressivität der Sprache drückt sich deutlich aus, dass es in den Figurenbeziehungen nicht nur um körperliche, sondern auch um psychische Gewalt geht. Doch manches Mal fehlt den Konflikten die Fallhöhe, weshalb so mancher Theatertext über eine soziologisierende Abbildung von Realität nicht hinauskommt.

Im Jugendtheater wie im Kindertheater ist eine deutliche Dominanz von nicht dramatischen Bauformen zu beobachten. Viele Autorinnen und Autoren spielen mit den Prinzipien und Elementen des Erzähltheaters. Die den besten Stücken dieser Art eingeschriebene lustvolle Distanzierung von Rollen-Ich und Darsteller-Ich fordert den Schauspieler heraus, durch fortwährenden Wechsel zwischen Erzähler- und Darstellerfunktion, seine Wandlungsfähigkeit und Flexibilität in der Rollengestaltung zu zeigen und zu entwickeln. Gleichzeitig schaffen die epischen Formen Situationen, in denen Figuren sich mit ihren Äußerungen direkt an die Zuschauer wenden. Die Texte thematisieren damit gleichzeitig den Unterschied und die Beziehungen zwischen der Wirklichkeit der Zuschauer und der Realität, die das Theater schafft.

So eindeutige inhaltliche Schwerpunkte wie für das Jugendtheater lassen sich für das Kindertheater nicht formulieren. Positiv gedeutet verweist das auf die große stoffliche Breite des Kindertheaters. Während im Jugendtheater die realistischen Stoffe mit deutlichem Bezug auf die aktuelle Lebensrealität dominieren und sich die Stücke mit historischen oder fantastischen Stoffen an den Fingern einer Hand abzählen lassen, ist das Verhältnis von aktuellen und fiktiven Stoffen im Kindertheater ausgewogener. Die Stücke erzählen mythologische, poetische und phantastische Geschichten ebenso wie Geschichten über den Alltag in der Schule und der Familie. Einigen Texten war anzumerken, dass ihre Autorinnen und Autoren zu wenig auf die Symbolkraft des Theaters und die ästhetische Lesefähigkeit der jungen Zuschauer vertrauen, zu eindeutig sind die Geschichten konstruiert und zu eindimensional wird in ihnen Realität abgebildet.

Nominierte und Preisträger*innen für den Deutschen Kindertheaterpreis 2008

Preisträgerin Kindertheater: Unter hohem Himmel: Parzival von Katrin Lange | Verlag Autorenagentur, Berlin

Begründung der Jury:

Der einstmals hohe Himmel hängt schon lange gefährlich tief, als Parzival mit der Strickjacke der Mutter den heimatlichen Rübenacker verlässt, um nach dem verlorenen Gral zu suchen. Aber die ersehnte Welt hinter den Bergen ist erbarmungslos und schwer zu durchschauen, wenn man keine Fragen stellen darf. So irrt Parzival von Abenteuer zu Abenteuer, versucht sich in der Liebe und im Kampf. Sein Weg vom Kind zum Gralskönig scheint mehr als nur einmal zum Scheitern verurteilt. Seine Reise zum Gral ist auch eine Reise zu sich selbst, bunt und prall wie das Leben, Irrtum eingeschlossen. Katrin Lange findet für den Gral eine so einfache wie überzeugende Übersetzung: Der Traum von einem friedlichen Miteinander, der so schwer zu realisieren ist. Sie erzählt ein Märchen, einen Mythos, der dennoch von uns spricht, unaufdringlich, zeitlos, aber umso deutlicher. Das tut sie ohne jedes Pathos, in einer heutigen Sprache, bildhaft und voller Witz.

Werkbeschreibung:

Wenn man in seinem Leben nur einen Wald, einen Menschen und eine Rübensorte kennt, dann drei Ritter trifft, die eines Königs Sohn suchen, der man selbst ist, man aber nichts davon weiß… Dann ist man nicht nur verwirrt, sondern auch neugierig. Und das Abenteuer kann beginnen. Als tölpelhafter Junge begibt sich Parzival auf eine abenteuerliche Reise und erreicht schließlich als frisch geschlagener Ritter die Burg des Königs und Gralhüters Anfortas. Parzival fehlen allerdings noch ritterliche Herzensgüte und Hilfsbereitschaft und statt dem kranken Anfortas zu helfen, macht er alles falsch und verfehlt damit fast seine Bestimmung, die Kraft des Grals zu neuem Leben zu erwecken und so die dunkle, kriegerische Welt zu heilen. In einem zweiten Anlauf wird Parzival nicht nur ein edler Ritter, sondern auch König der Gralsburg. In humorvoller und sprachlich gelungener Weise setzt sich Katrin Langes Parzival-Bearbeitung kritisch mit der kriegerischen Welt vor 800 Jahren, heute und in 800 Jahren auseinander, ohne dabei den mythischen Kontext verlassen zu müssen.

Kurzbiografie:

Katrin Lange wird 1942 in Berlin geboren. Die promovierte Theaterwissenschaftlerin war Dramaturgin in Chemnitz, Dresden und Berlin. Ab 1982 arbeitete sie als freischaffende Autorin und Journalistin. Ihr reichhaltiges literarisches Gesamtwerk enthält auch zahlreiche Stücke, Hörspiele und Drehbücher für Kinder. Ihr Stück ‚Vineta. Zweimal hin und zurück‘ erhielt 1993 den Baden-Württembergischen Jugendtheaterpreis. Die Berliner Uraufführung ihres mehrfach nachgespielten Stücks ‚Das Mädchen Kiesel und der Hund‘ wurde mit einer Einladung zum Vierten Deutschen Kinder- und Jugendtheater-Treffen in Berlin 1997 ausgezeichnet. Ihr Stück ‚Ikar – Zu Wasser, zu Lande, in der Luft‘ war für den Deutschen Kindertheaterpreis 2006 nominiert. Die Aufführungsrechte ihrer Stücke liegen beim Verlag Autorenagentur, Berlin.

Der zerbrochene Schlüssel (De gebroken sleutel) von Bente Jonker | Aus dem Niederländischen von Barbara Buri | Verlag der Autoren, Frankfurt am Main

Begründung der Jury:

Zwei Mädchen, Stella und Luna, durch eine Mauer voneinander getrennt, sehnen sich nach einer Schwester. Doch da ist auch die Angst, hinter die Mauer zu schauen, und so bleiben sie, wo sie sind: Stella bei der Oma, Lena mit ihrer Puppe. Als die Oma stirbt und die Puppe verloren geht, machen sich die Mädchen vorsichtig auf die Suche nach dem, was hinter der Mauer ist, beide mit einem zerbrochenen Schlüssel in der Hand und begleitet vom Mond und dem Meer. Das Stück ist eine zarte, poetische und humorvolle Version der zwei Königskinder, die schließlich doch zusammenkommen. Es ist auch die Geschichte einer Emanzipation – von fremden Vorurteilen und unbegründeten Ängsten –, die das Theater als Wunderkammer und Raritätenkabinett zu nutzen weiß, um die kleinen Zuschauer auf eine abenteuerliche Reise zu den eigenen Wünschen zu entführen.

Werkbeschreibung:

Das neue Stück von Bente Jonker handelt von zwei einsamen Mädchen, nämlich von Stella, dem Schifferkind, die sich alleine um ihre Oma Kraak kümmern muss, und von Luna, dem Patenkind des Mondes, die zum Spielen bloß eine Puppenschwester hat. Die beiden sind durch eine uralte Mauer getrennt, die hauptsächlich aus Vorurteilen und Ängsten besteht. Bis eines Tages der Mond beschließt, ihnen zu helfen. Doch letztlich sind es Stella und Luna selbst, die es schaffen, die Mauer zu überwinden.

Kurzbiografie:

Bente Jonker wird 1971 in Delft (Niederlande) geboren. Die Schauspielerin, Autorin und Regisseurin studierte an der Theaterakademie in Maastricht und an der Hochschule der Künste in Utrecht und lebt heute in Haarlem (Niederlande). 1998 gründete sie die Theatergruppe ‚Het Gerucht‘. Sie spielt in Theater-, Film- und Fernsehproduktionen und ist mir ihrem für die ‚Theatergroep Wederzijds‘ geschriebene Stück ‚Zabibi und Muzalifa‘ in Deutschland als Autorin bekannt geworden. Die Aufführungsrechte ihrer Stücke liegen beim Verlag der Autoren, Frankfurt am Main.

Wir alle für immer zusammen (Voor altijd samen, amen) von Guus Kuijer | Aus dem Niederländischen von Sylke Hachmeister | Verlag für Kindertheater Weitendorf GmbH, Hamburg

Begründung der Jury:

Pollekes Eltern sind geschieden – wie die Eltern vieler ihrer Mitschüler auch. Pollekes Vater dealt mit Drogen und landet im Knast. Pollekes Mutter verliebt sich in Pollekes Klassenlehrer und will ihn heiraten. Und Polleke liebt Mimun, einen marokkanischen Jungen, dem die Eltern den Kontakt zu Polleke verboten haben. Inmitten dieser kreuz- und quer liegenden Beziehungskisten sucht Polleke ihren Weg. Ein humorvolles Stück übers Erwachsenwerden – mit Erwachsenen, die manchmal schlimmer sind als Kinder und einer kindlichen Heldin, die sich mit robustem Selbstbewusstsein und poetischer Phantasie eine schwierige Welt zutraut und dabei zur Dichterin reift. Eine szenisch reizvolle Bühnenbearbeitung des gleichnamigen Kinderbuchs für drei Darsteller in mehreren Rollen.

Werkbeschreibung:

Polleke ist elf und will Dichterin werden. Genau wie ihr Vater Spiek, den sie dafür hält, seit er ihr einen kleinen Geburtstagsreim geschenkt hat. Aber Spiek braucht Drogen viel dringender als Gedichte. Und Pollekes Freund Mimun liebt sie zwar, darf es aber eigentlich nicht: wegen Kultur und Religion. Schließlich verliebt sich Pollekes Mutter auch noch in den Klassenlehrer, so was darf doch eigentlich nicht passieren. Polleke erlebt eine Kindheit in der Gegenwart: Die Erwachsenen suchen nach dem privaten Glück und scheitern manchmal daran, die Kinder sind konfrontiert mit ebenso vielen individuellen Möglichkeiten wie gesellschaftlichen Einschränkungen. Polleke sucht ihren Weg und verarbeitet ihr Leben in kleinen poetischen Gedichten. Sie bleibt spontan und offenherzig, in der Lage aus Liebe zu verzeihen und den anderen und sich selbst immer neue Chancen zu geben. Polleke ist ein großartiges Mädchen.“Guus Kuijer hat seine selbstbewusste Polleke mitten ins pralle Leben gestellt, ihre Gedanken und ihre Sprache bewegen sich mit wohltuender Leichtigkeit ganz nah am Fluss der Zeit.“ Hamburger Abendblatt

Kurzbiografie:

Guus Kuijer wird 1942 in Amsterdam geboren. Von 1966 bis 1973 arbeitete er als Volksschullehrer, sein erstes Kinderbuch erschien 1975. Heute zählt Guus Kuijer zu den bekanntesten und am meisten ausgezeichneten Autoren der Niederlande. Für sein Buch ‚Wir alle für immer zusammen‘ erhielt er 2002 den Deutschen Jugendliteraturpreis, mit dem er 1982 schon einmal für das Buch ‚Erzähl mir von Oma‘ geehrt worden war. Neben dem Jahres-LUCHS 2006 für ‚Das Buch von allen Dingen‘ erhielt er zahlreiche weitere deutsche und internationale Buchpreise. Die Theaterrechte für seine Kinderbücher liegen beim Verlag für Kindertheater Uwe Weitendorf GmbH, Hamburg.

Nominierte und Preisträger*innen für den Deutschen Jugendtheaterpreis 2008

Preisträger Jugendtheater: Kiwi von Daniel Danis | Aus dem Frankokanadischen von Gerda Gensberger | S. Fischer Verlag GmbH, Theater & Medien, Frankfurt am Main

Begründung der Jury:

Kiwi, Litchi und die anderen Kinder haben ihr altes Leben „unter einem Scheißhaufen begraben“ und sich Obst- und Gemüsenamen gegeben. Aus dem Gefängnis für Waisen geflohen, leben sie miteinander am Rande einer Metropole in einer eigenen Gemeinschaft. In dieser gibt es die gleichen Probleme wie überall auf der Welt, doch die ständige existenzielle Bedrohung ihres Lebens zwingt diese Teenager, über sich hinaus zu wachsen. Daniel Danis lässt seine Protagonisten ohne jede Sentimentalität von einem Leben am anderen Ende der Welt berichten. In der Gegenwärtigkeit und Atemlosigkeit der Erzählung liegt ein Sog, der der Geschichte dieser Namenlosen eine große Kraft verleiht.

Werkbeschreibung:

Als die Slums in der unbekannten Stadt dem Olympischen Dorf für die nächsten Spiele weichen sollen und zwangsgeräumt werden, wird ein zwölfjähriges Mädchen von ihren Verwandten zurückgelassen. Ihm bleiben allein die Wollmütze ihrer toten Mutter und der Schlüsselbund ihres toten Vaters. In der Stadt trifft sie auf eine Gruppe von obdachlosen Kindern und Jugendlichen. Sie wird in die ‚Familie‘, wie die Gruppe sich nennt, aufgenommen. Ihr Name ist jetzt Kiwi. Denn alle in der Gruppe tragen die Namen von Obst- oder Gemüsesorten als Symbol für die Abgrenzung von ihrem alten Leben. Kiwis engster Vertrauter ist Litchi, den sie von der Anführerin Mango als Ehemann zugeteilt bekommen hat. Alle aus der Gruppe verbindet eine tiefe Sehnsucht nach Wärme und Geborgenheit und alle träumen von einem neuen, besseren Leben. Ein Leben, das sie gemeinsam in einem Haus mit Hof verbringen wollen. Und für das zum Kauf des Hauses benötigte Geld putzen sie Autos, stehlen sie und prostituieren sich. Dabei befolgen sie eine Regel: Töten ist nicht erlaubt. Als Kiwi und Litchi aber von einem Freier verfolgt werden, bricht Litchie diese Regel und alles wird anders. Er muss gehen und doch gerät die Gruppe immer stärker ins Visier der Geheimpolizei. Heimatlose Jugendbanden machen sich schließlich nicht gut im perfekten Bild der anstehenden Olympischen Spiele. Schließlich eskaliert die Situation. Kiwi ist ein eindrückliches Jugendstück, erzählt, wie andere Stücke des Autors, in poetischen Monologen. Ein Text, der trotz der Ausweglosigkeit der dargestellten Situationen der Hoffnung immer wieder eine Chance lässt.

Kurzbiografie:

Daniel Danis wurde 1962 in Rouyn-Noranda, Québec (Kanada) geboren. Der Schauspieler und Regisseur lebt und arbeitet jetzt als Schriftsteller und bildender Künstler in Saguenay, Québec (Kanada). Sein Debüt als Autor hatte er 1993 mit dem Stück ‚Celle-là‘. Er gilt heute als einer der wichtigsten französischsprachigen Autoren, seine Arbeiten wurden in Frankreich und Kanada mehrfach ausgezeichnet, sie werden in seiner Heimat, Quebec, und außerdem in Schottland, Irland, Frankreich, Belgien, Deutschland und Italien gespielt. Die Stücke von Daniel Danis zeichnen sich durch eine kraftvolle Sprache, lebendige Bildhaftigkeit und eine eigenwillige Erzähltechnik aus. Die Aufführungsrechte seiner Stücke liegen bei der S. Fischer Verlag GmbH, Theater & Medien, Frankfurt am Main.

