wort+schatz
Diskriminierungsarm sprechen: das bedeutet, verschiedene Geschlechter einzubeziehen. Das bedeutet, das N-Wort nicht zu sagen. Das kann auch bedeuten, von Menschen mit Behinderung zu sprechen anstatt von Menschen mit besonderen Bedürfnissen.
Obwohl diskriminierungsarm zu sprechen also eigentlich als etwas sehr Inklusives verstanden werden kann – spaltet das Thema enorm. Es gibt Leute, die fühlen sich dadurch regelrecht in ihrer Wortwahl zensiert und eingeschränkt. Andere fühlen sich aber einfach auch nur unsicher, weil sie viele der neuen Wörter nicht kennen, nicht verstehen – oder schlicht und einfach nicht wissen, was noch okay und was diskriminierend ist.
wort+schatz soll genau diese Berührungsängste abbauen. Was ist das Z-Wort? Warum sollte ich es nicht sagen? Was ist die korrekte Alternative und wie drücke ich mich eigentlich am besten aus, wenn ich die Diskriminierung von Menschen mit Behinderung meine?
wort+schatz ist ein wachsender Schatz voller Wörter und Erklärungen, Definitionen, Ratschlägen und Reflexionsfragen wie mit der Unsicherheit der Sprache umzugehen sein könnte. Als Teil von bewusst+sein soll hier ein niedrigschwelliges Angebot gemacht werden.
Hinweis: Wir haben den Anspruch die Beiträge sprachlich zugänglich zu gestalten. Dennoch haben wir schnell festgestellt, dass wir an der ein oder anderen Stelle an unsere Grenzen stoßen, wenn es um die sinngemäße Wiedergabe der Komplexität der Themen geht. Wir nehmen sprachliche Barrieren wahr und sind bemüht diese stufenweise zu reduzieren.
wort+schatz
Das Wort setzt sich zusammen aus dem englischen Wort „able“ (= fähig sein) und dem Suffix „-ismus“. Ableismus meint die Ablehnung und Ausgrenzung von Menschen mit Behinderung. Das soziale Modell nach der UN-Behindertenrechtskonvention sagt aus, dass jemand nicht behindert ist, sondern von der Gesellschaft behindert wird. Das kann mit einer Aufwertung einhergehen, z.B. wenn Menschen mit Behinderung für die Erledigung ganz alltäglicher Sachen gelobt werden. Häufiger passiert es in Form von Abwertung. Im Theater werden Menschen mit Behinderung ebenso diskriminiert. Sie müssen sich oftmals speziell anmelden, um eine Kulturveranstaltung zu besuchen und können nicht einfach davon ausgehen, dass z.B. der Zugang zum Gebäude oder die Übersetzung in Gebärdensprache gewährleistet ist. Menschen mit Behinderung werden durch stereotype Darstellungen in den Medien diskriminiert und auf ihre Behinderung reduziert. Zudem werden die wenigen Rollen, die es für Menschen mit Behinderung im Theater gibt häufig von nicht-behinderten Darsteller*innen gespielt, während Schauspieler*innen mit Behinderung(en) es schwer haben, Rollenangebote zu bekommen.
Dieses Verfahren nennt man auch „Cripping Up“. Viele Theatermacher*innen mit Behinderungen kritisieren diese Besetzungspraxis und äußern, dass es problematisch sei, wenn Schauspieler*innen ohne Behinderung Menschen mit Behinderung auf der Bühne verkörpern. Sie werfen ihnen Identitätsdiebstahl vor. Außerdem haben behinderte Schauspieler*innen generell weniger Chancen für Produktionen engagiert zu werden. Wenn Theater für junges Publikum behinderte Schauspieler*innen für Rollen besetzen, wird das oftmals dramaturgisch „gerechtfertigt“. Selten werden behinderte Menschen für Held*innenrollen, sondern oft für Rollen des*der Außenseiter*in gecastet. Das kann schmerzhafte Erinnerungen hervorrufen.
Welche Erfahrungen hast Du bereits mit „Cripping up“ gemacht? Würdest Du als nicht-behinderte*r Schauspieler*in das Angebot, eine behinderte Person auf der Bühne zu spielen, ablehnen?
Adultismus beschreibt das ungleiche Machtverhältnis zwischen Erwachsenen, Kindern und Jugendlichen. In Form von Handlungen, Meinungen und Ansichten findet eine Ungleichbehandlung statt, wodurch Kinder- und Jugendliche Benachteiligung erfahren. Erwachsenen werden Eigenschaften wie Intelligenz und ein besseres Denkvermögen zugeschrieben. Folglich werden Erwachsene in vielen gesellschaftlichen Kontexten als schlau, verantwortungsvoll und vertrauenswürdig wahrgenommen, um Entscheidungen für jüngere Menschen zu treffen. Kinder und Jugendliche hingegen werden mit negativen Eigenschaften wie Rücksichtlosigkeit, Unreife oder Egoismus in Verbindung gebracht. Sie werden als nicht vertrauenswürdig und weniger schlau wahrgenommen und nicht bei wichtigen Entscheidungen, die sie individuell oder gemeinschaftlich betreffen miteingebunden. Letztendlich werden ihnen grundlegende Kompetenzen und selbstständiges Handeln abgesprochen.
Adultismus beschreibt demzufolge eine Aufwertung der Perspektiven von Erwachsenen und zeitgleich eine Abwertung der Perspektiven und Meinungen von Kindern und Jugendlichen. Er stellt den gesellschaftlichen Rahmen, indem Erwachsene sich über die Bedürfnisse, Meinungen und Ansichten von Kindern und Jugendlichen hinwegsetzen, um ihre Ziele durchzusetzen. Viele Kinder- und Jugendtheater Häuser sind darum bemüht die Beteiligung junger Menschen zu fördern bspw. durch die Einbindung von Kinder- und Jugendbeiräte. Dennoch gibt es keine festen Leitlinien die festlegen, dass junge Menschen z.B. von Anfang an, an der Stückentwicklung miteingebunden werden oder selbst bestimmen, was sie auf der Bühne sehen wollen. Adultismus ist ein strukturelles Problem. Um dem entgegenzuwirken, braucht es wiederum strukturelle Lösungen.
Welche Entscheidungen über Theater für junges Publikum werden ausschließlich von Erwachsenen getroffen, auch wenn sie direkte Auswirkungen auf Kinder und Jugendliche haben?