Bikini von Tina Müller | Rowohlt Theater Verlag, Reinbek

Begründung der Jury:

Conny, Cindy und Sandy sind Freundinnen. So sagen sie, wenn sie sich treffen im Freibad oder am Flussufer, die Jungs beobachten und reden, reden, reden. Doch die Sprache dient ihnen nicht zur Verständigung, sondern zur gegenseitigen Zurichtung in gnadenloser Konkurrenz. Beständig wird geredet, aber nicht kommuniziert, sondern gekämpft. Und wer schweigt, droht zu verlieren. Mit abgründigen Dialogen gelingt Tina Müller ein scheinbares Paradoxon: Ein Konversationsstück über Kommunikationslosigkeit. Die Autorin zieht den Zuschauer durch einen schnellen Sprachrhythmus ins Geschehen und erzählt mit leichter Hand und nicht ohne Witz von den Schwierigkeiten, in einer von Äußerlichkeiten geprägten Gesellschaft zu bestehen.

Werkbeschreibung:

Conny, Cindy und Sandy sind jung, hübsch und sexy. Sie sitzen im Freibad, zicken rum und schauen den Jungs zu, die vom Zehner springen. Bald sind Miss-Bikini-Wahlen, und Cindy wird wieder gewinnen, denn ihr Vater ist Fotograf und einziges Mitglied der Jury. Aber muss sie deshalb auch gleich Thomy, den hübschesten Jungen des Freibads, abkriegen? Warum macht Cindys Vater plötzlich auch Aufnahmen von Conny? An der Oberfläche immer noch beste Freundinnen, werden die drei Mädchen in diesem Sommer zu Konkurrentinnen. Schärfere Töne werden angeschlagen. Cindy ist dauernd weg, Conny benimmt sich seltsam und Sandy gehört schon seit einer Weile nicht mehr richtig dazu, auch wenn sie die Letzte ist, die das merkt. Und am Ende des Sommers wird vieles anders sein… Besonders sein, einzigartig, unwiderstehlich: Bikini erzählt vom alltäglichen Überlebenskampf eines jeden Teenagers. Von Konkurrenz, Freundschaft und Verrat, überdreht, rasant und komisch.

Kurzbiografie:

Tina Müller, 1980 in Zürich (Schweiz) geboren, lebt und arbeitet heute als Autorin in Berlin. Von 2001 bis 2004 studierte sie Kulturwissenschaften an der Universität Hildesheim, ab 2004 Szenisches Schreiben an der Universität der Künste, Berlin. Sie hat 2003 Deutschland beim Festival für Nachwuchsdramatiker ‚World Interplay‘ in Townsville (Australien) vertreten und sie hat Auftragsstücke für Theater in der Schweiz und Deutschland geschrieben. Ihr Jugendstück ‚Bikini‘ wurde mit dem 3. Preis des niederländisch-deutschen Kinder- und Jugendtheaterfestivals ‚Kaas & Kappes‘ 2005 sowie dem 2. Baden-Württembergischen Jugendtheaterpreis 2006 ausgezeichnet. Die Aufführungsrechte ihrer Stücke liegen beim Rowohlt Theater Verlag, Reinbek.

Titus von Jan Sobrie | Aus dem Belgischen von Eva Maria Pieper | Theaterstückverlag Brigitte Korn-Wimmer & Franz Wimmer (GbR), München

Begründung der Jury:

Titus, ein Junge in der Pubertät, steht auf dem Dach seiner Schule und will springen. Doch Titus hat seinen Kopf nicht nur in den Wolken. In einzelnen Episoden erinnert er sich an Situationen seines von Unverständnis, Ablehnung und großen menschlichen Verlusten geprägten Lebens, die ihn aufs Dach getrieben haben. Titus auf dem Sprung wirkt als Katalysator für diese Erinnerungen an seine Suche nach sich selbst und nach dem Glück, so groß, dass ein Fisch vom Himmel fällt. Titus richtet den sprachlich dichten Monolog direkt an den Zuschauer und konfrontiert ihn mit seinen Fragen. Und am Ende fällt ein Fisch aus der Luft. Ein eindrucksvoller Monolog über einen Jungen, der viel mehr drauf hat, als ihm seine Umgebung und er sich selbst zutrauen.

Werkbeschreibung:

Mit Titus Andronicus hat Titus nicht viel gemeinsam. Seine Eltern haben ihn nach dem Lieblingsschwein seines Vaters benannt. Weil das peinlich ist, beruft er sich lieber auf den römischen Feldherren. Dem konnte keiner was anhaben. Titus, das Schwein, konnte immerhin 26 verschiedene Grunzgeräusche. Nur Titus, der ist irgendwie nichts Besonderes. Sein Vater vergisst ihn ständig, seine erste Liebe hat ihn verlassen. Jetzt steht er auf dem Dach der Schule und will springen. Macht doch alles eh keinen Sinn mehr, oder? Das fragt er sich, während er da oben steht und ihn auf einmal alle beachten. In hohem Tempo erzählt Jan Sobrie aus dem Leben eines Jugendlichen, Wahres und Unwahres, Schönes und Trauriges, Witziges und Nachdenkliches vermischen sich zu einem differenzierten Portrait. Unverkitscht, klischeefrei und sensibel zeichnet das Stück die Gedankengänge, Nöte und Glücksmomente eines Jungen in der Pubertät nach.

Kurzbiografie:

Jan Sobrie wird 1979 in Gent (Belgien) geboren. Er studierte Schauspiel an der Theaterschule RITS in Brüssel. Seit seinem Studienabschluss am Jahr 2002 arbeitet er als Schauspieler und schreibt Theaterstücke. Die meisten davon hat er selbst als Schauspieler zur Uraufführung gebracht. Sein Stück ‚Titus‘ wurde 2006 für den belgisch-niederländischen Theaterfestivalpreis nominiert und es gewann 2007 den ersten Preis des niederländisch-deutschen Autorenpreises für Kinder- und Jugendtheater ‚Kass & Kappes‘. Die Aufführungsrechte seiner Stücke liegen beim Theaterstückverlag Brigitte Korn-Wimmer & Franz Wimmer, München.

Vergebene Stipendien zum Deutschen Kindertheaterpreis 2008 und Deutschen Jugendtheaterpreis 2008

Projekt Wenn ich Rockefeller wär von Erik Schäffler, Hamburg

Begründung der Jury:

Die Jury würdigt mit dem Stipendium die mutige Themenwahl, das gesellschaftspolitische Engagement und die dramaturgische Herausforderung des Projektes. Es gibt wenig Kinderstücke, die sich an solche Themen wagen.

Projekt Ich bin ein guter Vater von Jörg Menke-Peitzmeyer, Berlin

Begründung der Jury:

Die Jury würdigt mit dem Stipendium die Professionalität und Erfahrung des Autors, die Relevanz des Themas und das einleuchtende Konzept der Partizipation von Kindern und Vätern. Der Autor hat wieder einen echten Klassenzimmer-Plot gefunden.

Projekt Traum von Katharina Schlender, Berlin

Begründung der Jury:

Die Jury würdigt mit dem Stipendium das überzeugende Konzept der Partizipation von Kindern ab neun Jahren, den besonderen künstlerischen Zugriff, den die Kooperation mit dem Orphtheater verspricht und das wahrhaftige Interesse der Autorin an den Ausdrucksmitteln und Geschichten der Kinder. Das Konzept lässt einen unkonventionellen Text erwarten.


Deutscher Kindertheaterpreis 2006 und Deutscher Jugendtheaterpreis 2006

  • Flyer zur Veröffentlichung der Nominierten für den Deutschen Kindertheaterpreis 2006 und den Deutschen Jugendtheaterpreis 2006.
  • Titel des Programmblatts zur Preisverleihung.
  • Anna Golovin (Flügel), Valérie Hoffmann (Violoncello) und Sophie Müller (Violine) präsentieren Kompositionen von Maurizio Kagel aus der Inszenierung „Der perfekte Ton“ des Jungen Staatstheaters Wiesbaden. Foto Karin Berneburg
  • Stadträtin Cornelia-Katrin von Plottnitz begrüßt die Gäste der Preisverleihung im Namen des Stadt Frankfurt am Main. Foto Karin Berneburg
  • Die Jurymitglieder Thomas Stumpp und Ingeborg von Zadow stellen die nominierten Autor*innen und ihre Stücke vor. Foto Karin Berneburg
  • Dr. Gerd Taube (li.) und Hans-Peter Bergner, Referatsleiter im BMFSFJ (re.) mit den Nominierten für den Deutschen Kindertheaterpreis 2006 und den Deutschen Jugendtheaterpreis 2006. V.l.n.r.: Holger Schober, Ulrich Hub, Jörg Menke-Peitzmeyer, Jan Liedtke, Katrin Lange und Mike Kenny. Foto Karin Berneburg
  • Blick in den Kaisersaal während der Preisverleihung. In der ersten Reihe rechts, die nominierten Autor*innen. Foto Karin Berneburg
  • Hans-Peter Bergner, Referatsleiter im BMFSFJ, bei seiner Ansprache. Foto Karin Berneburg
  • Hans-Peter Bergner, Referatsleiter im BMFSFJ (li.) und Dr. Gerd Taube (re.) mit dem Preisträger des Deutschen Jugendtheaterpreises 2006, Jan Liedtke (2.v.l.) und dem Preisträger des Deutschen Kindertheaterpreises 2006, Ulrich Hub. Foto Karin Berneburg
  • Die Mitglieder der Jury, Felicitas Loewe, Chefdramaturgin des Theaters Junge Generation, Dresden, Andreas Steudtner, Dramaturg für Kinder- und Jugendtheater am Hans-Otto-Theater Potsdam, Ingeborg von Zadow, Autorin (verdeckt) und Thomas Stumpp, Mitarbeiter im Bereich Theater und Tanz des Goethe-Instituts, während der Preisverleihung. Foto Karin Berneburg

Die Jury 2006

Die Mitglieder der Jury

Felicitas Loewe, Chefdramaturgin des Theaters Junge Generation, Dresden

Andreas Steudtner, Dramaturg für Kinder- und Jugendtheater am Hans-Otto-Theater Potsdam

Ingeborg von Zadow, Autorin

Thomas Stumpp, Mitarbeiter im Bereich Theater und Tanz des Goethe-Instituts

Dr. Gerd Taube, Leiter des Kinder- und Jugendtheaterzentrums in der Bundesrepublik Deutschland

Das Fazit der Jury

Auf die Ausschreibung zum Deutschen Kindertheaterpreis 2006 und zum Deutschen Jugendtheaterpreis 2006 waren 103 Vorschläge eingegangen. Zwar waren wieder mehr deutsche Autorinnen und Autoren vorgeschlagen worden als bei dem vorherigen Jahrgang, dennoch war die Jury nicht rund herum zufrieden mit der Ausbeute.

Es war auffällig, dass die künstlerische und literarische Qualität der vorgeschlagenen und eingesandten Texte fast durchweg unter dem Niveau des vorhergehenden Jahrgangs lag. Bei einer Reihe von Texten fiel es sogar schwer, von dramatischer Literatur zu sprechen, denn sie orientierten sich in ihren Plots an der Struktur von Vorabendserien oder Videospielen oder versuchten Formen der Internet-Kommunikation in Chatrooms für die Bühne zu adaptieren. Leider ist es den Autorinnen und Autoren dabei nicht gelungen, diese Phänomene der Jugendkultur künstlerisch und literarisch zu gestalten, zu oft sind die Muster der populären Medien einfach nur nachgeahmt worden. Im Kindertheater waren viele märchenhafte Stoffe und Motive aus Mythen und Legenden zu finden. Oft fehlte dann jedoch die direkte oder poetisch vermittelte Bezugnahme auf die Lebenswirklichkeit der Kinder.

Die Jury hat sich auch kritisch zu dem geringen Anteil von Vorschlägen der Theater geäußert und vor allem die Kinder- und Jugendtheater aufgefordert, ihrer Verantwortung zur Pflege des Repertoires auch durch die Wahrnehmung ihres Vorschlagsrechts gerecht zu werden.

Nominierte und Preisträger*innen für den Deutschen Kindertheaterpreis 2006

Preisträger Kindertheater: An der Arche um Acht von Ulrich Hub | Verlag der Autoren, Frankfurt am Main

Begründung der Jury:

Zwei Pinguine sollen sich bei Noah auf der Arche melden, drei Pinguine sind aber einer zuviel. Ulrich Hub nimmt sich in seinem Kindertheaterstück auf eine für alle Generationen gleichermaßen zugängliche Weise der Grundfrage an, ob man an etwas glauben kann, was nicht wahrnehmbar ist. In witzigen und hintergründigen Dialogen lässt der Autor die drei Pinguine frech, frei von Ideologie und mit einer naiven Neugier diese Glaubensfragen verhandeln. Ulrich Hubs Stück ist als Komödie für Kinder eine Seltenheit in der dramatischen Literatur.

Werkbeschreibung:

Drei Pinguine stehen vor einem Problem. Gott hat genug von den Menschen und Tieren, die sich immer streiten. Deshalb schickt er eine große Sintflut. Aber – wie man weiß – dürfen sich zwei Exemplare jeder Tiergattung auf die Arche retten. So verkündet es eine weiße Taube. An der Arche um acht und wer zu spät kommt ertrinkt. Was tun, denn schließlich sind die Pinguine zu dritt. Soll man einen Pinguin im Regen stehen lassen, um sich selbst einen Platz auf dem Boot zu sichern? Soll man sich Gottes Willen ganz offen widersetzen? Kann man das überhaupt? Oder soll man seelenruhig zusehen, wie ein Freund ertrinkt? Zum Glück kommt ihnen noch rechtzeitig die rettende Idee. In einem Koffer soll der dritte Pinguin ganz einfach an Bord geschmuggelt werden. Ganz einfach? Nicht, wenn die Taube den Auftrag hat, verdächtiges Gepäck genau unter die Lupe zu nehmen. Es kommt zu haarsträubenden Verwicklungen auf der Fahrt. Erst am Ende bemerkt die Taube, dass sie einen entscheidenden Fehler gemacht hat.

Kurzbiografie:

Ulrich Hub, 1963 in Tübingen geboren, begann 1985 seine Schauspielausbildung an der Hochschule für Musik und Theater in Hamburg. Er war als Schauspieler und Regisseur an verschiedenen Theatern engagiert und hat auch Drehbücher geschrieben. 1997 erhielt er den Preis der Frankfurter Autorenstiftung für sein Stück ‚Die Beleidigten‘ und 2000 den Ersten Preis des Niederländisch-Deutschen Autorenpreises für Kinder- und Jugendtheater ‚Kaas & Kappes‘ für sein Kinderstück ‚Pinguine können keinen Käsekuchen backen‘. Die Aufführungsrechte seiner Stücke liegen beim Verlag der Autoren, Frankfurt am Main.

Der Gärtner (The Gardener) von Mike Kenny | Aus dem Englischen von Herta Conrad | Verlag Autorenagentur, Berlin

Begründung der Jury:

„Manche Jahre sind größer als andere und dieses Jahr war eines von den großen.“ Und so erzählt der alte Joe von jenem Jahr mit Onkel Harry, als er noch klein war und Onkel Harry schon ein vergesslicher alter Mann. Der kleine Joe fühlt sich verdrängt von der gerade geborenen Schwester, und auch Harry glaubt, nicht akzeptiert zu sein in der Familie. Also schließen beide einen Bund und beschäftigen sich mit der Gärtnerei. Während Joe etwas lernt und begreift über die Jahreszeiten, das Wachsen und die Zeit, verliert Onkel Harry langsam seine Erinnerung und seine Sprache. Das Stück erzählt eine Geschichte über das Vergehen und Vergessen, das Wachsen und Verstehen. Dem Thema entsprechend findet Mike Kenny eine Sprache, die, stark verdichtet, aber dennoch sehr poetisch eine Atmosphäre schafft, in der die Zeitläufe der Natur sinnbildlich werden. Der Gärtner ist ein anrührendes Kinderstück, das aber ohne je didaktisch zu sein, ermutigt, sich der Vergänglichkeit des Lebens zu stellen. Die Figur des Onkel Harry ist eine ganz besondere, eine, der sich Kinder nahe fühlen können.