Wie drückt man sich diskriminierungsarm aus, wenn man über das Thema Behinderung spricht? Seitdem auf Schulhöfen die Wörter „Behinderung“ und „behindert“ als Schimpfwörter benutzt werden, sind sie in Verruf geraten. Wir orientieren uns an das soziale Modell von Behinderung nach der UN-Behindertenrechtskonvention, das aussagt, dass Menschen nicht behindert sind, sondern von den Strukturen unserer Gesellschaft behindert werden. Zudem unterscheiden wir zwischen der Selbstbezeichnung, d.h. wie eine soziale Gruppe benannt werden möchte und Fremdbezeichnungen, die Diskriminierung reproduzieren. Mensch mit Behinderung entspricht dem Ansatz der „Person-First-Sprache“. Es handelt sich um eine selbstbestimmte Bezeichnung. Einige Menschen mit Behinderungen bevorzugen die Person-First Sprache, denn diese stellt das Menschsein in den Vordergrund. Genauso unproblematisch ist es behinderte Person zu sagen, denn für viele behinderte Menschen ist die Behinderung nicht nur die neutrale Beschreibung eines Merkmals, sondern auch Teil der eigenen Identität. Diese Wortwahl wird auch als die „Identy-first-Sprache“ bezeichnet.
„Wichtig ist nur das Wort “Mensch”, da mit dem Begriff “Behinderte” das Bild einer festen Gruppe entsteht, die in Wirklichkeit vielfältig ist. „Der/die Behinderte“ reduziert die Person auf ein Merkmal, das alle anderen Eigenschaften dominiert. Das ist auch der Fall, wenn von „den Blinden“ oder “den Gehörlosen” die Rede ist.“ (Leidmedien 2022)
Wir fassen zusammen: behinderte Person oder Mensch mit Behinderung sind Bezeichnungen von sozialen Zuschreibungen, die sich an Körper- und Verhaltensnormen orientieren und keine diskriminierende Beschreibung von Personen oder der Gruppe.
Cancel Culture ist ein Begriff aus dem Englischen und wird ins Deutsche als eine Kultur der Rechenschaftslegung/Verantwortlichkeit übersetzt. Wenn berühmte Persönlichkeiten, Unternehmen oder öffentliche Kulturbetriebe etwas Diskriminierendes tun oder sagen und öffentlich dafür kritisiert werden, hat das zur Folge, dass viele Menschen aufhören sie zu unterstützen. Das kann dazu führen, dass erfolgreiche jedoch problematische Produktionen von bekannten Institutionen aus den Spielplänen genommen werden, als Reaktion auf öffentliche Kritik. Diese Entscheidung begründeten Einzelne darin den vorhandenen Bestand zu überprüfen, um „überholte und diskriminierende Aufführungsweisen aufzudecken und Traditionen in neuem Licht und mit anderem Bewusstsein zu sehen und neu zu bewerten“ (tagesspiegel 2021). Konservative tun so, als sei dies eine Form der Zensur und der Unterdrückung gegenteiliger Ansichten. In Wirklichkeit ist Cancel Culture ein Ausdruck einer Kultur, die entscheidet, wie wir sein wollen und entschieden Haltung gegen Diskriminierung einnimmt.
Wurdest Du schon mal mit Diskriminierungsvorwürfen in Bezug auf eine Produktion konfrontiert? Welches Gefühl hat eine solche Erfahrung in Dir hervorgerufen? Welche Stimmen nahmst Du dabei ernst/welche nicht, und warum?
Quelle: urban dictionary [zuletzt aufgerufen am 19.09.2022]
Cis-geschlechtlich (cis, lateinisch: diesseits) bezeichnet, dass eine Person in Übereinstimmung mit ihrem bei Geburt zugewiesenen Geschlecht lebt. Cis-geschlechtlich zu sein entspricht im Gegensatz zu trans*geschlechtlich der Norm.
Diskriminierung ist das Gegenteil von Privilegierung. Es bedeutet, dass ein Mensch benachteiligt, also schlechter behandelt wird, weil dieser zum Beispiel trans, Schwarz, homosexuell oder arm ist. Menschen werden entlang eines oder mehrerer Merkmale, die Zugehörigkeit zu einer sozialen Gruppen zugeschrieben. Zum Beispiel wird eine Person aufgrund ihres Aussehens oder körperlicher Merkmale entweder als Mann oder Frau, als behindert oder nicht-behindert gelesen. Je nachdem erfährt der Mensch entlang der tatsächlichen oder zugeschriebenen Zugehörigkeit zu einer sozialen Gruppe, Ausgrenzung und Abwertung (Diskriminierung) oder Bevorzugung (Privilegierung). Beispiele: reiche Menschen bekommen bessere medizinische Versorgung als Ärmere. Nicht-behinderte Menschen haben bessere Chancen auf dem Arbeitsmarkt und Zugang zu öffentlichen Räumen als behinderte Menschen. Selbstverständlich vereint ein Mensch verschiedene Merkmale in sich und macht dementsprechend unterschiedliche Erfahrungen. Diskriminierung findet auf verschiedenen Stufen statt. Menschen können durch Gesetze und Vorurteile ungleich behandelt und unterdrückt werden. Diese Vorurteile können auch dazu führen, dass Menschen diese über sich glauben und daher stark an sich zweifeln bzw. viel von sich halten. Wenn ein schwuler Junge beispielsweise auf dem Pausenhof ständig schwul als Beleidigung hört, könnte er glauben, dass Schwul-sein etwas Schlechtes sei. Auf Grund welcher Merkmale Menschen abgewertet und auf Grund welcher Merkmale sie aufgewertet werden, hat eine sehr lange Geschichte. Um Diskriminierung entgegenzuwirken ist eine Auseinandersetzung mit den eigenen Privilegien eine notwendige Voraussetzung. Der Schlüssel liegt darin sich der eigenen Position in der Gesellschaft bewusst zu werden.
Wie werden Menschen entlang der Kategorien sozialer Unterscheidungen wie bspw. Geschlecht (geschlechtliche Identität), Religion, Hautfarbe, körperlichen und geistigen Fähigkeiten, soziale Herkunft, Staatsbürgerschaft, Alter, Aussehen, sexuelle Orientierung usw. im Kinder- und Jugendtheater ausgeschlossen? Nenne drei Beispiele und nimm sowohl Bezug auf den Theaterbetrieb als auch auf das junge Publikum.
Wir tun es oft unbewusst und manchmal auch bewusst, nämlich die ganze Welt aus der Perspektive europäischer Werte und Normen zu beurteilen. Dabei bildet Europa den unreflektierten Mittelpunkt des Denkens und Handelns. Das liegt nicht nur an unseren Sehgewohnheiten, sondern hat auch viel mit unserer Geschichte zu tun. Es hat damit zu tun wie Wohlstand global verteilt und gedacht wird. Europas Entwicklungsgeschichte wird als Maßstab für jegliche Vergleiche mit anderen Ländern und Kulturen gesehen. Eurozentrismus gibt es auch in der Theaterpraxis. Oftmals werden Geschichten von oder über Menschen aus anderen Regionen oder Kulturkreisen, die außerhalb des europäisch-amerikanischen Raums liegen, aus einer europäischen Linse betrachtet. Unsere eurozentristischen Denkmuster und Sehgewohnheiten treten als dominante Perspektiven auf. Es herrscht die Annahme, dass das Standard-Publikum „europäisch“ denkt und fühlt. Dabei sind Erzählungen vielschichtig und ein universeller europäischer Standpunkt lässt sich nur schwer definieren. Folglich fällt es bspw. manchen Schwarzen Menschen, Indigene und People of Color (BIPOC) schwer sich mit populären Heldenfiguren zu identifizieren, die Weiß sind. Das hat mit unserer Geschichte zu tun u.a. weil im Zuge des Kolonialismus ihre Vorfahren von den Europäer*innen unterdrückt wurden.
Wer sind die Held*innen Deiner Kindheit? Welche Hautfarbe haben sie?
FLINTA ist ein queerfeministischer Kampfbegriff. Das Akronym, das sich mit den Anfangsbuchstaben der folgenden Begriffe zusammensetzt, steht für Folgendes: F steht für Frauen und damit sind nicht nur cis-Frauen gemeint, sondern alle, die sich als Frau identifizieren. L steht für Lesben. Es gibt auch Menschen, die sich nicht als Frauen definieren, aber als Lesben – etwa nicht-binäre Personen. I steht für inter-Personen: Intergeschlechtliche Menschen werden mit körperlichen Merkmalen geboren, die medizinisch als „geschlechtlich uneindeutig“ gelten. Inter-Personen können sich sowohl als weiblich oder männlich, aber auch als nicht-binär und/oder als inter* identifizieren. N meint nicht-binäre Menschen: Nicht-binär, non-binary oder enby sind Bezeichnungen von Menschen, die sich weder als Mann noch als Frau identifizieren, sondern ihre geschlechtliche Identität als Spektrum begreifen, d.h. ihre Identität zwischen männlich und weiblich verordnen, oder als weder noch oder beides gleichzeitig begreifen. T für trans-Personen: Trans steht für transident, transgender oder auch transgeschlechtlich und ist ein Überbegriff für Menschen, die sich nicht mit dem Geschlecht identifizieren, das ihnen bei der Geburt zugewiesen wurde. A steht für agender Personen: Sie haben kein Geschlecht, fühlen sich keinem Geschlecht zugehörig oder lehnen das Konzept von Geschlecht ab. Wie auch in anderen Berufsgruppen gibt es FLINTA Theatermacher*innen. Eine diversitätssensible Theaterpraxis kann mittels Kunst gesellschaftliche Bilder von Gender, Sexualität und Macht hinterfragen und Begegnungsräume schaffen, wo sich alle, sowohl Theatermacher*innen als auch ihr diverses Publikum willkommen fühlen. FLINTA ist ein Begriff der die sexuelle Vielfalt und die Vielfalt geschlechtlicher Identitäten anerkennt.
Was bedeutet Gaslighting? Gaslighting (Begriff aus dem engl.) wird in der Psychologie verwendet, um eine Manipulationstechnik zu beschreiben. Gaslighting ist eine Form der psychischen Gewalt in zwischenmenschlichen Beziehungen oder Interaktionen. Viele von Rassismus Betroffene kennen diesen Schmerz, wenn sie in weißen Räumen Rassismus ansprechen und dabei ge-gaslight-et werden. Es handelt sich um eine Form der Gewalt, die dadurch ausgelöst wird, dass das eigene Erleben von rassistischer Gewalt negiert, relativiert oder banalisiert wird, „denn man sei ja zu empfindlich und würde Rassismus überall sehen, weil man sich zu viel damit beschäftigt.“ oder „im Land XY ist der Rassismus doch viel schlimmer.“ Das hat zur Folge, dass der Fokus nicht mehr auf die Ursache gelegt wird, also der rassistischen Aussage oder Handlung der rassistisch handelnden Person, sondern der Fokus auf die betroffene Person und dessen Reaktion auf den rassistischen Vorfall verschoben wird. Die Verletzung tritt in den Hintergrund und es wird erwartet, dass die betroffene Person sich für seine*ihre Reaktion rechtfertigt. Gleichzeitig gibt es für die rassistisch handelnde Personen (vermeintlich) keine Konsequenzen für ihr*sein Verhalten.
Die gleiche Taktik lässt sich u.a. auf andere Diskriminierungsformen wie Sexismus übertragen. Hierbei sind die manipulativen Argumente zwar anders, aber das Ziel bleibt gleich. Nämlich die betroffene Person zu verunsichern, sodass diese Person ihre*seine eigene Wahrnehmung über das Erlebte anzweifelt. Bspw. findet bei sexuellen Übergriffen häufig eine Verschiebung des Problems statt. Man spricht auch von Täter-Opfer Umkehr, wenn das Verhalten des Opfers angezweifelt und problematisiert wird und dieses Verhalten als Ursache für das Handeln des Täters benannt wird. Zum Beispiel wenn argumentiert wird, dass die Frau zu freizügig angekleidet war oder unter dem Verdacht steht beim Übergriff zu viel getrunken zu haben.
Gibt es Situationen, wo Du dein Gegenüber mit Schuldzuweisungen konfrontiert hast, die eigentlich auf Dich selbst zutreffen?
Der Begriff Gender kommt aus dem Englischen und meint das Geschlecht bzw. die Geschlechtsidentität des Menschen als Kategorie sozialer Unterscheidungen. Das Merkmal Geschlecht bezieht sich auf die Selbstwahrnehmung, Selbstverortung oder auf Rollenbilder. Geschlechterrollen und -Normen sind häufig mit Klischees und Stereotypen überladen. Das liegt daran, dass uns ständig erzählt wird, wie Männer und Frauen angeblich sind. Viele denken, um als Mann oder Frau zu gelten, müssten sie solchen Klischees und Erwartungen entsprechen. Aber wie sieht es denn in Wirklichkeit aus? Geht dein Vater gerne ins Theater? Macht deine Schwester Karate? Oder spielt dein*e nicht-binäre Freund*in Trompete? Und sagen all die Dinge etwas über ihr Geschlecht aus?
Menschen sind eben immer viel mehr als diese Klischees – und viele sind auch ganz anders. Gender beschreibt ein Konzept, das die bestehenden Machtverhältnisse zwischen den Geschlechtern und die damit zusammenhängenden Geschlechterrollen und -Zuschreibungen thematisiert. Bspw. hat die Schreibweise, was wir unter „gendern“ verstehen das Ziel einer sprachlichen Gleichbehandlung aller Geschlechter.