Werkbeschreibung:

Der alte Joe erzählt von dem wichtigsten Sommer seines Lebens: Als seine jüngere Schwester geboren wird, flüchtet der kleine Joe vor dem Trubel um das Baby zu seinem alten Onkel Harry in den Garten. Das Gedächtnis des alten Mannes lässt zu wünschen übrig, aber was das Gärtnern angeht, kann ihm niemand etwas vormachen. Ein Jahr lang säen, jäten, ernten und pflegen Harry und Joe den Garten und der Junge lernt von dem Alten, sich in Geduld zu üben und sich dem Kreislauf des Wachsens und Vergehens zu fügen. Gemeinsam finden sie Worte für die Dinge, die Harry vergessen hat und Erklärungen für Gefühle, die Joe noch nicht beschreiben kann. Der mittlerweile alte Joe und Harry, von dem er erzählt, gleichen sich immer mehr an. Vergangenheit und Gegenwart, Erinnerung und unmittelbares Erleben gehen durch die lebendige Erzählung ineinander über.

Kurzbiografie:

Mike Kenny, 1957 in Oswestry geboren, hat sich zu einem der bekanntesten britischen Autoren für Kinder- und Jugendtheater entwickelt. Seit 1988 sind mehr als 50 Auftragsarbeiten von ihm für ein junges Publikum erschienen. Als bislang einziger Autor seines Landes wurde er vom Arts Council England für seine Dramatik für Kinder ausgezeichnet. In deutscher Übersetzung sind unter anderem erschienen ‚Joshs wundersames Abenteuer mit dem Delfin‘ und ‚Die Seiltänzerin‘. Die Aufführungsrechte seiner Stücke liegen beim Verlag Autorenagentur, Berlin.

Ikar – Zu Wasser, zu Lande, in der Luft von Katrin Lange | Verlag Autorenagentur, Berlin

Begründung der Jury:

Das Stück erzählt den Mythos von Ikarus und Daidalos als die Geschichte eines Sohnes, der seinen Vater, den Ernährer seiner Familie, nach Hause zurückholen will. Er findet den Vater im Dienst und in der Hand eines rücksichtslosen und selbstherrlichen Königs, der sich einen hohen Turm bauen lassen will, um der Sturmflut zu entgehen, der jedoch verboten hat, seine Untertanen vor der Flut zu warnen. Der Minotaurus ist in Katrin Langes Stück ein Wesen, teils Pflanze, teils Tier, teils Landschaft und auch Mensch, das in dem Labyrinth eingemauert ist und gleichsam als Metapher für die gefangene und vom Menschen domestizierte Natur steht. Ikar gelingt es, seinen Vater zur Flucht zu überreden und dabei die Einwohner vor der Flut zu warnen. Die Geschichte der Emanzipation des Sohnes gegenüber seinem Vater, die nicht in die Trennung, sondern in die gemeinsame Flucht mündet, wird in einem gut gebauten Stück erzählt, das durch rhythmisierte, literarisch wertvolle Sprache überzeugt.

Werkbeschreibung:

Ikars Vater Daidal ist außer Landes gegangen, um Arbeit zu finden. Ikar schaut von der kleinen Heimatinsel sehnsüchtig übers Meer, denn die Nachrichten vom Vater und auch das Geld, das er zu schicken versprochen hat, bleiben aus. Der Junge beschließt, dem Vater hinterher zu fahren und begibt sich auf die Reise ins Ungewisse, in die fremde Stadt, über das Meer, über sich hinaus, zum Vater, ins Innere, ins Labyrinth. Er findet den Vater auf der Insel Kritti als Baumeister eines despotischen Königs, in dessen Auftrag er ein Labyrinth erbaut hat, das einem Ungeheuer als Gefängnis dienen soll. In der Königstochter Ariadne findet Ikar eine Verbündete gegen den tyrannischen Herrscher, lernt bald, dass er nicht alles glauben darf, was ihm gesagt wird und macht sich auf, das Geheimnis des Labyrinths zu ergründen. Das Wesen im Zentrum des Labyrinths hat Ungeheuerliches zu berichten und Ikar versucht unter Einsatz seines Lebens, eine Katastrophe zu verhindern. Als Held scheint er sich auf der Flucht von der Insel mit den selbstgebauten Flügeln des Vaters in die Lüfte zu erheben. Doch Übermut führt zum Fall und Ikar scheint verloren – wäre da nicht die Stimme mythischer Weisheit, die er im Inneren des Labyrinths vernommen hat.

Kurzbiografie:

Katrin Lange, 1942 in Berlin geboren, war Dramaturgin in Chemnitz, Dresden und Berlin. Ab 1982 arbeitete die promovierte Theaterwissenschaftlerin als freischaffende Autorin und Journalistin. Ihr reichhaltiges literarisches Gesamtwerk enthält auch zahlreiche Stücke, Hörspiele und Drehbücher für Kinder. Ihr Stück ‚Vineta. Zweimal hin und zurück‘ erhielt 1993 den Baden-Württembergischen Jugendtheaterpreis, das nominierte Stück wurde 2005 auf dem Frankfurter Autorenforum für Kinder- und Jugendtheater vorgestellt. Die Uraufführung ihres mehrfach nachgespielten Stückes ‚Das Mädchen Kiesel und der Hund‘ wurde mit einer Einladung zum Vierten Deutschen Kinder- und Jugendtheater-Treffen in Berlin 1997 ausgezeichnet. Die Aufführungsrechte ihrer Stücke liegen beim Verlag Autorenagentur, Berlin.

Nominierte und Preisträger*innen für den Deutschen Jugendtheaterpreis 2006

Preisträger Jugendtheater: Kamikaze Pictures von Jan Liedtke | Felix Bloch Erben Verlag für Bühne Film und Funk, Berlin

Begründung der Jury:

Andy hat Linda bei der Love Parade gesehen. Nur ganz kurz. Und doch weiß er, dass es die Frau seines Lebens ist, die er wieder finden muss. Und die Suche nach Linda macht er zu einer gigantischen Medienschlacht. Als sich Linda bei dem Casting für den Lindasuchfilm made by ‚Kamikaze Pictures‘ meldet, will oder kann Andy sie nicht wieder erkennen. Zuviel hat er bereits in dieses vermeintlich vollkommene Wesen hinein projiziert. Das Stück fragt danach, wie viel Wunsch, Hoffnung und Utopie die Wirklichkeit aushält und danach, wie viel Wirklichkeit man selbst konstruieren kann. Dabei werden die Definitionsmacht der Medien und die Sensationsgier des Medienpublikums, die Andy für seine Suche ausnutzt, kritisch beleuchtet. Das Stück erzählt eine starke Geschichte über den Rausch des Lebens.

Werkbeschreibung:

Auf der Berliner Love Parade begegnet Andy in der tanzenden Menge Linda. Ein magischer Blick und Andy ist unsterblich verliebt. Doch zu der geplanten Verabredung im Cafe Moskau erscheint Linda nicht. Schnell ist klar, eine Linda-Such-Aktion muss gestartet werden. Gemeinsam mit seinem Freund Henry, der sich eigentlich nur in Andys erster eigener Bude durchschnorren wollte, plakatiert er ganz Berlin mit Linda-Phantombildern und sie gründen die Film-Produktionsfirma ‚Kamikaze Pictures‘, um einen Linda-Such-Clip zu drehen. Als sich wenig später ein junges Mädchen für den Film vorstellt, erkennt Andy ’seine Linda‘ nicht. Zwar sieht Sonja Linda sehr ähnlich, aber tanzen tut sie ganz anders, oder etwa nicht? Henry findet diese Linda passend und so wird sie für den Film engagiert. Es beginnt eine Dreiecksbeziehung, die sich zu einem emotionalen Karussell entwickelt, das sich in atemberaubender Geschwindigkeit dreht. Bald kann niemand mehr ein- oder aussteigen.

Kurzbiografie:

Jan Liedtke, 1977 in Rüdersdorf bei Berlin geboren, studierte Szenisches Schreiben an der Berliner Universität der Künste. Neben seiner Arbeit für das Theater war Liedtke als freier Filmemacher tätig und drehte Kurzfilme, Dokumentarfilme und Musikvideos. Sein erstes Theaterstück ‚Toronto‘ wurde 2004 mit dem Baden-Württembergischen Jugendtheaterpreis ausgezeichnet. Die Aufführungsrechte seiner Stücke liegen bei Felix Bloch Erben Verlag für Bühne Film und Funk, Berlin.

Steht auf, wenn ihr Schalker seid von Jörg Menke-Peitzmeyer | Theaterverlag Hofmann-Paul, Berlin

Begründung der Jury:

Schalke ist ihre ganze Welt. Chrissi ist von ihrem Großvater ins Stadion mitgenommen worden, wird nach seinem Tod selbst zum Fan und identifiziert sich völlig mit ihrem Verein. In seinem Monolog behauptet Jörg Menke-Peitzmeyer die Figur der Chrissi nicht nur, sondern er schafft, nicht zuletzt durch seine eigene Fußball-Leidenschaft, einen Charakter, der geradewegs aus der Nordkurve zu kommen scheint. In direkter Ansprache an das Publikum lässt er seine Protagonistin ihr Leben auf und mit Schalke verteidigen. Gleichzeitig wird ihre Einsamkeit und Verletzlichkeit deutlich. Damit ist dem Autor ein echtes Klassenzimmerstück gelungen.

Werkbeschreibung:

Chrissi ist Schalke-Fan. Bei ihr zeigt sich die wahre Bedeutung des Wortes: sie ist fanatisch. Über ihren Lieblingsverein und seine Spieler weiß sie einfach alles. Ihr Schalker Trikot ist ihre zweite Haut geworden und ihr ganzes Denken kreist um das nächste Spiel. Die Begeisterung für Fußball hat sie von ihrem Großvater geerbt, der sie schon als Kind zu jedem Spiel mitnahm und den sie nach seinem Tod schmerzlich vermisst. Nun bepflanzt sie sein Grab in den Farben von Schalke und freundet sich mit Kuddel an, der selbst unter den Fans ein Außenseiter ist. Sonst hat sie keine Freunde. Nur im Stadion findet sie Geborgenheit und Zuneigung und nur in der Gemeinschaft lebt sie auf, sie riecht nicht mehr das Bier und hört nicht mehr das Gegröle der Fans. Für sie ist es Musik. In der Schule kommt sie nicht klar und auch ihre Eltern machen Probleme. Sie schicken sie zu einem Psychiater, weil sie ihre Begeisterung krankhaft finden.

Kurzbiografie:

Jörg Menke-Peitzmeyer, 1966 in Anröchte/Westfalen geboren, absolvierte von 1986 bis 1990 ein Schauspielstudium an der Folkwangschule in Essen. Engagements führten ihn nach Mainz, Gießen, an das Theater am Kurfürstendamm und das Schlossparktheater in Berlin, nach Stendal und Coburg. Von 1998 bis 2002 studierte er am Deutschen Literaturinstitut in Leipzig. Noch während seines Studiums wurde sein Stück ‚Der Manndecker‘ uraufgeführt. 2004 erhielt er für das nominierte Stück das Paul-Maar Stipendium anlässlich des Niederländisch-Deutschen Autorenpreises für Kinder- und Jugendtheater ‚Kaas & Kappes‘ und er war im selben Jahr Stipendiat des Paul Maar Stipendiums. 2006 wurde er mit dem Autorenförderpreis der Landesbühnen für ‚Erste Stunde‘ und 2007 den Bayrischen Theaterpreis für ‚Der Essotieger‘ ausgezeichnet. Seit 2006 arbeitet er als freiberuflicher Autor und Schauspieler. Die Aufführungsrechte seiner Stücke liegen beim Theaterverlag Hofmann-Paul, Berlin.

Hikikomori von Holger Schober | Verlag Autorenagentur, Berlin

Begründung der Jury:

H verweigert seine Teilnahme am gesellschaftlichen Leben. Er hat sich in seinem Zimmer eingeschlossen und fast alle Aktivität auf Null reduziert. Hikikomori werden solche Totalverweigerer in Japan genannt. Das Stück ist eine Collage von Monologen der Hauptfigur H, seinen Chats mit Rosebud im Internet und den vergeblichen Beschwörungen seiner Mutter und seiner Schwester. In der ungewöhnlichen Struktur des Textes vermittelt Holger Schober gleichzeitig die totale Hilflosigkeit der Figur H dem Leben gegenüber und die absolute Kraft, die diesem Protest innewohnt.

Werkbeschreibung:

Seit acht Jahren hat sich H in sein Zimmer eingeschlossen und verweigert sich konsequent der Gesellschaft, die außerhalb dieser wenigen Quadratmeter liegt. Mit der Außenwelt tritt er nur noch über Chatrooms im Internet in Kontakt. Ansonsten gibt er sich inneren Monologen, philosophischen Eingebungen, witzigen Betrachtungen über das Leben, selbstironischen Erkenntnissen oder wütender Trauer über verlorene Erinnerung hin. Er ist resistent geworden gegen Leistungsansprüche und Erwartungen der Gesellschaft und fristet ein Dasein in Passivität und stummem Protest, das zunehmend in Vergessenheit zu geraten droht. Mutter und Schwester stehen hilflos daneben. Hin- und her gerissen zwischen Apathie, Überdruss und Schuldgefühlen gelingt es ihnen nicht, in Hs Einsamkeit vorzudringen. Als sich Hs Schwester im Chat als das Mädchen Rosebud ausgibt, scheint seine fest gefügte Abwehrhaltung etwas zu bröckeln – doch führt diese vorsichtige Kontaktaufnahme unweigerliche in die Katastrophe.

Kurzbiografie:

Holger Schober, 1976 in Graz (Österreich) geboren, absolvierte von 1996 bis 2000 ein Schauspielstudium am Max Reinhardt Seminar und bis 2002 ein Kulturmanagementstudium in Wien. Von 2000 bis 2005 war er Leiter des Theaters KINETIS und er gehörte ab 2005 zum Leitungsteam des Theaters an der Gumpendorfer Straße (TAG) in Wien. Er arbeitet als Schauspieler für Theater, Film und Fernsehen, als Theater- und Filmregisseur und er schreibt Stücke für das Theater. Für sein Stück ‚Full Frontal Nudity – Episode One‘ war er 2002 zum Heidelberger Stückemarkt eingeladen und als Schauspieler 2004 für den Nestroypreis in der Kategorie Bester Nachwuchs nominiert. Die Aufführungsrechte seiner Stücke liegen beim Verlag Autorenagentur, Berlin.