Geschlechtergerechtes Formulieren
Das Sternchen, die sog. „Wildcard“ oder Asterisk kommt aus der Computersprache. Das Sternchen dient als Platzhalter für eine beliebige Anzahl und Kombination von Buchstaben. Die Einbindung des Asterisks sowohl in der verbalen Aussprache als auch in der Schrift, soll deutlich machen, dass alle Menschen, in ihrer geschlechtlichen Vielfalt gemeint sind und angesprochen werden. Zum Beispiel wenn wir Dramaturg*innen sagen anstatt Dramaturgen. Eine Schreibweise mit dem Asterisk schließt auch Geschlechtsidentitäten ein, die sich außerhalb der binären Geschlechter Mann und Frau verorten. Eine geschlechterinklusive Sprache ist Ausdruck eines positiven Bemühens um eine Sprache, die den unterschiedlichen Geschlechtsidentitäten und deren Lebensrealitäten gerecht wird.
Verstehst Du geschlechtsinklusive Sprache als wichtigen Bestandteil deiner Theaterpraxis?
An welchen Punkten hat sich bei Dir Abwehr eingestellt?
Heteronormativität beschreibt eine Weltsicht und ein gesellschaftliches Ordnungs- und Wertesystem, das nur zwei Geschlechter (männlich und weiblich) und heterosexuelle Beziehungen zwischen diesen Geschlechtern anerkennt und akzeptiert. Sowohl in der Kunst, auf der Leinwand und auch im Theater werden uns soziale Erwartungen übermittelt, wie wir als Gesellschaft miteinander leben sollen. Eine Mehrheit von gesellschaftlichen und kulturellen Angeboten richtet sich an die zweigeschlechtliche, heterosexuelle Norm: Vor allem dann, wenn von romantischen und sexuellen Beziehungen die Rede ist, wie bspw. in dem Stück Romeo und Julia, das als vermeintliche Idealbild romantischer Liebe seit Jahrhunderten Normen setzt.
Eine heteronormative Gesellschaft setzt voraus, dass Menschen entweder als Mann oder Frau geboren (und dementsprechend erzogen) werden und nur mit dem jeweils anderen Geschlecht sexuelle/romantische Beziehungen eingehen. Wiederum schließt diese Weltsicht Menschen aus, die sich z.B. als nicht-binär (non-binary oder enby) trans* oder inter* identifizieren oder keine heterosexuellen Beziehungen haben oder wollen. Sie werden als „anders“ und „nicht normal“ wahrgenommen und beschrieben. Letzteres bezeichnet man auch als othering. Zum Beispiel werden Romane in der Bücherei mit dem Label „Besonderes Schicksal“ versehen, wenn von einer homosexuellen Liebesgeschichte erzählt wird. Oder Kritiker*innen beurteilen eine komplexe Inszenierung mit vielen Themen und einer homosexuellen Figur oder einem homosexuellen Liebespaar als „schweres“ Theaterstück. Das kann dazu führen, dass das Stück nur noch von einem Nischenpublikum gesehen oder schlimmstenfalls boykottiert wird. Darstellende Künste für junges Publikum, die die Themen jenseits heteronormativer Vorstellungen bearbeiten, sollten nicht als „besondere“ Produktionen betitelt werden, um eben nicht vorverurteilt zu werden.
Wir halten fest: Die sozialen Erwartungen von Zweigeschlechtlichkeit und Heterosexualität gelten als soziale Norm, und haben wiederum für die Menschen, die von der Gesellschaft festgelegten Norm abweichen soziale Sanktionen zur Folge. Zudem wird mancherorts auch auf Abweichungen mit verschiedenen Formen von Diskriminierung oder sogar mit gesetzlichen Strafen reagiert.
Intersektionalität ist ein Begriff der, wenn es um Diskriminierung geht immer wieder auftaucht, aber ziemlich kompliziert klingt. Was genau verbirgt sich unter dem Begriff? Intersektionalität beschreibt das Zusammenwirken mehrerer Diskriminierungsformen von z.B. Rassismus, Klassismus und Queerfeindlichkeit.
Das Konzept beschreibt, dass Menschen, die von mehreren Diskriminierungsformen betroffen sind, Diskriminierung in unterschiedlicher Art und Weise erfahren. Die afro-amerikanische Juristin Kimberlé Crenshaw thematisierte öffentlich in den 80er Jahren, dass Diskriminierungsformen nicht einzeln für sich wirken und nicht einfach zusammengezählt werden können, sondern sich ineinander verschränken und gegenseitig beeinflussen. Dadurch können neue Formen der Diskriminierung entstehen. Bspw. sind Menschen, die von Rassismus und Ableismus betroffen sind überproportional häufig von Diskriminierung im Gesundheitssystem betroffen. Dennoch wird ihnen, worauf die Studie Afrozensus 2020 hinweist, meist nicht geglaubt, wenn sie von den Erfahrungen erzählen. Das Konzept, welches die besonderen Formen der Diskriminierung durch rassistische, klassistische, sexistische und weiteren diskriminierenden Strukturen benennt, wurde von Schwarzen queeren Feminist*innen des Combahee River Kollektivs sowie der o.g. Juristin Crenshaw entwickelt. Bereits zuvor forderte Sojourné Truth (Abolitionistin und Frauenrechtsaktivistin) in ihrer Rede „Ain’t I a women“ („Und bin ich keine Frau?“), auf einer Frauenrechtskonvention 1851 in Ohio, Gleichberechtigung ein und beschrieb die Unterdrückungs- und Ungleichheitserfahrungen, die sie als Schwarze und ehemals versklavte Frau erlebte.
Allgemein verbreitete und fixierte Vorannahmen können im Theater wieder in Bewegung gebracht werden, indem intersektionale Perspektiven in die künstlerische Praxis hineinfließen, um Diskriminierung in der Produktion und in den Strukturen aufzuspüren. Das Konzept der Intersektionalität nimmt keine hierarchische Zuordnung von Diskriminierungsformen vor. Es lädt vielmehr dazu ein Machtverhältnisse und Diskriminierung differenziert zu betrachten. Indem darauf geschaut wird zu welcher Zeit, an welchem Ort, in welchem sozialen Umfeld, Machtunterschiede und Diskriminierung vorherrschen und was das für die Betroffenen bedeutet.
Kinder und Jugendliche haben ein Recht auf Schutz vor körperlicher, sexueller und seelischer Gewalt. Dieses Recht ist im Bundeskinderschutzgesetz (BKiSchG) und Jugendschutzgesetz (JuSchG) des Bundes verankert. Im Kinder- und Jugendschutz geht es sowohl um Prävention als auch um Intervention bei Situationen, die das Kindeswohl gefährden.
Dies ist eben notwendig, weil Kinder und Jugendliche in ihrem Alltag immer wieder auf Gefahren für ihre körperliche und seelische Gesundheit treffen. Gerade Kinder und Jugendliche sollen durch gelebte Beteiligung und Teilhabe, die Chance erhalten, als mündige und kritische Persönlichkeiten aufzuwachsen. Demnach sollen sie darin gestärkt werden, ihre Anliegen und Wünsche zu formulieren sowie Ungerechtigkeiten oder grenzverletzendes Verhalten zu benennen.
Als Akteur*innen der darstellenden Künsten für junges Publikum ist es notwendig, dass auch wir, auf den jeweiligen Ebenen der künstlerischen Praxis, Verantwortung übernehmen und uns aktiv den Schutz der Kinder und Jugendlichen widmen. Der Schutz von Kindern und Jugendlichen ist dann gewährleistet, wenn dieser Gedanke bspw. bei Proben und der Gestaltung von Veranstaltungen berücksichtigt wird.
Klassismus meint die Diskriminierung in Form der Abwertung, Ausbeutung und Unterdrückung von Personen oder Gruppen aufgrund des Merkmals soziale Herkunft. Das Merkmal soziale Herkunft bezieht sich auf den sozioökonomischen Status und Bildungshintergrund einer Person. Dabei werden Menschen, die über ein geringes Einkommen verfügen, Arbeiter*innen, (Langzeit) Erwerbslose und Wohnungslose benachteiligt, ausgegrenzt und beleidigt. Zum Beispiel werden sie als „Proleten“, „nutzlose“ und „faule“ Menschen, „sozial schwach“ und „bildungsfern“ abgewertet.
Zwar wird im Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz (AGG) das Verbot der Benachteiligung aus Gründen der sozialen Herkunft nicht benannt, dennoch belegen viele Berichte, dass Menschen aufgrund der sozialen Herkunft Benachteiligung erfahren. Folglich ist soziale Herkunft ein Diskriminierungsmerkmal. Klassismus beschreibt die Strukturen und Auswirkungen von sozialer Ungleichheit. Wer kein Eigentum besitzt oder wenig verdient, hat einen schlechteren Zugang zu Bildung, zum Arbeitsmarkt, zu medizinischer Versorgung und Kultur. Durch das Zusammenwirken weiterer Diskriminierungsformen kann die kulturelle Teilhabe zusätzlich erschwert werden. Besonders von Armut in Deutschland betroffen, sind Kinder of Color, behinderte Kinder und Kinder, deren Eltern Alleinerziehend sind, wie die Studie der Bertelsmann Stiftung aufzeigt. Als Theater für junges Publikum wollen wir das Kinder- und Jugendliche unabhängig von ihrer sozialer Herkunft ins Theater gehen können. Klassismus betrifft aber auch Theatermacher*innen, die z.B. keinen akademischen Abschluss oder keine abgeschlossene Ausbildung vorweisen können, aber dennoch jahrelange Erfahrung bspw. als Schauspieler*innen mitbringen. Diese Hürden verwehren ihnen, trotz jahrelanger Erfahrung in den Darstellenden Künsten, als Expert*innen wahrgenommen zu werden. Weshalb und warum Menschen keinen Bildungsabschluss haben, kann unterschiedliche Gründe haben. Dennoch ist es wichtig stets mitzudenken, dass Personen, die aufgrund ihrer sozialen Herkunft diskriminiert werden, einen schlechteren Zugang zu Bildung, Kultur und folglich auch zum Arbeitsmarkt haben.
Was verstehst Du unter Professionalität?
Woran liegt es, dass wir die Hürde, wer als Expert*in im Theater für junges Publikum wahrgenommen wird und wer nicht, noch nicht abgeschafft haben?
Der europäische Kolonialismus begann im 15. Jahrhundert und sicherte den Europäer*innen als System der Unterdrückung, die eigenen globalen und politischen Machtansprüche von innen und nach außen ab. In diesem Zuge errichteten die europäischen Großmächte gewaltsam ausbeuterische Verhältnisse, um sich ökonomisch zu bereichern und ihr Territorium geografisch zu erweitern. Kolonialismus bündelt sich kurzgefasst in den Themen: Vertreibung und Entwurzelung, der Aneignung oder Zerstörung von Kulturen und Sprachen, Abwertung und Auslöschung von Geschichte, sowie den Auswirkungen auf die soziale und wirtschaftliche Entwicklung der ehemals kolonialisierten Länder, generationsübergreifende Traumata in Hinblick auf Völkermord, Sklaverei und sexualisierter Gewalt. Gerechtfertigt wurde das System der Unterdrückung mit rassistischen Ideologien, die fortwährend wirken. Kultur und Wissen wird hierarisiert und kategorisiert. Wissensbestände und Kulturen ehemals kolonialisierter Länder werden abgewertet und den europäischen Wissensbeständen und Kulturen untergeordnet. In Deutschland herrscht in Bezug auf Deutschlands Kolonialgeschichte eine kollektive historische Amnesie. Mit Ausnahmen wie z.B. der Black Lives Matter Bewegung 2020 und Debatten über koloniale Raubkunst, wird die Geschichte und die Auswirkungen des deutschen Kolonialismus kaum thematisiert. Kunst war schon damals und ist auch heute ein zentraler Schauplatz kolonialer Debatten, bspw. wenn es um Formen der kulturellen Aneignung geht.
Wie können Theatermacher*innen Kolonialismus auf der Bühne thematisieren, ohne Rassismus zu reproduzieren?
„First they laugh, then they copy.“ – Unbekannt
Kulturelle Aneignung beschreibt man als die „Unerlaubte Wegnahme geistigen Eigentums, traditionellen Wissens oder kultureller Artefakte“(Scaffidi 2005). Von kultureller Aneignung spricht man ebenfalls, wenn erstens ein ungleiches Machtverhältnis zwischen den Kulturen über die gesprochen wird herrscht. Marginalisierte Gruppen werden auch heute aufgrund ihres Aussehens oder ihrer kulturellen Bräuche und Rituale benachteiligt und oft von Weißen Mehrheitsangehörige ausgelacht, gedemütigt oder an der Teilhabe am gesellschaftlichen Leben gehindert . Gleichzeitig bereichern sich letztere an eben diesen Symbolen, um daraus Profit zu schlagen. Zweitens werden die Inhalte, die angeeignet werden, verzerrt und in stereotypisierenden Form erzählt oder abgebildet. Drittens setzt man sich über die Meinungen und Vorstellungen der betroffenen Gruppe, deren Kultur fremd- oder zweckentwendet wird hinweg, auch wenn ein Großteil der Gruppe sich dagegen ausspricht. Dieses Ungleichgewicht hat mit unserer Geschichte zu tun und basiert auf Kolonialismus, Rassismus, Unterdrückung und Krieg.