Deutscher Kindertheaterpreis 2004 und Deutscher Jugendtheaterpreis 2004

  • Deckblat der Einladungskarte zur Preisverleihung.
  • Deckblatt des Programmblatts der Preisverleihung.
  • Deckblatt zur Ausschreibung für den Deutschen Kindertheaterpreis 2004 und den Deutschen Jugendtheaterpreis 2004.
  • Dr. Gerd Taube (li.) und Peter Ruhenstroth-Bauer, Staatssekretär im Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend mit den Nominieren für den Deutschen Kindertheaterpreis 2004 und für den Deutschen Jugendtheaterpreis 2004, David S. Craig, Heleen Verburg, Nick Wood, Katharina Schlender, Andri Beyeler (v.l.n.r). Foto Karin Berneburg
  • Das Jurymitglied Mirjam Pressler stellt die nominierten Autorinnen und Autoren vor. Foto Karin Berneburg
  • Die Schauspielerinnen Sabine Zeininger und Barbara Stoll lesen aus den nominierten Stücken. Foto Karin Berneburg
  • Dr. Gerd Taube (li.) und Peter Ruhenstroth-Bauer, Staatssekretär im BMFSFJ (re.) überreichen dem Vertreter des Staatstheater Oldenburg, Matthias Grön, die mit 7.500 Euro dotierte Prämie zur Aufführung der nominierten Stücke mit Konzepten zur Stärkung des Dialogs zwischen Autor, Theater und Publikum.
  • Die Schauspieler*innen Babette Slezak und Christian Habicht sowie derMusiker Bernd Sikora (mi.) zeigen Teile aus der Inszenierung Dresden des nominierten Stücks „Die Kuh Rosemarie“ von Andri Beyeler am Theater Junge Generation, Dresden in der Regie von Marcelo Diaz. Foto Karin Berneburg
  • Staatssekretär Peter Ruhenstroth-Bauer, BMFSFJ, bei seiner Ansprache im Kaisersaal des Frankfurter Römers. Foto Karin Berneburg
  • Die Preisträgerin des Deutschen Kindertheaterpreises 2004, Heleen Verburg, bei ihrer Dankesrede. Foto Karin Berneburg
  • Dr. Gerd Taube (li.) und Staatssekretär Peter Ruhenstroth-Bauer (re.) mit dem Preisträger des Deutschen Jugendtheaterpreises 2004, Andri Beyeler. Foto Karin Berneburg

Die Jury 2004

Die Mitglieder der Jury

Felicitas Loewe, Chefdramaturgin des Theaters Junge Generation, Dresden

Mirjam Pressler, Autorin und Übersetzerin

Andreas Steudtner, Dramaturg für Kinder- und Jugendtheater am Hans-Otto-Theater Potsdam

Thomas Stumpp, Mitarbeiter im Bereich Theater und Tanz des Goethe-Instituts

Dr. Gerd Taube, Leiter des Kinder- und Jugendtheaterzentrums in der Bundesrepublik Deutschland

Das Fazit der Jury

Der Wettbewerb um die Auszeichnung mit dem Deutschen Kindertheaterpreis und dem Deutschen Jugendtheaterpreis ist im Jahr 2004 zum fünften Mal durchgeführt worden. Insgesamt waren 104 Vorschläge eingegangen, davon 60 Kindertheaterstücke und 44 Jugendtheaterstücke. Bemerkenswert ist dabei der hohe Anteil von ausländischen Stücken des Kinder- und Jugendtheaters in deutscher Übersetzung gewesen.

Eingesandt wurden Stücke von Autorinnen und Autoren aus Österreich, Belgien, der Schweiz, der Türkei, Großbritannien, Island, Norwegen, den Niederlanden, Schweden, Israel und Kanada. In der Kategorie Kindertheater standen 42 Einsendungen von deutschen Autorinnen und Autoren 18 Einsendungen von Autorinnen und Autoren aus europäischen Ländern und aus Kanada gegenüber. Beim Jugendtheater standen 25 Einsendungen aus Deutschland 19 Einsendungen aus europäischen Ländern und aus Kanada gegenüber.

Nominierte und Preisträger*innen für den Deutschen Kindertheaterpreis 2004

Preisträgerin Kindertheater: Katharina Katharina im Gänsespiel (Katharina Katharina in het Ganzenbord) von Heleen Verburg | aus dem Niederländischen von Susanne George (Text) und Eva Maria Pieper (Liedtexte) | Verlag der Autoren, Frankfurt am Main

Begründung der Jury:

Die neunjährige Katharina ist über die Weigerung ihres Vaters mit ihr das Gänsespiel zu spielen und die Trennung ihrer Eltern so wütend, dass sie trampelnd durch den Fußboden des Zimmers kracht und in der Welt des Gänsespiels landet. Den Stationen und Gesetzen des ältesten europäischen Brettspiels folgend, durchläuft Katharina nun ihr Leben bis zum Tod. Sie ist in diesem ‚Spiel‘ gleichzeitig Akteurin und Betrachterin. Versatzstücke ihrer kindlichen Realität, die Trennung ihrer Eltern und ihr Wunsch, immer Siegerin sein zu wollen, werden verknüpft mit assoziativen Räumen der Phantasiewelt des Gänsespiels. Die Regeln des Spiels bestimmen Rhythmus und Spannung der Handlung. Die Autorin beschreibt auf ungewöhnliche Weise die Komplexität von Leben aus der Sicht eines Kindes für Kinder.

Werkbeschreibung:

Katharina möchte mit ihrem Vater das Gänsespiel spielen. Aber der ist müde und überfordert. Seine Frau hat ihn verlassen. Zornig und wütend trampelt Katharina mit den Füßen – …und steckt plötzlich selbst im Gänsespiel. 63 Felder, zwei Würfel, rücken, aussetzen… – ob sie will oder nicht, Katharina muss mitspielen. Ihr begegnen Mutter Gans und Heinrich, der Hund und sie merkt bald, was es mit dem Gänsespiel auf sich hat: Es ist ein Spiel, bei dem sie ihr ganzes Leben durchläuft! Katharina sieht sich selbst als Teenager, als Verliebte, als Ehrgeizige, als Mutter. Sie führt den Alltag einer Erwachsenen. Sie erlebt dies alles und bleibt doch das Mädchen im Gänsespiel. Ein Kind, das gewinnen will.

Kurzbiografie:

Heleen Verburg, 1964 in Amsterdam (Niederlande) geboren, studierte von 1984 bis 1988 an der Akademie voor Kleinkunst in Amsterdam. Zwischen 1987 und 1990 arbeitete sie als Schauspielerin und Autorin in der Theatergruppe Mevrouw Smit. Für die Eröffnung des Artemis Theaters in Den Bosch (Niederlande) schrieb sie 1991 ‚Pu der Bär‘ (Winnie the-Pooh), dem viele weitere Arbeiten folgten. ‚Katharina, Katharina im Gänsespiel‘ wurde 2002 in Duisburg mit dem Niederländisch-Deutschen Kinder- und Jugendtheaterpreis ‚Kaas & Kappes‘ ausgezeichnet. Die Aufführungsrechte für ihre Stücke liegen beim Verlag der Autoren, Frankfurt am Main.

Die Kuh Rosmarie von Andri Beyeler | in der Übersetzung von Juliane Schwerdtner frei nach dem Bilderbuch 'Die Kuh Rosalinde' von Frank Nahrgang und Winfried Opgenoorth | Theaterstückverlag Brigitte Korn-Wimmer & Franz Wimmer (GbR), München

Begründung der Jury:

Rosmarie, die Hauptfigur, lebt mit einem Bauern und anderen Tieren zusammen. Mit ihrer Meckerei und Besserwisserei treibt sie ihre Mitbewohner zur Verzweiflung, bis der Bauer sie schließlich in ein Flugzeug nach Afrika setzt. Damit ist das Problem aber nicht gelöst. Erst als er die Verantwortung für sie übernimmt und sie zurückholt, deutet sich eine Verbesserung an. Der Autor benutzt auf eine sehr originelle Weise Versatzstücke aus der Realität und setzt sich im nächsten Augenblick über diese Realität hinweg, so wie Kinder oder Märchen sich über reale Zwänge hinwegsetzen. Und kaum hat man ein Klischee als solches erkannt, wird es auch schon gebrochen. Seine Sprache ist poetisch und gewinnt durch sehr bewusst eingesetzte Wiederholungen einen unverwechselbaren Rhythmus und anrührende Kraft. Das Stück ist ein Plädoyer für Toleranz im Umgang mit Individualisten und ihren Schwächen und Stärken.

Werkbeschreibung:

Eigentlich ist es auf dem Bauernhof ganz idyllisch. Zusammen mit dem Bauern leben hier der Goldfisch, das Huhn, der Hund, das Schwein und die Kuh Rosmarie. Doch eben diese Kuh Rosmarie bringt mit ihrer Besserwisserei Unruhe und Missstimmung auf den Bauernhof. Keines der Tiere darf so sein, wie es ist, an allen hat Rosmarie etwas auszusetzen. Schließlich hat der Bauer sie satt und schickt die Kuh per Flugzeug nach Afrika. Kurz darauf stehen verschiedene Tiere aus dem fernen Kontinent vor der Hoftüre. Sie fliehen vor Rosmarie, die versucht, sie zu erziehen. Schnell platzt der Bauernhof aus allen Nähten und die wilden Tiere vermissen ihre Heimat. Da fasst der Bauer den Entschluss, die Kuh zurückzuholen. Als Rosmarie wieder auf dem Bauernhof erscheint, ist scheinbar alles wie früher – und doch ist jetzt alles anders.

Kurzbiografie:

Andri Beyeler wird 1976 in Schaffhausen geboren. Nach der Matura beginnt er sein Studium der Theaterwissenschaft und arbeitet gleichzeitig als Dramaturg an professionellen und Amateurtheatern der Schweiz. 1998 ist er Teilnehmer des 2nd Festival of Young Playwrights Interplay Europe in Berlin, 2000 nimmt er an der Dramatikerwerkstatt in Wolfenbüttel teil. 2001 entsteht das Stück ‚kick & rush‘. In der Spielzeit 2002/2003 ist er Hausautor am Nationaltheater Mannheim und in der Spielzeit 2003/2004 im Rahmen des Projektes ‚Dichter ans Theater‘ am Staatstheater Stuttgart. 2003 entstehen die beiden Stücke ‚Wie Ida einen Schatz versteckt und Jakob keinen findet‘ und ‚the killer in me is the killer in you my love‘. 2004 ist er Gast beim Forum Junger Autoren Europas in Wiesbaden und bei den Autoren-Werkstatttagen am Burgtheater in Wien. 2005 erhält er den Brüder Grimm Preis des Landes Berlins. Die Aufführungsrechte seiner Stücke liegen beim Theaterstück Verlag, München.

Agent im Spiel (Danny, King of the Basement) von Anke Ehlers | David S. Craig | aus dem Englischen von Theaterstückverlag Brigitte Korn-Wimmer & Franz Wimmer (GbR), München

Begründung der Jury:

Daniel geht als Geheimagent durch seinen Alltag, den er durch dieses Spiel besser erträgt. Damit hat er aber auch eine interessante und zugleich unkonventionelle Methode erfunden, in einer fremden Umgebung schnell neue Freunde zu finden. Dieses Well-Made-Play zeigt Kinder als Persönlichkeiten, die ihr durch soziale Kälte und zunehmende Differenzierung in Arm und Reich geprägtes Leben zu bewältigen haben, was ihnen nur durch die ihnen eigene Kindersolidarität in fast schon Kästnerschem Gestus gelingt. So ist das Stück auch ein Sozialmärchen, das aber soziales Außenseitertum nicht verklärt, sondern zeigt, dass Armut und soziale Kälte wehtun.

Werkbeschreibung:

Der 12-jährige Dani ist ein Umzugskönig. Nun schon zum achten Mal in zwei Jahren, immer, wenn sich bei seiner Mutter berufliche Probleme einstellten oder eine weitere Beziehung in die Brüche ging, musste er Hals über Kopf seine Sachen packen und eine neue Wohnung beziehen. Um den Alltag hinter sich zu lassen, hat Dani deshalb ein Spiel erfunden: In seiner Fantasiewelt ist er ein Agent, der ständig seinen Aufenthaltsort wechseln muss. Und alles, was ihm im echten Leben fehlt, stellt er sich eben vor. Eine perfekte Schutzmaßnahme, um mit dem täglichen Chaos um ihn herum klar zu kommen. Und tatsächlich läuft bisher alle gut. Die Schule ist okay, seine Mutter findet einen Job und in Melanie und Mehmet hat er zwei neue Freunde gefunden. Doch dann scheint wieder alles schief zu gehen und Dani will nicht mehr mitspielen.

Kurzbiografie:

David S. Craig leitete von 1976 bis 1981 das von ihm gegründeten Theatre Direct Canada, für das er auch Stücke schrieb und inszenierte. 1983 gründete er das Roseneath Theatre, eines der anerkanntesten Jugendtheater Kanadas, dem er bis heute als künstlerischer Leiter vorsteht. Er hat über zwanzig Theaterstücke verfasst, darunter ‚Carolyns Baby‘, das nach seiner Uraufführung 2003 auf dem Blyth Festival zu den erfolgreichsten zeitgenössischen Komödien Kanadas avancierte. Seine Inszenierung des nominierten Stückes wurde 2002 mit dem Dora Mavor Moore Award for Outstanding Productions for Young Audiences ausgezeichnet. Die Aufführungsrechte für seine Stücke liegen beim Theaterstück Verlag, München.

Nominierte und Preisträger*innen für den Deutschen Jugendtheaterpreis 2004

Preisträger Jugendtheater: The killer in me is the killer in you my love von Andri Beyeler | Theaterstückverlag Brigitte Korn-Wimmer & Franz Wimmer (GbR), München

Begründung der Jury:

Zwei Mädchen und drei Jungs treffen sich im Schwimmbad. Das Schwimmbad als Ort der Entblößung, des sich Öffnens und der gegenseitigen Annäherung bietet die Möglichkeit zu Kontakten in verschiedenen Konstellationen. Dem Autor gelingt es der Sprachlosigkeit der Jugendlichen Worte zu geben, indem er ein und dieselben Vorgänge aus der unterschiedlichen Perspektive seiner fünf Figuren erzählt. Banale Ereignisse werden dabei in einer artifiziellen und rhythmisierten Sprechweise geschildert, womit sie wichtig werden und damit die Bedeutung bekommen, die sie im Leben der pubertierenden Jugendlichen tatsächlich haben.

Werkbeschreibung:

Es ist Sommer. Das Freibad der Ort, wo genau jetzt das Leben stattfindet. Hanna ist fast jeden Tag hier, obwohl sie nicht gern schwimmt. Lieber liegt sie im Bikini bei der Tischtennisplatte herum und beobachtet die Jungs. Besonders Gerber. Lena geht nicht so oft ins Freibad, obwohl sie gerne schwimmt. Aber sie behält immer das T-Shirt an. Gerber posiert auf dem Dreimeterbrett und prahlt mit seiner lässigen Art zu rauchen. Das sollen alle sehen. Besonders Hanna. Und Surbeck schwimmt ausdauernd seine Bahnen, weil er Gerber nicht sagen kann, wie gut ihm Hanna gefällt. Klein-Gerber hat andere Sorgen, er wäre gerne wie die Großen, doch eigentlich findet er Mädchen langweilig. Außer Lena. Denn die ist irgendwie anders. Einen Sommer langen lassen sich Jungs und Mädchen gemeinsam treiben, haben Herzklopfen und rauchen Zigaretten. Kaum wird es kühler sind die Dinge plötzlich anders, alte Flirts langweilig, Freundschaften verschwunden und sie selbst einen Sommer älter.

Kurzbiografie:

Andri Beyeler, 1976 in Schaffhausen geboren, begann nach der Matura sein Studium der Theaterwissenschaft. Gleichzeitig arbeitete er als Dramaturg an professionellen und Amateurtheatern der Schweiz. 1998 war er Teilnehmer des 2nd Festival of Young Playwrights Interplay Europe in Berlin. 2000 nahm er an der Dramatikerwerkstatt in Wolfenbüttel teil. 2001 entstand das Stück ‚kick & rush‘. In der Spielzeit 2002/2003 arbeitete er als Hausautor am Nationaltheater Mannheim und in der Spielzeit 2003/2004 im Rahmen des Projektes ‚Dichter ans Theater‘ am Staatstheater Stuttgart. 2003 entstanden die beiden Stücke ‚Wie Ida einen Schatz versteckt und Jakob keinen findet‘ und ‚the killer in me is the killer in you my love‘. 2004 war er zu Gast beim Forum Junger Autoren Europas in Wiesbaden und bei den Autoren-Werkstatttagen am Burgtheater in Wien. 2005 erhielt er den Brüder Grimm Preis des Landes Berlins. Die Aufführungsrechte seiner Stücke liegen beim Theaterstück Verlag, München.