Kultur ist für marginalisierte Gruppen kein Kostüm, das man jederzeit ablegen kann, sondern zentraler Bestandteil ihrer Identität und dient für viele als moralischer Kompass in ihrem Leben. Heutzutage zeigen Debatten zu „Black Facing“ am Theater oder „Winnetou“ in Form der kulturellen Aneignung, wie die Auswirkungen von Kolonialismus und der gewaltvollen Unterwerfung durch die Weiße Mehrheitsgesellschaft relativiert oder bagatellisiert werden. Dabei werden durch das rücksichtslose Vorgehen marginalisierte Gruppen ausgebeutet und ungleiche Machtverhältnisse stabilisiert. Stattdessen sollten wir uns darin üben, uns umfassend mit (vermeintlich) fremden Kulturen zu beschäftigen und ihnen mit Respekt zu begegnen. Fremde Kulturen in den darstellenden Künsten für junges Publikum zu thematisieren, sollte stets in Form der kulturellen Anerkennung (Appreciation) erfolgen, im respektvollen Miteinander, auf Augenhöhe und im Dialog, anstatt in Form der rücksichtslosen und eigensinnigen Aneignung (Approciation) der Kulturen marginalisierter Gruppen.
Quelle: Susan Scaffidi (2005): Who Owns Culture?: Appropriation And Authenticity In American Law (RUTGERS SERIES ON THE PUBLIC LIFE OF THE ARTS).
LSBTIQ+ ist ein Akronym, d.h. eine Abkürzung, die sich aus den Anfangsbuchstaben der Begriffe Lesbisch-Schwul-Bi-Trans*-Intersex-Queer+ zusammensetzt. Manchmal wird auch das englische Akronym LGBTIQ+ verwendet, das für Lesbian-Gay-Bi-Trans*-Intersex-Queer+ steht. Das Plus oder die Schreibweise mit dem Sternchen hinter der Abkürzung steht für die mögliche Erweiterung von zuvor nicht benannten Identitäten. Hierbei handelt es sich um einen Sammelbegriff und um eine politische Selbstbezeichnung queerer Identitäten.
Der Begriff tauchte zuerst in Zuge der Emanzipationsbewegung für die Rechte von LSBTIQ+ in den USA in den 60/70er Jahren auf. LSBTIQ+ ist weder eine universale und lebenslang gültige Identitätsform noch eine homogene Einheit. Menschen, die sich der LSBTIQ+ Community zugehörig fühlen, sind vielschichtig und vielfältig in ihren Lebensentwürfen und Ansichten. Innerhalb der LSBTIQ+ Bewegung gibt es dominante Gruppen und weniger dominante Gruppen, die in den Diskursen um die Rechte von LSBTIQ+ oft nicht gehört und berücksichtigt werden. Bspw. werden bisexuelle und queere Positionen häufig in lesbisch-schwulen Identitätspolitiken nicht miteinbezogen. Außerdem verstehen sich nicht alle Inter*- oder Trans*-Personen als Teil einer sexualitätsbasierten Emanzipationsbewegung. Häufig sind deren Anliegen kaum in der LSBTIQ+ Bewegung vertreten. Was darauf zurückzuführen ist, dass die Diskriminierungserfahrungen von Inter*- oder Trans*-Personen sich anders äußern als die von Lesben, Schwulen und bisexuellen Personen. Weitere Infos hierzu findet ihr im Beitrag zu Transfeindlichkeit.
Auch heute sind LSBTIQ+ von Diskriminierung im Theater betroffen. Es gibt immer noch queere Menschen, die sich nicht öffentlich outen wollen aus Angst von ihrem Umfeld diskriminiert zu werden. Mit der Initiative #actout outen sich 185 lesbische, schwule, bisexuelle, queere, nicht-binäre und trans* Schauspieler*innen und stoßen eine Debatte nach mehr Anerkennung im Theater, Film und Fernsehen an.
Menschen mit Migrationshintergrund sind nach statistischer Definition in Deutschland lebende Ausländer*innen, eingebürgerte Deutsche, die nach 1949 in die Bundesrepublik eingewandert sind, sowie deren in Deutschland geborenen Kinder mit deutschem Pass, bei denen sich der Migrationshintergrund von mindestens einem Elternteil ableitet. Zunächst wurde „Personen mit Migrationshintergrund“ in der Verwaltungs- und Wissenschaftssprache verwendet. Doch als durch die Einbürgerungen im Zuge des reformierten Staatsangehörigkeitsrechts von 2000, der Begriff Ausländer*in nicht mehr funktionierte, um Einwanderer*innen und ihre Nachkommen zu beschreiben, ging die Formulierung auch in die Umgangssprache ein. „Migrant*innen“ werden vom Statistischen Bundesamt als Menschen definiert, die nicht auf dem Gebiet der heutigen Bundesrepublik, sondern im Ausland geboren sind. Rund die Hälfte davon sind Deutsche, die andere Hälfte hat eine ausländische Staatsangehörigkeit. Im Diskurs wird dieser Begriff häufig irrtümlich als Synonym für Menschen mit Migrationshintergrund angewendet.
Inzwischen wird der Begriff von manchen als stigmatisierend empfunden, weil der Begriff in Zusammenhang mit vermeintlichen „Problemgruppen“ gebracht wird. Menschen wird eine Zugehörigkeit zugeschrieben aufgrund von Merkmalen wie Religion und Hautfarbe. Zudem erfasst der Begriff nicht alle People of Color und Schwarze Menschen, da laut der Definition zufolge der Migrationshintergrund verschwinden kann, Menschen dennoch weiterhin Rassismus erfahren können, z.B. indem ihnen ihr Deutschsein abgesprochen wird. Theaterkünstler*innen mit Migrationshintergrund sind immer noch eine Ausnahme. Geschichten, Erfahrungen und Diskurse „migrantischer Erfahrungen“ sind häufig von der Wahrnehmung als die fremden „Anderen“ geprägt, und werden nicht ideologisch hinterfragt oder reflektiert. Dramaturgische Texte haben sich in der Vergangenheit und teilweise auch heute mit Klischees beschäftigt, die Migrant*innen und Menschen mit Migrationshintergrund eindimensional erscheinen lassen. Gleichzeitig wurden diese Rollen mit Schauspieler*innen of Color besetzt, um die Figur authentisch wirken zu lassen. Letzteres ist problematisch, da diese Produktionspraxis zur Folge hat, dass Schauspieler*innen of Color oft nur sogenannte Klischee-Rollen angeboten bekommen.
Neurodiversität beschreibt ein Konzept, das davon ausgeht, dass neurologische Vorgänge im Gehirn vieler Menschen vielfältig ausgeprägt sind. Das Konzept erkennt die Unterschiedlichkeit der Menschen an, den unter anderem Autismus, eine Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung oder Aufmerksamkeitsdefizitstörung (ADHS oder ADS), Dyskalkulie, Legasthenie, Dyspraxie, Synästhesie, eine bipolare Störung oder Hochbegabung diagnostiziert werden. Diese Eigenschaften sind meist defizitär ausgelegt, weil sie eine Abweichung von der „Norm“ (aber was ist denn schon normal?!) suggerieren. Unter Neurodiversität werden die Diagnosen wie z.B. Autismus, ADHS und Andere nicht als psychische Störungen zusammengefasst, sondern als eine vielfältige Variante des Seins begriffen. Demnach sind neurodiverse Menschen nicht schlechter oder unnormal, lediglich die Denkweisen und die Wahrnehmung von der Realität sind anders und somit auch das Sein. Als Konsequenz lehnt die Neurodiversitätsbewegung, eine soziale Bewegung die 1990 entstanden ist, eine pathologische Sichtweise auf Menschen ab, die sich als neurodivers oder neurodivergent identifizieren und/oder in dem Spektrum verorten. Bspw. gibt es vielfältige Ausprägungen auch innerhalb bestimmter Erscheinungsformen wie z.B. beim Autismus. Autismus wird als Spektrum klassifiziert, weil davon ausgegangen wird, dass sich die unterschiedlichen Formen von Autismus nicht qualitativ unterscheiden, sondern im Grad ihrer Ausprägung. Unsere Gehirne sind vielfältig. Das Konzept Neurodiversität setzt genau daran an, diese Vielfalt als eine Bereicherung anzuerkennen.
Diese Haltung lässt sich auf kreative Prozesse übertragen, wo unterschiedlich Kunst gemacht oder verarbeitet wird. Bspw. bieten viele Theater Relaxed Performance an, welche sich an ein Publikum richtet, das von einer entspannteren Theaterumgebung profitiert. Diese wurden ursprünglich von der Autismus-Community entwickelt, um u.a. Theaterbesuche barriereärmer zu gestalten.
Was ist normal und wer bestimmt was normal ist? Wir alle haben gefestigte Denkmuster und Sehgewohnheiten in unseren Köpfen. Die Art und Weise wie wir die Welt wahrnehmen wird z.B. durch unsere Erziehung, den Einfluss von Familie und Freund*innen geprägt. Diese Prägung bezeichnet man als Sozialisierung. Unsere Sozialisierung wird u.a. durch die schulische Bildung, Kirche sowie Literatur, den Medien und dem Theater verstärkt. Haben mehrere Personen oder Gruppen die gleichen Werte, Prinzipien oder Weltsicht, spricht man auch von einer Norm. Weißsein, heteronormative Beziehungs- oder Familienkonstellationen, öffentliche Räume für nicht-behinderte Menschen sind nur einige Normvorstellungen, die fest in unserer Gesellschaft verankert sind.
Mit Blick auf die Theaterpraxis gibt es Normvorstellungen, die Frauen und andere marginalisierten Gruppen benachteiligen. Diese Denkmuster wirken auch heute nach. Bspw. werden Männer und Frauen in Theaterberufen unterschiedlich bezahlt. Zudem sind Frauen in Leitungs- und Regiepositionen unterrepräsentiert. Lange Zeit war das Ungleichgewicht von Männern und Frauen im Theaterbetrieb kein Thema bis das Problem in der breiten Kulturöffentlichkeit diskutiert wurde. Auch Theater oder Schauspielschulen, als öffentliche Räume, sind nicht frei von vermeintlichen Normen. Es sind Weiße Räume, deren Strukturen an nicht-behinderte Menschen und Menschen mit hohen Bildungsabschlüssen angepasst wurden. Das Hinterfragen von Denkmuster und Sehgewohnheiten in unseren Köpfen und das gemeinsame Handeln dagegen, kann mittel- oder langfristig Veränderungen im Kinder- und Jugendtheater erzielen. Theater für junges Publikum bieten Räume zur Reflexion vermeintlicher Normen und Möglichkeiten sich von ihnen loszulösen.
Warum sind Schauspielschulen Weiß? Warum werden Führungs- und Leitungspositionen an Theatern überwiegend von nicht-behinderten Menschen besetzt?
Othering ist ein Begriff aus dem Englischen und lässt sich ins Deutsche als „geandert“ übersetzen. Dabei handelt es sich um eine Bezeichnung, die den Vorgang der Andersmachung beschreibt. Eine Gruppe oder eine Person grenzt sich oder hebt sich von einer anderen Gruppe oder Personen ab. Letztere werden gleichzeitig als andersartig oder fremd markiert. Die daraus basierende Distanzierung und Unterscheidung zu den „Anderen“ hat das Ziel, die Normalität der „Wir-Gruppe“ zu bestätigen.
Die Form der Abgrenzung wird durch die Zuschreibung von negativen Eigenschaften verstärkt und durch Redewendungen wie „Die sind halt so…“, „Das liegt an ihrer Kultur…“ oder Ähnliches gerechtfertigt. Folglich findet eine ständige Kategorisierung der „Anderen“ statt, die zur gesellschaftlichen Unterscheidung zwischen „Uns“ und „den Anderen“ beiträgt. Im Zusammenhang mit Kultur, Nationalität, ethnischer Herkunft und Religion wird diese Unterscheidung häufig (un-)bewusst gemacht. Bspw. ist oft von migrantischen Theatern die Rede, aber nie von Weißen Theatern. Letzteres bleibt unbenannt, wogegen ersteres benannt und auf ein vermeintliches Merkmal reduziert wird. Oftmals bleibt es nicht nur bei der Nennung des Merkmales, sondern dem Merkmal wird in der Regel eine Bedeutung zugeschrieben, die – wie wir weiter oben gelernt haben – oft mit negativen Zuschreibungen verknüpft wird, während sich „das Eigene“ besonders positiv von „den Anderen“ abhebt.