Sommer Lieben von Katharina Schlender | henschel SCHAUSPIEL Theaterverlag, Berlin

Begründung der Jury:

Das Stück erzählt von Liebe und Beziehungen. Im Sommerurlaub auf dem Campingplatz werden die Erfahrungen der Eltergeneration mit den Ansprüchen und Träumen der Jugendlichen konfrontiert. In spielerisch leichter Form wird der Sommer als ein Zeitraum gezeigt, der Spielarten der Liebe ermöglicht. Der Autorin gelingt es, die Figuren des Stücks in sprachlicher Lakonie verdichtet darzustellen und ohne Wertung die Flüchtigkeit von Beziehungen in unterschiedlichen Facetten sichtbar werden zu lassen.

Werkbeschreibung:

Wären nicht Spinnen und Sand im Zelt, defekte Duschkabinen und eine tiefe Unruhe, könnte Gitte Hoff den Campingurlaub mit ihrer Tochter Eva vielleicht genießen. Sie war schon einmal hier, damals zur Klassenfahrt, und gerade fünfzehn als ihr Eva „passierte“. Jetzt ist sie immer noch jung und quält sich mit der Angst, dass eine unbedachte Sommerliebe ihrem Kind das Leben kaputt machen könnte. Der Grund wohnt nebenan in einem Caravan. Pascal und Theo, die halbwüchsigen Söhne von Victor, die heißhungrig und unerfahren sind. Als zwischen Eva und Theo noch nicht mal eine winzige Zärtlichkeit getauscht ist, zieht Gitte am Automaten eine Packung Kondome und steckt sie Theo zu. Einfach nur peinlich, findet Eva, die sich das vermasselte Leben ihrer Mutter nicht überstülpen lässt.

Kurzbiografie:

Katharina Schlender, 1977 in Neubrandenburg geboren, studierte von 1996 bis 2000 Szenisches Schreiben an der Hochschule der Künste in Berlin. 1998 nahm sie am 2nd Festival of Young Playwrights Interplay Europe in Berlin teil. Als Paul Maar-Stipendiantin war sie 2000 Teilnehmerin der Dramatikerwerkstatt in Wolfenbüttel. Im selben Jahr erhielt sie für ihr Stück ‚Plumsack‘ den Jugendtheaterpreis Baden-Württemberg. 2001 wurde ihr der Kleist-Förderpreis für junge Dramatik verliehen. 2003 gehörte sie zu den Autorenpreisträgern des Heidelberger Stückemarktes. Für Theater wie beispielsweise das Theater Erlangen, das Staatstheater Oldenburg, das Hans Otto Theater Potsdam und das Staatstheater Kassel entstanden verschiedene Auftragsarbeiten. Die Aufführungsrechte für ihre Stücke liegen beim henschel SCHAUSPIEL Verlag, Berlin.

Port von Simon Stephens | aus dem Englischen von Barbara Christ | Rowohlt Theater Verlag, Reinbek

Begründung der Jury:

Der Autor stellt ein Mädchen als Helden in den Mittelpunkt seines Stückes und erzählt den Ausschnitt der Biografie von Racheal zwischen ihrem elften und ihrem vierundzwanzigsten Lebensjahr. Das Stück zeigt ihre Geschichte in Momentaufnahmen. Sie wächst in Stockport auf, einer Gegend in der Jugendliche nur wenige Chancen haben. Trotz aller Schwierigkeiten lässt sie aber den Mut nie sinken, weil sie den Glauben an das Leben und sich nie aufgibt. Eine Geschichte über die Schönheit des Lebens. Das Stück ist in einer bewusst gewählten Alltagssprache geschrieben, in schnellen Dialogen und dem Gespür dafür, dass die Wahrheit oft hinter den gesprochenen Wörtern verborgen liegt.

Werkbeschreibung:

Momentaufnahmen aus Stockport, kurz ‚Port‘ genannt, einer durchschnittlichen Industriestadt. Schon als Kind möchte Racheal Keats so schnell wie möglich von hier weg und noch, glaubt sie, stehen ihr alle Möglichkeiten offen. Nur sie zu ergreifen ist nicht ganz so leicht. 1988: Wieder mal hatte Racheals Vater einen Wutanfall, wieder mal muss Racheal, 11 Jahre alt, mit ihrer Mutter und Billy, ihrem kleinen Bruder, im Wagen unten vor dem Wohnblock übernachten. 1990: Racheals Mutter hat sich aus dem Staub gemacht, und jetzt liegt auch ihr Großvater im Sterben, Racheals letzter Verbündeter. 1992: Racheal erfährt, dass Billy angefangen hat zu klauen und ihre Clique damit ansteckt. 1994: Mit 17 will Racheal endlich von zu Hause ausziehen, braucht dafür aber Geld. 1996: Racheal jobbt in einem Supermarkt, hat ihre erste eigene Wohnung und ist mit Danny, ihrem Schulfreund, zusammen. 1999: Racheal hat den älteren Kevin geheiratet – eine neue Sackgasse, da Kevin ein brutales Abbild ihres Vaters ist. 2002: Nach ihrer Scheidung kehrt Racheal nach Stockport zurück, fest entschlossen, nun endgültig fort zu gehen.

Kurzbiografie:

Simon Stephens, 1971 in Stockport/South Manchester geboren, studierte Geschichte an der York University, bevor er als Lehrer für Englisch, Theater und Medien an der Eastbrook School in Dagenham unterrichtete. 2000 kam er als ‚resident dramatist‘ an das Royal Court Theatre in London und wurde im selben Jahr Hausautor am Royal Exchange Theatre in Manchester. Von 2001 bis 2006 arbeitete er als Tutor des ‚Young Writers‘-Programms am Royal Court Theatre, wo auch das Stück ‚Reiher‘, mit dem er in Deutschland bekannt wurde, 2001 zur Uraufführung kam. In der Spielzeit 2001/02 erhielt Simon Stevens für ‚Port‘ den Pearson-Award für das beste neue Stück. Für ‚Am Strand der weiten Welt‘ wurde er 2006 mit dem ‚Laurence Olivier Award for Best New Play‘ ausgezeichnet. In den Kritikerumfragen von ‚Theater heute‘ wählte man ihn 2006 (gemeinsam mit Biljana Srbljanovic und Neil LaBute) sowie 2007 zum besten ausländischen Dramatiker des Jahres. Die Aufführungsrechte für seine Stücke liegen beim Rowohlt Theater Verlag in Reinbek bei Hamburg.

Traum weißer Pferde (A Dream of White Horses) von Nick Wood | aus dem Englischen von Anja Tuckermann und Guntram Weber | Verlag Autorenagentur, Berlin

Begründung der Jury:

Das Stück erzählt von einer, für ein Bühnenstück ziemlich ungewöhnlichen Beschäftigung – dem Klettern – und von einer ganz gewöhnlichen Freundschaft zwischen drei Jugendlichen. Das Klettern an Hochhäusern, Kletterwänden und im Fels steht für die Trauerarbeit von Paul, der seinem vor zwei Jahren bei einem Kletterunfall ums Leben gekommenen Vater nahe sein will. Es steht aber auch für die Selbstbehauptung von Jugendlichen heute, denen es mit dieser speziellen Jugendkultur weniger darum geht in der Öffentlichkeit aufzufallen und wahrgenommen zu werden, als vielmehr unter ihresgleichen Anerkennung und sich selbst gegenüber Bestätigung zu finden. Der Blick des Autors auf die Figuren ist von großem Humanismus und einer niemals um vordergründige Originalität bemühten Empathie geprägt. Zwischenmenschlichen Beziehungen vermag er die Zartheit und Schamhaftigkeit der Annäherung der Jugendlichen zu belassen und sie dennoch eindrucksvoll literarisch zu schildern.

Werkbeschreibung:

Klettern ist Pauls Leben, eine Leidenschaft, die er von seinem Vater, einem professionellen Kletterer, geerbt hat. Sein Vater ist tot. Abgestürzt auf einer seiner Lieblingsrouten. Seitdem lebt Paul gefährlich. Immer auf der Suche nach der nächsten, noch größeren Herausforderung erklimmt er gemeinsam mit seiner Schulfreundin Stevie in nächtlichen Streifzügen die höchsten Gebäude der Stadt, um sie verbotenerweise mit einem ‚tag‘, seinem persönlichen Schriftzug, zu signieren. Dabei träumt Paul eigentlich davon, den Felsen zu besteigen, auf dem sein Vater ums Leben kam. Sein neuer Klassenkamerad Martin, der fürs Klettern wenig übrig hat, will ihm helfen, diesen Wunsch in die Tat umzusetzen. Sie planen einen Ausflug zu der Kletterroute mit dem besonderen Namen ‚Traum weißer Pferde‘, die Paul gemeinsam mit Stevie bezwingen will.

Kurzbiografie:

Nick Wood arbeitete als Schauspieler, Journalist und Lehrer, ehe er als Autor und Regisseur seinen Weg zum Theater fand. Für die Royal Shakespeare Company bearbeitete er 2003 den Coriolan-Stoff für Jugendliche und professionelle Schauspieler. Sein Stück ‚Warrior Square‘ wurde 2002 unter dem Titel ‚Fluchtwege‘ am Hans Otto Theater Potsdam erstaufgeführt. Die Produktion erhielt eine Einladung zum 7. Deutschen Kinder- und Jugendtheatertreffen nach Berlin und wurde 2003 mit dem Brüder-Grimm-Preis ausgezeichnet. Weitere Stücke entstanden in Koproduktion mit dem Nottingham Playhouse oder als Auftragsarbeiten, beispielsweise mit dem Thalia Theater Hamburg und dem Hans Otto Theater Potsdam. Die Rechte für seine Stücke liegen beim Verlag Autorenagentur, Berlin.


Deutscher Kindertheaterpreis 2002 und Deutscher Jugendtheaterpreis 2002

  • Titel des Falblatts mit den Nominierten für den Deutschen Kindertheaterpreis 2002 und den Deutschen Jugendtheaterpreis 2002
  • Erste Reihe im Kaisersaal des Frankfurter Römers bei der Preisverleihung. V.l.n.r. Kay Wuschek (Jury), Dr. Gerd Taube, (zweite Reihe: Prof. Dr. Kristin Wardetzky), Prof. Dr. Wolfgang Schneider, Bundesjugendministerin Renate Schmidt, Dr. Bernhard Nordhoff. Foto Sabine Brunk
  • Ausstellung mit Comics zu den nominierten Stücken im Foyer vor dem Kaisersaal des Frankfurter Römers. Foto Sabine Brunk
  • Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, Renate Schmidt, bei ihrer Ansprache. Foto Sabine Brunk
  • Dr. Gerd Taube, Leiter des KJTZ, berichtet aus der Arbeit der Jury. Foto Sabine Brunk
  • Die nominierten Autor*innen in der ersten Reihe des Kaisersaal. Foto Sabine Brunk
  • Bundesjugendministerin Renate Schmidt (mi.) und Dr. Gerd Taube (re.) mit den Nominierten für den Deutschen Kindertheaterpreis 2002 und den Deutschen Jugendtheaterpreis 2002: v.l.n.r. Kerstin Specht, Erhard Schmied, Lilly Axster, Kristo Šagor, Kai Hensel und Andreas Staudinger. Foto Sabine Brunk

Die Jury 2002

Die Mitglieder der Jury

Irene Bazinger, freie Publizistin und Theaterkritikerin, Berlin

Martin Berg, Leiter des Bereiches Theater und Tanz des Goethe-Instituts Inter Nationes, München

Andrea Gronemeyer, Regisseurin und Künstlerische Leiterin des Kinder- und Jugendtheaters Ömmes & Oimel, Köln

Kay Wuschek, Autor und Dramaturg am Thalia Theater, Halle

Dr. Gerd Taube, Leiter des Kinder- und Jugendtheaterzentrums in der Bundesrepublik Deutschland in Frankfurt am Main.

Das Fazit der Jury

Für den Deutschen Kindertheaterpreis 2002 waren 59 Stücke vorgeschlagen worden und 33 Texte für den Deutschen Jugendtheaterpreis, insgesamt also 92 dramatische Texte, die als qualifizierte Auswahl aus der Dramenproduktion für Kinder und Jugendliche aus den vergangenen zwei Jahren. Die eingereichten Texte basierten auf Themen und Stoffen, die dem Kanon der Themen und Stoffe des Kinder- und Jugendtheaters und der Kinder- und Jugendliteratur entsprechen.

Bei den Kindertheatertexten waren alte und neue Märchen ebenso zu finden wie Literaturbearbeitungen und Themen aus der Erfahrungs- und Lebenswelt der Kinder. Formal blieben diese Texte aber oft dramatischen Konventionen verhaftet, ab und an spielten sie mit Stilmitteln der populären Genres im Film und Fernsehen, lieferten jedoch von sich aus kaum Inspiration zum szenischen Experiment. In den Texten des Jugendtheaters fanden sich eher raffinierte dramaturgische Konstruktionen, sprachgewaltige Texte und zu szenischem Wagnis einladende Elemente.

Nominierte und Preisträger*innen für den Deutschen Kindertheaterpreis 2002

Preisträgerin Kindertheater: Wieland von Kerstin Specht | Verlag der Autoren, Frankfurt am Main

Begründung der Jury:

Die Dramatisierung des Mythos vom Schmied Wieland erzählt die wichtige Geschichte über die Suche nach dem Glück. Wo die Zaubermittel des Mythos versagen siegt am Ende die menschliche Schöpferkraft. Mit schlichter und kunstvoller Sprache schafft die Autorin poetische Bilder von großer assoziativer Kraft.

Werkbeschreibung

Wieland, der Schmied ist ein Künstler, der beste Schmied weit und breit. Er hat den Zauberring Alberichs geschmiedet und ihm gehört das Schwert Balmung. Auch ist Wieland der beste Schütze der Welt und besitzt Schimming, das schnellste aller Pferde. Als der König Nidung eines Tages bei einem Raubzug den Zauberring erbeutet, macht sich Wieland auf, den Ring zurück zu erobern. Als Goldbrand der Schmied verkleidet tritt er in den Dienst des Königs. Der nutzt seine Kunst gerne aus. Doch seine Tochter Bathilde, die der junge Schmied liebt, will er ihm trotz eines Versprechens nicht geben. Stattdessen lässt er Wielands Fußsehnen durchschneiden und verbannt ihn auf eine einsame Insel. Um dem Machtbereich des Königs zu entfliehen, schmiedet Wieland sich Flügel und fliegt davon.

Kurzbiografie

Kerstin Specht, 1956 in Kronach (Oberfranken) geboren, übernahm nach Abschluss ihres Germanistikstudiums in München eine Regieassistenz beim Bayrischen Rundfunk. Nach einem weiteren Studium an der Hochschule für Fernsehen und Film in München begann sie 1988 für das Theater zu schreiben. Ihre Arbeiten wurden mit zahlreichen Preisen und Stipendien ausgezeichnet. Die Aufführungsrechte für ihre Stücke liegen beim Verlag der Autoren, Frankfurt am Main.

Vier aus Papier von Erhard Schmied | Gustav Kiepenheuer Bühnenvertriebs GmbH, Berlin

Begründung der Jury:

In vier weggeworfenen Kinderzeichnungen werden ihre Urheber lebendig. Stellvertretend für diese entdecken die gezeichneten Figuren im gemeinsamen Spiel den Wert der eigenen Persönlichkeit. Sie überwinden Vorurteile gegenüber den anderen ebenso wie eigene Komplexe, um sich am Schluss miteinander in einen Bilderrahmen zu stellen. Ein leichtes und spielerisches Emanzipationsstück für ganz kleine Kinder.

Werkbeschreibung:

Kaum hat der letzte Mensch den Kindergarten verlassen, erwachen vier zurückgelassene Kinderzeichnungen zum Leben: Grrr, das Monster, Fanti, das gleich mehrere Tiere in sich vereint, ein kleines Krickelkrakel und die Prinzessin Anna-Johanna-Katharina-Anastasia-Sissi-Diana, die in Reimen spricht und seit fünf Jahren majestätisch in einem Rahmen an der Wand hängt. Mittlerweile ist es ihr dort langweilig geworden und so steigt sie zu den anderen hinab. Die sind weniger geglückt. Sie liegen zusammengeknüllt am Boden. Natürlich soll sich jetzt alles um die Prinzessin drehen, aber ihr Plan geht nicht auf. Denn wer hier warum wessen Freund ist, und wer der Schlauste, Witzigste und Stärkste, das muss sich noch herausstellen. Erst im gemeinsamen Spiel finden die Vier aus Papier zusammen und verbünden sich schließlich gegen alle Scheren, Radiergummis und sonstigen Papierverderber dieser Welt.

Kurzbiografie:

Erhard Schmied, 1957 geboren und nahe Frankfurt am Main aufgewachsen, studierte nach dem Wirtschaftsabitur Psychologie. Als Autor von Fernsehspielen, Filmen und Drehbüchern für die Fernseh-Krimiserie ‚Tatort‘ machte er sich ebenso einen Namen wie mit seinen zahlreichen Hörspielen für Kinder und Erwachsene. Auch schrieb er Gedichte und Erzählungen, die in verschiedenen Buchausgaben vorliegen. Für das Theater entstanden in den vergangenen Jahren Auftragsarbeiten, beispielsweise für das Theater Überzwerg. Seine Arbeiten wurden mit zahlreichen Preisen und Stipendien ausgezeichnet. Die Aufführungsrechte für seine Theaterstücke liegen unter anderem bei der Gustav Kiepenheuer Bühnenvertriebs-GmbH, Berlin.

Tierasyl Blomberg oder Martin, die Gans von Andreas Staudinger | Österreichischer Bühnenverlag Kaiser & Co., Wien (Österreich)

Begründung der Jury:

Eine politische Parabel, die kleinen Kinder die Notwendigkeit der Garantie der Menschenrechte unabhängig von Sympathie für den anderen plausibel vor Augen führt. Der Text zeigt modellhaft, wie sich eine Gruppe gegenüber einem Fremden verhält, Kollektivität übt und Demokratie lernt. Das Stück enthält alles, was Kindern im Theater Spaß macht und ermöglicht Erkenntnis ohne zu belehren.

Werkbeschreibung:

Der alte Mann Blomberg ist einsam. Er spricht mit den Tieren, die er in seinem Haus aufgenommen hat. Bei ihm wohnen Jupp, der alte, gebisslose Hund, Frau Miramis, die intrigante Katze, Fräulein Quiek, das komplexbeladene Schweinchen auf der Suche nach einem Bräutigam und der intellektuelle Gänserich Martin auf der Flucht. Der Bauer Siebenschrot würde den Gänserich gerne auf seinem Teller sehen und jagt den Entkommenen mit einer Schrotflinte. Bei Blomberg findet Martin Schutz. Doch sein etwas arroganter Charakter verursacht Spannungen in dem ohnehin schon zu eng werdenden Tierasyl. Erst als die Bedrohung konkret wird, überwinden die Bewohner ihre Rivalitäten und Vorurteile. Gemeinschaftlich überrumpeln sie den Bauern, der den Flüchtling in seinem Versteck aufgespürt hat. Aus dem K.O. erwacht stößt Siebenschrot nur noch auf einen afrikanischen Marabu, der ihn allerdings verdächtig an die Gans Martin erinnert.

Kurzbiografie:

Andreas Staudinger, 1956 in Scharnstein/Oberösterreich geboren, studierte in Salzburg Germanistik, Geschichte und Publizistik. Der Autor arbeitete an zahlreichen internationalen Festivals und Landschaftstheaterprojekten konzeptionell und dramaturgisch mit. Daneben entstanden Stücke, Romane sowie Bilder- und Kinderbücher. 2001 erhielt er das Österreichische Dramatikerstipendium für ‚Mondsee‘, 2006 die Dramatikerprämie des Landes Oberösterreich. Die Aufführungsrechte für seine Stücke liegen beim Österreichischen Bühnenverlag Kaiser & Co. Ges. m. b. H., Wien.

Nominierte und Preisträger*innen für den Deutschen Jugendtheaterpreis 2002

Preisträger Jugendtheater: Klamms Krieg von Kai Hensel | Gustav Kiepenheuer Bühnenvertriebs GmbH, Berlin

Begründung der Jury:

Ein kluges, witziges und böses Stück, das Schüler und Lehrer gleichermaßen angeht. Ein einzigartiger, sprachgewaltiger Monolog über die Zwänge von Institution und Tradition, die Schüler und Lehrer als Kriegsparteien einander ausliefert. Das Stück ergreift nicht Partei für eine der Seiten, sondern nur gegen das System Schule.

Werkbeschreibung:

Eigentlich will Lehrer Klamm Goethes ‚Faust‘ behandeln, doch seine Schüler machen nicht mehr mit. Sie geben ihm die Schuld am Selbstmord eines Jungen, der durch das Abitur gefallen ist. Nur ein Punkt hatte ihm gefehlt. Klamm vergab ihn nicht. Mit einem Brief erklärt die Klasse dem Deutschlehrer daraufhin symbolisch den Krieg, die totale Verweigerung. Jetzt redet Klamm gegen eine Mauer des Schweigens an, ist gezwungen sich zu verteidigen, argumentiert, versucht es mit Bestechung, Drohungen und Hohn. Immer mehr entpuppt er sich dabei als gestörte Persönlichkeit, zerrieben von Ehrgeiz und einem Machtwahn, der sich in blindem Hass und einsamer Verzweiflung Bahn bricht. Das Psychogramm eines frustrierten Lehrers, der an den eigenen und an den institutionellen Ansprüchen scheitert.

Kurzbiografie:

Kai Hensel, 1965 in Hamburg geboren, arbeitete nach dem Abitur als Werbetexter in Hamburg und Frankfurt, bevor er die Geschäftsführung einer Berliner Werbeagentur übernahm. Nach mehrmonatigen Reisen durch Europa, Afrika und Asien kam er für zwei Spielzeiten als Regisseur an das Theater Lübeck. Danach arbeitete er als Drehbuchautor für zahlreiche Shows, Serien und Spielfilme in Köln. Im Jahr 2000 entstand sein am Staatsschauspiel Dresden uraufgeführtes Stück ‚Klamms Krieg‘, dem weitere Arbeiten als Theaterautor folgten. Kai Hensel war Preisträger des Friedrich-Schiller-Gedächtnispreises 2001, wurde 2002 mit dem Deutschen Jugendtheaterpreis ausgezeichnet und erhielt 2006 den Baden-Württembergischen Jugendtheaterpreis. Die Aufführungsrechte für seine Stücke liegen bei der Gustav Kiepenheuer Bühnenvertriebs-GmbH, Berlin.

Verhüten & Verfärben von Lilly Axster | Verlag der Autoren, Frankfurt am Main

Begründung der Jury:

Ein ungewöhnlich kunstvoller Zugriff auf ein Thema, das uns üblicherweise nur in so genannten Problem- und Aufklärungsstücken begegnet. Die Autorin vertritt konsequent die Perspektive des ungewollt schwangeren Mädchens und lässt den Zuschauer teilhaben an der emotionalen Achterbahnfahrt des Mädchens in dieser Krisensituation. Durch seine fragmentarische Form bietet der Text viel Raum für inszenatorische Fantasie.

Werkbeschreibung

Antonia geht noch zur Schule. Antonia will Sängerin werden. Antonia ist schwanger. Tausend Gedanken und Gefühle toben in ihr herum. Sie spielt alle (Un)möglichkeiten ihrer neuen Situation durch und kommt zu überraschenden Ergebnissen.

Kurzbiografie

Lilly Axster, 1963 in Düsseldorf geboren, arbeitete nach dem Studium der Theaterwissenschaft und Philosophie in München und Wien an verschiedenen Theatern. Von 1990 bis 1996 war sie Regisseurin und Hausautorin am Theater der Jugend in Wien. 1995 übernahm sie gemeinsam mit Corinne Eckenstein die Leitung des Theater Foxfire in Wien. Sie erhielt mehrere Preise für ihre Stücke. Das für den Deutschen Jugendtheaterpreis 2002 nominierte ‚Verhüten und Verfärben‘ wurde 2001 mit dem Preis des Deutsch-Niederländischen Autorenwettbewerbs für Kinder- und Jugendtheater ‚Kaas & Kappes‘ ausgezeichnet. Die Aufführungsrechte für ihre Stücke liegen beim Verlag der Autoren, Frankfurt am Main.

Fremdeln (13+) von Kristo Šagor | Gustav Kiepenheuer Bühnenvertriebs GmbH, Berlin

Begründung der Jury:

Der Text überzeugt durch die geschickte Konstruktion einer Familiengeschichte, die uns durch seine analytische Struktur zu Detektiven auf den Spuren eines fatalen Familiengeheimnisses macht. Die vermeintlich den Bestand der Familie schützende Lüge erweist sich als die eigentliche Katastrophe im Leben der Beteiligten. Dem Autor gelingt es, die Figuren des Stückes durch ihren sprachlichen Gestus lebendig werden zu lassen.

Werkbeschreibung:

Svantje ist weg. Spurlos verschwunden. Direkt nach ihrem 18. Geburtstag von zu Hause abgehauen – ohne Vorwarnung und ohne eine Nachricht zu hinterlassen. Mutter Doris ist dem Wahnsinn nahe, auch ihr neuer Freund Holger macht sich Sorgen. Obwohl er gar nicht der Vater ist. Aber schließlich hat er auch eine Tochter: Nele. Mit ihr lebt er seit kurzem bei Doris und ihrem Sohn Marek. Neuer Anfang einer neuen Familie. Und jetzt das. Am schlimmsten trifft es Marek. Die Schwester war sein wichtigster Halt. Besonders nach dem schweren Autounfall, bei dem auch der Vater ums Leben kam. Svantje brachte ihm Schritt für Schritt das Leben wieder bei. Um der motzenden Nele, der besorgten Doris und Holgers Annäherungsversuchen zu entgehen, flüchtet sich Marek in Tagträume. Dabei gefällt ihm Nele eigentlich. Die Situation eskaliert als herauskommt, dass Svantje offenbar bei einem ‚älteren Mann‘ ist, dem die eine Hälfte der Familie besonders nahe steht… Ein Lügengespinst fliegt auf und zerlegt das wohlgebaute Familienpatchwork wieder in seine Einzelteile.

Kurzbiografie:

Kristo Šagor, 1976 in Stadtoldendorf geboren und aufgewachsen in Lübeck, studierte nach dem Abitur 1995 Deutsche Literatur, Theaterwissenschaften und Linguistik an der Freien Universität Berlin, verbrachte ein Jahr am Drama Trinity College in Dublin (Irland) und übernahm 1996 erste Regiearbeiten am Theater TREKJOP. 1999 entstand sein erstes Theaterstück ‚Dreier ohne Simone‘, das im gleichen Jahr uraufgeführt wurde. Mit seinem Stück ‚Durstige Vögel‘ wurde er 2000 auf dem 12. Frankfurter Autorenforum erstmals der Öffentlichkeit vorgestellt. Es folgten die Teilnahme am Europäischen Festival Junger Dramatiker Interplay Europe in Warschau 2000 und am World Festival of Young Playwrights World Interplay in Townsville (Australien) 2001. Neben seiner Tätigkeit als Autor übernahm er seit 2002 regelmäßig Regiearbeiten unter anderem in Bremen, Mannheim, Erlangen und Berlin. Im selben Jahr wurde er mit der Fördergabe des Schiller-Gedächtnispreises ausgezeichnet, erhielt den Dramatikerpreis des Thalia Theaters Halle und den Publikumspreis des Heidelberger Stückemarktes für ‚Unbeleckt‘. Es folgten 2003 der Autorenpreis für ‚FSK 16‘ beim 5. Niederländisch-Deutschen Kinder- und Jugendtheaterfestival Kaas & Kappes und 2005 ebenfalls der Autorenpreis für Trüffelschweine beim 6. Niederländisch-Deutschen Kinder- und Jugendtheaterfestival Kaas & Kappes in Duisburg. 2005 erhielt er den Kindertheaterpreis der Frankfurter Autorenstiftung für ‚Ja‘. Die Aufführungsrechte für seine Stücke liegen bei der Gustav Kiepenheuer Bühnenvertriebs-GmbH, Berlin.


Deutscher Kindertheaterpreis 2000 und Deutscher Jugendtheaterpreis 2000

  • Einladung zur Verleihung des Deutschen Kindertheaterpreises 2000 und des Deutschen Jugendtheaterpreises 2000.
  • Programmblatt zur Preisverleihung. Deckblatt.
  • Programmblatt zur Preisverleihung.
  • Programmblatt zur Preisverleihung.
  • Programmblatt zur Preisverleihung.
  • Bundesjugendministerin Dr. Christine Bergmann mit dem Gewinner des Deutschen Jugendtheaterpreises 2000, Thomas Oberender. Foto Norbert Spitzer

Die Jury 2000

Die Mitglieder der Jury

Mirjam Pressler, Autorin und Übersetzerin von Kinder- und Jugendbüchern, Walkertshofen

Peter Spuhler, Schauspieldramaturg am Volkstheater Rostock

Dr. Marianne Vejtisek, freie Dramaturgin in  Wien

Thomas Stumpp, Mitarbeiter im Bereich Theater und Tanz des Goethe-Instituts

Dr. Gerd Taube, Leiter des Kinder- und Jugendtheaterzentrums in der Bundesrepublik Deutschland

Das Fazit der Jury

Für den Deutschen Kindertheaterpreis 2000 und den Deutschen Jugendtheaterpreis 2000 sind insgesamt nur 83 Stücke vorgeschlagen worden, darunter 23 Jugendtheaterstücke und 60 Stücke für das Kindertheater. Die überwiegende Zahl der vorgeschlagenen Stücke stammte von Autorinnen und Autoren aus Deutschland. Die Jury hat das allgemein hohe literarische Niveau der Einsendungen dieses Jahrgangs hervorgehoben.

Preisträger*innen für den Deutschen Kindertheaterpreis und Deutscher Jugendtheaterpreis 2000

Preisträgerin Kindertheater: Jonna Ponna von Joanna Nordenskiöld | aus dem Schwedischen von Verena Reichel | Verlag Autorenagentur, Berlin

Begründung der Jury:

Die junge schwedische Autorin Jonna Nordenskiöld hat einen zeitgemäßen und vielschichtigen Theatertext geschrieben, der die Familie und ihre Gefährdung in den Mittelpunkt stellt. Jonna erlebt die Trennung ihrer Eltern als aufwühlenden Vorgang. Sie stellt die elementaren Fragen des Zusammen-Lebens und fühlt die Spannungen und die Zerrissenheit der Eltern in ihrem Verhältnis zueinander. Die spielerischen Bemühungen des Kindes, die Eltern immer wieder zusammen zu bringen, legen zugleich die Risse in dieser Beziehung bloß. Bemerkenswert ist, wie dieser Prozess in interessanten Szenen und knappen Dialogen dargestellt wird. Das Bett der Eltern wird zum zentralen Ort für Schmerzhaftes und Komisches gleichermaßen. Die Sprache ist direkt und klar, und die Autorin verzichtet auf Psychologisierungen der Figuren. Die Haltung des Kindes wird ernst genommen und lebendig nachvollziehbar gemacht.

Werkbeschreibung:

Jonna, liebevoll Jonna Ponna genannt, ist sieben und schläft neben dem Schlafzimmer ihrer Eltern. Eines Nachts hört sie einen Streit. Die Mutter wirft dem Vater vor, er liebe sie nicht mehr. Instinktiv spürt Jonna Ponna, dass die Eltern sich trennen wollen. Aber genau das kann sie nicht akzeptieren. Sie sollen sich lieb haben! Schließlich sind sie Mama, Papa und Jonna Ponna. Genauso soll es bleiben. Mit viel Fantasie beginnt das Mädchen, um die Eltern zu kämpfen. Aber es wächst eine Angst. Ist Jonna etwa selbst Schuld daran, dass sich Mutter und Vater nicht mehr lieben?

Kurzbiografie:

Jonna Nordenskjöld, geboren 1971, studierte Film- und Theaterwissenschaften an der Universität in Stockholm. 1997 wurde sie mit dem ‚Colombine-Preis‘ für Schwedens beste Nachwuchsautorin ausgezeichnet. Ihr erstes Theaterstück ‚Jonna Ponna‘ wurde 1998 unter der Regie von Torbjörn Astners am Stadsteatern Sätre uraufgeführt. Die Aufführungsrechte ihrer Stücke liegen beim Verlag Autorenagentur, Frankfurt am Main.

Preisträger Jugendtheater: Nachtschwärmer von Thomas Oberender | Verlag der Autoren, Frankfurt am Main

Begründung der Jury:

Thomas Oberender mischt in seinem sehr vielseitigen Text auf interessante Weise Märchenmotive mit einem heutigen Lebensgefühl. Das Grimmsche Märchen ‚Die zertanzten Schuhe‘ dient als Grundlage für die metaphernreiche, bildkräftige Darstellung eines pubertären Loslösungsprozesses dreier junger Mädchen von ihrem Verständnis-unfähigen Vater. Oberender entführt die Zuschauer in eine unterirdische Traumwelt, die beides sein kann: Königreich und Diskothek – und gleichzeitig Verkörperung des Unterbewussten. Dabei werden verschiedene Handlungsebenen geschickt verflochten und die klassischen und modernen Gestaltungselemente elegant verbunden. Besonders erwähnenswert erscheint uns der souveräne Umgang mit Sprache. Die Jury will mit der Wahl von ‚Nachtschwärmer‘ auch einen Anstoß zur Entwicklung und Umsetzung von komplexeren Theaterstücken für das deutschsprachige Jugendtheater geben, die die Lebensrealität junger Menschen auf solch ungewöhnliche Art und Weise darstellen.

Werkbeschreibung:

Nacht für Nacht verschwinden drei Schwestern aus ihrem Zimmer und liegen am nächsten Morgen mit zertanzten Schuhen im Bett. Der Vater hat Fenster und Türen verbarrikadiert und eine Belohnung ausgesetzt für den, der das Geheimnis der Schwestern lüftet. Ein ehemaliger Grenzsoldat, durch seinen Mantel unsichtbar, folgt den Schwestern auf ihren nächtlichen Ausflug und entdeckt, dass sie durch das Tanzen ihre Traumprinzen aus der Unterwelt zu befreien versuchen. Der Spitzel verrät die Schwestern, und der Zugang zur Unterwelt bleibt für immer versperrt. Aber die tiefe Enttäuschung der jungen Frauen verbindet sich allmählich mit der Erkenntnis, dass auch die Oberwelt eine verlockende Perspektive für sie bereithält.

Kurzbiografie:

Thomas Oberender, 1966 in Jena geboren, studierte Theaterwissenschaft an der Berliner Humboldt-Universität und Szenisches Schreiben an der Hochschule der Künste Berlin. Es folgten Arbeiten als Literatur- und Theaterkritiker sowie als Autor verschiedener Hörfunkessays. Thomas Oberender war Mitbegründer der Autorenvereinigung ‚Theater Neuen Typs, TNT Berlin‘. Von 2000 bis 2005 arbeitete er als Leitender Dramaturg und Mitglied der Direktion am Schauspielhaus Bochum und wechselte 2005 als Leitender Dramaturg an das Schauspielhaus Zürich. Seit 2007 verantwortet er das Schauspielprogramm der Salzburger Festspiele. Die Aufführungsrechte seiner Stücke liegen beim Verlag der Autoren, Frankfurt am Main.

Lobende Erwähnung zum Deutschen Jugendtheaterpreis 2000: no stairway to heaven von Lisa Rose-Cameron | Florian Noetzel Verlage, Wilhelmshaven

Begründung der Jury:

Mit der Lobenden Erwähnung möchte die Jury das Theaterstück ’no stairway to heaven‘ aus dem Kreis der Einreichungen für den Deutschen Jugendtheaterpreis 2000 herausheben. Auf poetische, sehr subjektive Weise schildert die Autorin die Nachwirkungen des Selbstmordes einer jungen Frau auf ihre Familie und vor allem auf ihre jüngere Schwester. Anliegen der Jury ist es, den Blick auf das Erstlingswerk einer jungen Autorin zu lenken und die Theater damit aufzufordern, sich den Fragestellungen des Textes prüfend zu widmen.

Werkbeschreibung:

Justins Schwester Carolin hat Selbstmord begangen. Justin fühlt sich schuldig. Um ihren Schmerz zu vergessen, macht sie endlose Spaziergänge. Dabei trifft sie auf Ron, einen alten Mann. Er angelt, er philosophiert mit dem Meer. Die beiden kommen ins Gespräch über Leben und Tod. Rons Frau ist vor kurzem bei einem Verkehrsunfall ums Leben gekommen. So unterschiedlich die beiden sind, so sehr verbindet sie ihr tragisches Schicksal. Ron hat gelernt mit dem Tod umzugehen und er hilft Justin dabei, dass sie ihr Leben weiter leben kann.

Kurzbiografie:

Lisa Rose-Cameron, 1972 in Yorktown geboren, studierte von 1990 bis 1994 Germanistik in ihrem Heimatland Australien und von 1995 bis 1997 als Stipendiatin des DAADs an der Ludwig Maximilians Universität München im Bereich Theaterpädagogik. Es folgten Arbeiten als Autorin, Theaterpädagogin und Übersetzerin – beispielsweise für die englische Übersetzung des Stückes ‚Das Waldkind‘ vom Theater mini-art e.V. 1999 war sie Teilnehmerin am internationalen Autorenfestival World Interplay in Townsville (Australien). 1999 entstand auch ihr Stück ’no stairway to heaven‘, mit dem sie an der Dramatiker-Werkstatt des Kinder- und Jugendtheaterzentrums in Wolfenbüttel und an dem ASSITEJ Autorentreffen ‚Stücke werken‘ in Aarau (Schweiz) teilnahm. Die Aufführungsrechte ihrer Stücke liegen beim Florian Noetzel Verlag, Wilhelmshaven.


Deutscher Kindertheaterpreis 1998 und Deutscher Jugendtheaterpreis 1998

  • Erste Reihe im Kaisersaal des Frankfurter Römers während der Preisverleihung: V.l.n.r. Dr. Gerd Taube, Sarah Nemitz, Lutz Hübner (Deutscher Jugendtheaterpreis 1998), Barbara Buri, Ad de Bont (Deutscher Kindertheaterpreis 1998) und Dr. Hans-Bernhard Nordhoff. Foto Norbert Spitzer
  • Der Gewinner des Deutschen Kindertheaterpreises 1998, Ad de Bont mit der Parlamentarischen Staatssekretärin im Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, Dr. Edith Niehuis und Dr. Gerd Taube (v.l.n.r.). Foto Norbert Spitzer
  • Die Parlamentarische Staatssekretärin im BMFSFJ, Dr. Edith Niehuis (re.) übergibt die Aufführungsprämien an Renate Frisch, Komma Theater Duisburg (mi.) und Eva Hosemann, Theater Rampe Stuttgart. Foto Norbert Spitzer
  • Kulturdezernent Dr. Hans-Bernhard Nordhoff begrüßt die Gäste der Preisverleihung im Namen der Stadt Frankfurt am Main. Foto Norbert Spitzer
  • Sarah Nemitz, Lutz Hübner (Deutscher Jugendtheaterpreis 1998), Barbara Buri, Ad de Bont (Deutscher Kindertheaterpreis 1998) und die Parlamentarische Staatssekretärin im BMFSFJ, Dr. Edith Niehuis (v.l.n.r.) Foto Norbert Spitzer

Die Jury 1998

Die Mitglieder der Jury

Dr. Ursula Krechel, Autorin und Literaturwissenschaftlerin, Frankfurt am Main

Dietrich Kunze, Intendant Theater Junge Generation, Dresden

Franziska Steiof, freie Regisseurin, Kiel

Thomas Stumpp, Bereich Theater und Tanz des Goethe-Instituts, München

Dr. Gerd Taube, Leiter des Kinder- und Jugendtheaterzentrums in der Bundesrepublik Deutschland, Frankfurt am Main

Fazit der Jury

Der Deutsche Kindertheaterpreis und der Deutsche Jugendtheaterpreis sind 1998 zum zweiten Mal vergeben worden. Die Jury las und diskutierte 84 Kindertheaterstücke und 29 Jugendtheaterstücke. Es war dabei festzustellen, dass die meisten Autoren nach wie vor auf bewährte Vorlagen der epischen Kinderliteratur zurückgegriffen haben, seien es Märchen, Sagen, Kinder- oder Bilderbücher, und dass die originären Stoffe im Kindertheater eher selten gewesen sind. In den Stücken des Jugendtheaters dominierte noch immer die direkte Abbildung der Lebenswelt von Jugendlichen und nur in wenigen Ausnahmen ist auf mythische und historische literarische Stoffe zurückgegriffen worden.

Preisträger*innen für den Deutschen Kindertheaterpreis und Deutschen Jugendtheaterpreis 1998

Preisträger Kindertheater: Die Tochter des Ganovenkönigs (De Dochter van de Boevenkoning) von Ad de Bont | aus dem Niederländischen von Barbara Buri | Verlag der Autoren, Frankfurt am Main

Begründung der Jury:

Das Stück verknüpft märchenhafte und realistische Elemente und ist dabei immer ganz gegenwärtig. Julchen, die Tochter des Ganovenkönigs, ist eine Protagonistin im klassischen Sinne. Sie soll von ihren Eltern aus Gewinnsucht verkauft werden, so wie bereits ihre Brüder und Schwestern. Als sie das erkennt, wehrt sie sich dagegen und beantragt amtlicherseits die Scheidung von ihren Eltern. Sie fordert damit ihr Recht auf Selbstbestimmung ein. Die Geschichte wird vorangetrieben von der Frage nach dem Bösen in der Welt. Hier wird es verkörpert durch das mafiose königliche Elternpaar und zwei korrupte Staatsdiener. Ad de Bont untersucht sowohl psychologische, innerfamiliäre als auch gesellschaftliche Mechanismen. Mit scharfem Witz beschreibt der Autor eine Welt, in der die Käuflichkeit regiert. Der Sinn des Autors für die Metaphorik von Sprache kommt unter anderem in dem Bild vom ‚goldenen Herzen‘ zum Ausdruck. Auch die Übersetzung besticht durch ihre Genauigkeit, Sinnlichkeit und die überaus reiche und vielschichtige Sprache voller unkonventioneller Wendungen.

Werkbeschreibung:

Es ist fast wie im Märchen: Julchen wohnt mit ihren Eltern in einem großen Schloss. Es ist der Vorabend ihres 12. Geburtstags. Ihr Vater ist ein König, ihre Mutter eine Königin. Allerdings handelt es sich um ein etwas merkwürdiges Königspaar. Ihre Sprache ist ebenso wenig vornehm wie ihre Manieren. Sie verkehren mit korrupten Polizisten und mit einem in dunkle Machenschaften verstrickten Richter und entsprechen so gar nicht dem, was man von einem königlichen Ehe- und Elternpaar erwarten würde. Kein Wunder also, dass das ganz aus der Art geschlagene Julchen ernsthaft erwägt, sich von ihren Eltern scheiden zu lassen. Was wie ein Märchen beginnt, wird immer mehr zu einer Kriminalgeschichte. Was ist aus Julchens elf Geschwistern geworden? Wo ist ihr geliebter Großpapa abgeblieben? Und wo soll das goldene Herz herkommen, das sich der König zu seinem 25. Dienstjubiläum wünscht?

Kurzbiografie:

Ad de Bont, 1949 in Waspik (Niederlande) geboren, studierte nach dem Abitur zunächst Erziehungswissenschaften, später auch Spiel- und Theaterpädagogik. Von 1972 bis 1975 besuchte er die Schauspielschule in Amsterdam. Es folgten Tätigkeiten als Schauspieler und Autor bei verschiedenen niederländischen Theatergruppen. 1982 wurde er künstlerischer Leiter des Amsterdamer Kindertheaters Wederzijds. Durch seine zahlreichen, für das junge Publikum geschriebenen Theaterstücke gelangte Ad de Bont zu Weltruhm. Mit seiner gesamten künstlerischen Arbeit konnte er dem europäischen Kindertheater wichtige Impulse gegeben. Seine Theaterstücke wurden in mehr als zehn Sprachen übersetzt und mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet. Die Aufführungsrechte seiner Stücke liegen beim Verlag der Autoren, Frankfurt am Main.

Preisträger Jugendtheater: Das Herz des Boxers von Lutz Hübner | Hartmann & Stauffacher Verlag, Köln

Begründung der Jury:

Lutz Hübner hat ein sympathisches, warmherziges Kammerspiel über das Leben-Lernen und Leben-nicht-Verlernen geschrieben. Dabei ist ihm eine Komödie gelungen, in der Ideale unspektakulär vertreten werden. In einem Altersheim treffen der ehemalige Boxchampion Leo und der Jugendliche Jojo aufeinander. Früher war der Alte stark, der Junge wird es durch die wachsende Freundschaft, der Alte lernt dabei von der Schwäche des Jungen. Das Klischee von männlichem Heldentum wird gebrochen. Der Autor erzählt in lebendigen Dialogen von der Lust der beiden Figuren, einander ohne karitatives Motiv bei der Verwirklichung ihrer Träume zu helfen. Er ermöglicht den Figuren ein wirkliches Miteinander.

Werkbeschreibung:

Jojo ist ein echter Loser: Er hat für den Boss seiner Clique eine Bewährungsstrafe wegen Diebstahls übernommen – und wird zum Dank nun von allen als Idiot beschimpft. Auch sonst sieht es trübe für ihn aus: keine Lehrstelle, keine Freundin, keine Hoffnung. Und jetzt wird er ins Altersheim abkommandiert und muss Wände anstreichen. Hier trifft er auf Leo, einen ehemaligen Preisboxer, der vortäuscht senil zu sein, um in Ruhe gelassen zu werden. Weder Jojos flotte Sprüche noch seine Provokationen können ihn aus seiner Lethargie reißen. Während der Junge die Wände in dem kahlen Zimmer streicht, erzählt er dem alten Mann von seinen Sorgen und Problemen. Zu seiner Überraschung beginnt Leo plötzlich zu sprechen und es zeigt sich, dass der Alte keineswegs senil ist – im Gegenteil. Langsam nähern sich die beiden an, Vorurteile werden abgebaut. Leo durchschaut Jojos coole Fassade und erkennt dahinter den anständigen Jungen. Nach und nach entsteht eine Freundschaft, von der beide profitieren. Sie werden zu Verbündeten gegen eine Gesellschaft, die sie nicht ernst nimmt.

Kurzbiografie:

Lutz Hübner, 1964 in Heilbronn geboren, studierte nach dem Abitur von 1983 bis 1984 Germanistik, Philosophie und Soziologie an der Universität in Münster. Nach dem Zivildienst und einer Schauspielausbildung von 1986 bis 1989 an der Staatlichen Hochschule für Musik und Darstellende Kunst Saarbrücken war er als Schauspieler am Saarländischen Staatstheater in Saarbrücken und am Badischen Staatstheater in Karlsruhe tätig. Von 1990 bis 1993 wechselte er als Schauspieler und Regisseur an das Rheinische Landestheater Neuss. 1993 bis 1996 folgte ein Engagement am Theater der Landeshauptstadt Magdeburg. Als freiberuflicher Schriftsteller und Regisseur entwickelte sich Lutz Hübner zu einem der meistgespielten zeitgenössischen deutschen Autoren. Eine Vielzahl von Stücken entstand, unter anderem auch Auftragsarbeiten für das Deutsche Theater Göttingen, das Staatstheater Hannover, das Maxim Gorki Theater Berlin und das Deutsche Schauspielhaus Hamburg. Die Aufführungsrechte seiner Stücke liegen beim Verlag Hartmann & Stauffacher, Köln.


Deutscher Kindertheaterpreis 1996 und Deutscher Jugendtheaterpreis 1996

  • Deckblatt der Dokumentation der Preisverleihung.
  • Blick in die Dokumentation der Preisverleihung.
  • Blick in die Dokumentation der Preisverleihung.
  • Blick in die Dokumentation der Preisverleihung.
  • Blick in die Dokumentation der Preisverleihung.
  • Blick in die Dokumentation der Preisverleihung.
  • Blick in die Dokumentation der Preisverleihung.
  • Gertrud Dempwolf, Parlamentarische Staatssekretärin im Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (mi.) überreicht Rudolf Herfurtner (li.) den Deutschen Kindertheaterpreis 1996, re. Dr. Wolfgang Schneider, Leiter des KJTZ. Foto Norbert Spitzer
  • Martin Leßmann, Moks Theater Bremen, Klaus Schultz, Staatstheater am Gärtnerplatz München und Karl Gündel, Neue Bühne Senftenberg nehmen die Aufführungsprämie zum Deutschen Kindertheaterpreis 1996 in Empfang. Foto Norbert Spitzer
  • Während der Preisverleihung. Erste Reihe: Rudolf Herfurtner, Gertrud Dempwolf, Parlamentarische Staatssekretärin im BMFSFJ, Dr. Wolfgang Schneider; zweite Reihe: Henning Fangauf, KJTZ und Helmut Brinkmann, BMFSFJ (v.l.n.r.). Foto Norbert Spitzer
  • Der Leiter des KJTZ, Dr. Wolfgang Schneider bei seiner Ansprache. Foto Norbert Spitzer
  • Die Gäste der Preisverleihung im Kaisersaal des Frankfurter Römer. Foto Norbert Spitzer
  • Das Ensemble des Kinder- und Jugendtheaters am Landestheater Tübingen umrahmt die Preisverleihung musikalisch. Foto Norbert Spitzer

Die Jury 1996

Die Mitglieder der Jury

Andrea Maria Erl, Künstlerische Leiterin des Theaters Mummpitz, Nürnberg

Manuel Schöbel, Intendant des carrousel Theaters an der Parkaue, Berlin

Mirjam Pressler, Autorin und Übersetzerin von Kinder- und Jugendbüchern, Walkertshofen

Thomas Stumpp, Bereich Theater und Tanz des Goethe-Instituts, München

Dr. Wolfgang Schneider, Leiter des Kinder- und Jugendtheaterzentrums in der Bundesrepublik Deutschland

Das Fazit der Jury

Der Deutsche Kindertheaterpreis und der Deutsche Jugendtheaterpreis sind 1996 vom Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend gestiftet und zum ersten Mal vergeben worden. Das Kinder- und Jugendtheaterzentrum in der Bundesrepublik Deutschland war mit der Durchführung beauftragt. Die Preise waren mit jeweils 45.000 DM dotiert, je 15.000 DM Preissumme und 30.000 DM für die Aufführungsprämien.

Die Ausschreibung stieß bei Verlagen und Theatern auf große Resonanz. Der Jury lagen insgesamt 150 eingesandte Stücke vor, die von deutschsprachigen Verlagen und Theatern vorgeschlagen worden waren. Davon bewarben sich 82 um den Kindertheaterpreis und 52 um den Jugendtheaterpreis, 16 Einsendungen erfüllten nicht die formalen Kriterien der Ausschreibung. Im Kindertheater hielten sich die auf von Autoren erfundenen Geschichten basierenden Stücke die Waage mit den Texten, die auf der Grundlage von Märchen, Sagen oder Kinderbüchern entstanden sind. Im Jugendtheater dominierten dagegen deutlich die von Autoren oder von Ensembles neu erfundenen Geschichten, auf literarische Vorlagen ist nur in seltenen Fällen zurückgegriffen worden, einige Stücke bezogen sich auf tatsächliche Ereignisse.

Die Jury war beeindruckt von der literarischen Qualität der Texte und die Einsendungen haben einen Eindruck von der Vielfalt der dramatischen Kinder- und Jugendliteratur und der Produktivität der Autorinnen und Autoren gegeben.

Preisträger*innen für den Deutschen Kindertheaterpreis und Deutschen Jugendtheaterpreis 1996

Preisträger Kindertheater: Waldkinder von Rudolf Herfurtner | Verlag der Autoren, Frankfurt am Main

Begründung der Jury:

‚Waldkinder‘, Herfurtners erstes Theaterstück für die jüngsten Theaterbesucher, besticht durch hohes sprachliches Niveau sowie durch formalen und inhaltlichen Reichtum. In dem Stück für eine Darstellerin und drei Musiker reflektiert die zentrale Person im ständigen Rollenwechsel mit Puppen und Figuren die Fragen eines Menschen, sich mit Mut zum Aufbruch ins Leben zu entscheiden. ‚Lachen, Weinen, Freunde‘ sind die Lebensbegleiter in diesem philosophischen Stück. Hervorzuheben sind die außergewöhnlich vielfältigen Inszenierungsmöglichkeiten, die ‚Waldkinder‘ bietet.

Werkbeschreibung

Harmonie und Idylle im Garten sind gestört. Ein großes Loch klafft in der Gartenmauer und lockt das Kind hinaus in die unbekannte Welt. Hin und her gerissen zwischen Unbehagen und Neugier sucht es Rat beim Spaßmacher, der Köchin und dem Puppendoktor. Doch die halten nichts von einem Ausflug. Gemeinsam mit seiner Puppe wagt sich das Kind schließlich durch das Loch in der Mauer hinaus in den Wald, in die Welt. Dort begegnet es den drei Waldkindern: dem Höhlenkind, dem Wasserkind und dem Vogelkind. Drei befremdliche Wesen mit einer ganz eigenen Geschichte und einer ganz eigenen, musikalischen Sprache. Nach anfänglichem Zögern überwinden Puppe und Kind ihre Angst vor den drei seltsamen Gestalten. Mit der Freundschaft kommt das Verstehen. „Weinen, Lachen, Freunde“ – das sind die drei ersten Worte, die schnell die Freundschaft besiegeln.

Kurzbiografie

Rudolf Herfurtner, 1947 in Wasserburg geboren, studierte nach dem Abitur Germanistik, Romanistik und Theaterwissenschaften in München. 1971 arbeitete er für das Feuilleton einer Münchner Tageszeitung und begann ein Volontariat beim Bayrischen Rundfunk. 1973 entstanden erste literarische Veröffentlichungen. Er entwickelte sich zu einem der bekanntesten Kinder- und Jugendbuchautoren in Deutschland und seine Arbeiten wurden mir zahlreichen Preisen und Auszeichnungen bedacht. Mit ‚Geheime Freunde‘ schrieb er 1986 eines der erfolgreichsten Stücke im deutschen Kindertheater überhaupt. Die Aufführungsrechte seiner Stücke liegen beim Verlag der Autoren, Frankfurt am Main.

Preisträger Jugendtheater: Ob so oder so von Oliver Bukowski | Gustav Kiepenheuer Bühnenvertriebs GmbH, Berlin

Begründung der Jury:

Oliver Bukowskis Stück ‚Ob so oder so‘, das nach eigener Angabe „vor allem für ein jüngeres Publikum geschrieben“ wurde, bringt drei Personen zusammen, die in einer Welt der Orientierungslosigkeit zu Liebesbeziehungen finden, ohne sich dabei richtig füreinander erwärmen zu können. Die Geschichte setzt auf Überraschungen, die Sprache auf Witz, die Dramaturgie auf ein hohes Spieltempo. Mit diesen Mitteln gelingt dem Autor ein bewegendes Stück, das ständig mit der Überhöhung von Realitäten arbeitet und sich somit nicht ausschließlich thematisch aufdrängt.

Werkbeschreibung:

Den beiden, um die es hier geht, wurde kein Bausparvertrag in die Wiege gelegt. Intelligenz ist dafür ihr Kapital. Die erste Nacht verbringen Mona und Nick in einer Bruchbude und am Morgen danach gibt’s zum Frühstück Tictac mit einer alten Schrippe. Aber ihre geistigen Höhenflüge bringen sie schnell in eine Luxuswohnung, nur weiß man nicht genau, ob es wirklich die Wohnung von Nicks Mutter oder die eines Einbruchopfers ist. Erst als die Eigentümerin überraschend auftritt, entwickelt sich ein rasantes Spiel mit vielen Varianten, in dem jeder ein paar Zentimeter über dem Bühnenboden zu schweben scheint.

Kurzbiografie:

Oliver Bukowski, 1961 in Cottbus geboren, studierte von 1985 bis 1990 Philosophie an der Berliner Humboldt-Universität, ab 1987 mit sozialpsychologischer Spezialisierung. Schon 1989 entstanden erste Schreibversuche. Von 1990 bis 1991 war er Doktorand der Sozialwissenschaften und arbeitete danach als freischaffender Autor. 1994 wurde er mit dem Gerhart-Hauptmann-Preis ausgezeichnet. Es folgten 1996 der Deutsche Jugendtheaterpreis für ‚Ob so oder so‘, 1998 der Stücke-Förderpreis des Goethe-Instituts im Rahmen der Mülheimer Theatertage für ‚Nichts Schöneres‘, 1999 der Mülheimer Dramatikerpreis für ‚Gäste‘ und 2001 der Lessing-Förderpreis des Freistaates Sachsen. Die Aufführungsrechte für seine Stücke liegen bei der Gustav Kiepenheuer Bühnenvertriebs GmbH, Berlin.

Lobende Erwähnung zum Deutschen Kindertheaterpreis: Ursel (Ursle) von Guy Krneta | Verlag der Autoren, Frankfurt am Main

Begründung der Jury:

Eine Lobende Erwähnung sprach die Jury dem Schweizer Autor Guy Krneta für sein Kindertheaterstück ‚Ursel‘ aus. ‚Ursel‘, ein Stück, das den Kindern auf ungewohnte Art und Weise das Thema Tod näher bringen will, besticht durch die einfache, dichte Sprache, mit der die existentielle Geschichte erzählt wird. Dem Autor gelingt es, dem schweren Thema mit Leichtigkeit und alltäglicher Diktion zu begegnen. Das Stück wurde von Uwe Dethier ins Hochdeutsche übersetzt.

Werkbeschreibung:

Ursel ist sechs. Ihr Bruder Urs ist vor ihrer Geburt gestorben. Die Eltern können das nicht verwinden. Alles dreht sich nur um ihn. Urs ist das Maß aller Dinge und Ursel soll sein wie er. Sie soll immer ihr Essen aufessen, ihr Zimmer aufräumen, schnell einschlafen – alles so, wie es Urs immer getan hat. Irgendwann ist das zuviel, denn sie möchte als Ursel geliebt werden und auch einmal im Mittelpunkt stehen. Versteckt hinter dem Schrank träumt sie von ihrer eigenen Beerdigung – mit vielen Blumen, Kerzen und allem drum und dran, und endlich denken alle nur an sie.

Kurzbiografie:

Guy Krneta, 1964 in Bern geboren und aufgewachsen, begann 1983 ein Studium der Theater- und Musikwissenschaft in Wien. Nach einem Jahr kehrte er nach Bern zurück, um mit einem Medizinstudium zu beginnen. Als Autor, Regie- und Dramaturgieassistent gelang ihm 1986 der Einstieg am Stadttheater Bern und Basel sowie am Städtebundtheater Biel-Solothurn. 1989 wurde er Dramaturg und Autor beim Berner Ensemble und war gemeinsam mit Peter Borchardt und Beatrix Bühler Co-Leiter des zeitgenössischen Theaterfestivals auawirleben. Er arbeitete journalistisch für die Kulturzeitschrift ‚Zytglogge Zytig‘ und war Mitglied der Literarischen Kommission der Stadt Bern. 1991 wechselte er als Dramaturg an das Württembergischen Landestheater Esslingen und 1993 an das Staatstheater Braunschweig. Ab 1996 arbeitete er als Co-Leiter des Theaters Tuchlaube Aarau (Schweiz), und als Dramaturg und Autor beim Freien Theater M.A.R.I.A. in Aarau (Schweiz). Seit 2002 ist er freischaffender Autor. Die Aufführungsrechte seiner Stücke liegen beim Verlag der Autoren, Frankfurt am Main.

Lobende Erwähnung zum Deutschen Jugendtheaterpreis: Nach Hause (Domoj)von Ljudmila Rasumowskaja | aus dem Russischen von Ganna-Maria Braungardt | henschel SCHAUSPIEL Theaterverlag, Berlin

Begründung der Jury:

Eine Lobende Erwähnung sprach die Jury der Autorin Ljudmilla Rasumowskaja für ihr Jugendtheaterstück ‚Nach Hause‘ aus. Die russische Erfolgsautorin zeichnet in dem Stück das Bild einer verzweifelten und verlassenen Jugend in ihrem Land. Dieses gelingt ihr mittels einer Handlung voller dokumentarischer Schärfe und durch ausgeformte Charaktere, die nicht ohne Widersprüche bleiben. Das Stück wurde von Ganna-Maria Braungardt übersetzt.

Werkbeschreibung:

Sankt Petersburg in der Post-Perestroika-Zeit: Im Keller eines Abbruchhauses hat eine Gruppe obdachloser Jugendlicher Quartier bezogen: die 17jährige Shanna, die ihr Dasein als Prostituierte nicht länger erträgt, die beiden Brüder Zwilling und Foma, aus einem Kinderheim entflohen, die Kriminellen Lumpi und Wichse, die die anderen in Schach halten, und Mike, der endlich einen Pass gekauft hat und wegfahren will. Mitten im Müll und Dreck hängen sie ihren Träumen von Weißbrot, Pelzjacken und marmornen Klobecken nach. Zu ihnen stößt Wenka, ein junger Novize, der das Kloster verlassen hat, um das Leid der Welt kennen zulernen. Er erlebt, wie alle ums Überleben kämpfen, ihre Ängste und ihre Sehnsüchte nach Geborgenheit kaschieren, wie sie sich quälen – und wie sie sich helfen.

Kurzbiografie:

Ludmilla Rasumowskaja, 1948 in Riga geboren, absolvierte von 1969 bis 1974 das Leningrader Institut für Theater, Musik und Film, wo sie auch eine Schauspielausbildung erhielt. Ende der siebziger Jahre begann sie mit dem Stückeschreiben. Ihr Stück ‚Liebe Jelena Sergejewna‘ wurde kurz nach der Uraufführung 1982 aus Zensurgründen wieder abgesetzt. Auch andere ihrer Stücke wie z.B. ‚Garten ohne Erde‘ konnten nur unter erheblichen Schwierigkeiten aufgeführt werden. Erst 1987 wurde ‚Liebe Jelena Sergejewna‘ wieder ins Repertoire aufgenommen und sofort zu einem Welterfolg. Bis heute findet es sich in den Spielplänen vieler Theater auch außerhalb Russlands. Die Aufführungsrechte für ihre Stücke liegen beim henschel SCHAUSPIEL Verlag, Berlin.

Mehr

2022 2024