People of Color (PoC) / Menschen of Color ist eine internationale und politische Selbstbezeichnung von/für Menschen mit Rassismuserfahrungen. Der Begriff markiert eine politische gesellschaftliche Position und versteht sich als emanzipatorisch und solidarisch. Er positioniert sich gegen Spaltungsversuche durch Rassismus und Kulturalisierung, sowie gegen diskriminierende Fremdbezeichnungen durch die Weiße Mehrheitsgesellschaft. „Farbige/farbig“ ist eine rassistische und negativ konnotierte Bezeichnung von PoC. Eine Alternative ist die Selbstbezeichnung People of Color (PoC, Singular: Person of Color). Begriffe wie „Farbige“ oder „Dunkelhäutige“ lehnen viele People of Color ab. Hierbei geht es nicht um eine biologische Beschreibung von Hautfarben, sondern um die Benennung gesellschaftspolitischer Zugehörigkeiten, die aus einer kollektiven Erfahrung rassistisch diskriminiert zu werden hervorgeht.
Eine Ergänzung stellt der Begriff Black Indigenous People of Color (BIPoC). Das Akronym BIPoC ist eine politische Selbstbezeichnung von/für Menschen mit Rassismuserfahrungen. Das B in BIPoC steht für Black (Schwarz) und I in BIPoC für Indigenous (Indigene). Es handelt sich um einen emanzipatorischen Begriff und hat in Zuge der Bürgerrechtsbewegung in den USA, später auch hier an Popularität gewonnen. Die Identitäten und die kollektiven rassistischen Erfahrungen Schwarzer und Indigener Menschen werden hervorgehoben, weil ihre Geschichte von spezifischer Gewalt, kultureller Auslöschung und Diskriminierung geprägt ist. Zudem sollen in diesem Zusammenhang Schwarze und indigene Identitäten sichtbar gemacht werden, um Anti-Schwarzen Rassismus und der fehlenden Sichtbarkeit indigener Gemeinschaften entgegenzuwirken. Grundsätzlich ist es wichtig, Menschen nach der eigenen Selbstbezeichnung zu fragen und diese zu respektieren.
Privilegierung ist das Gegenteil von Diskriminierung. Es bedeutet, dass ein Mensch bevorzugt, also besser behandelt wird, weil dieser zum Beispiel cis-geschlechtlich, Weiß, heterosexuell oder reich ist und somit nicht von struktureller Diskriminierung betroffen ist. Personen oder Gruppen werden aufgrund bestimmter Merkmale wie Geschlecht, Hautfarbe, Behinderung, Religion usw. eine vermeintliche Zugehörigkeit zu einer bestimmten Gruppen zugeschrieben. Erfährt die Gruppe aufgrund der Zuschreibung Benachteiligung, bezeichnet man die Gruppe als eine marginalisierte Gruppe. Als marginal bezeichnet man Gruppen, die eine Minderheit bilden, d.h. von der gesellschaftlichen Norm abweichen. Diese Zuschreibung als „Randgruppe“ hat eine sehr lange Geschichte.
Eine Person wird zum Beispiel auf Grund ihrer körperlichen Erscheinung entweder als Kind/Jugendliche*r oder Erwachsener, als Mann oder Frau, als behinderte oder nicht-behinderte Person , als Deutsche*r oder Ausländer*in markiert. Je nachdem wird der Mensch abgewertet (diskriminiert) oder bevorzugt (privilegiert). Beispiele: Reiche Menschen bekommen bessere medizinische Versorgung als Ärmere. Nicht behinderte Menschen haben mehr Zugang zu Arbeitsplätzen und öffentlichen Räumen. Privilegierung findet auf verschiedenen Ebenen statt. Auch in den darstellenden Künsten für junges Publikum gibt es Machtpositionen, d.h. Positionen aus der heraus wichtige Entscheidungen getroffen werden. Dennoch ist die Vielfalt, die unsere Gesellschaft ausmacht, in Hinblick auf Machtpositionen im Theater nicht gleichermaßen repräsentiert. Bspw. können Weiße Theaterschaffende sicher sein, dass ihre Fähigkeit zu spielen, zu arbeiten, wichtige Entscheidungen zu treffen nicht aufgrund ihres Weißseins infrage gestellt werden. Das Beispiel ist ein Privileg, denn marginalisierte Personen oder Gruppen laufen stets Gefahr, dass ihnen ihre Fähigkeiten aufgrund ihrer (vermeintlichen) Zugehörigkeit zu einer marginalisierten Gruppe abgesprochen werden.
Kannst Du dich gegen Rassismus am Theater einsetzen, ohne dass Dir ein persönliches und eigennütziges Anliegen unterstellt wird? Kannst Du davon ausgehen, dass beim Besuch von Festivals, Gastspielen, Exkursionen und ASSITEJ Werkstätten von Personen umgeben zu sein, die wie Du Weiß sind und demnach Deine Anwesenheit als normal betrachtet wird?
Queerfeindlichkeit bezeichnet man als die Diskriminierung in Form von Ausgrenzung, Ablehnung, Intoleranz, Beschimpfungen, psychischer und physischer Gewalt gegenüber queerer Menschen. Queere Menschen sind Teil der LSBTIQ+ Community. Auch eine vermeintliche Zuschreibung als queer oder Menschen, die (scheinbar) von den gesellschaftlichen Normen und Regeln zu Sexualität und Gender brechen, können von Queerfeindlichkeit betroffen sein. Der Begriff „queer“ kommt aus dem Englischen und bedeutet ins Deutsche übersetzt so viel wie „seltsam“ und „eigenartig“. Er wurde zunächst benutzt, um sich negativ über homosexuelle Menschen auszudrücken. Später wurde der Begriff während der AIDS-Bewegung in den 1980er Jahren von der LSBTIQ+ Community zurückerobert und zu einem positiven Begriff umgedeutet. Seit dem wird queer von der LSBTIQ+ Community als Selbstbezeichnung verwendet. Nicht alle Menschen der Community ordnen sich dem Begriff zu. Viele wählen für sich lieber andere Bezeichnungen wie schwul, lesbisch oder trans*.
Innerhalb unserer Gesellschaft scheint die Akzeptanz von sexueller Vielfalt in den letzten Jahren gestiegen zu sein. Trotzdem werden Wörter wie z.B. „schwul“ auf dem Pausenhof und im Internet nach wie vor als Beleidigungen benutzt. Daher sollten auch Darstellende Künste für junges Publikum sich mit der Thematik auseinandersetzen, um ein offenes Bewusstsein über andere Sexualitäten zu stärken.
Um die Diskriminierung queerer Menschen zu benennen, wird häufig der Begriff „Homophobie“ verwendet. Wir raten von der Anwendung des Begriffs ab, weil „Phobie“ übersetzt „Angst“ bedeutet und wiederum den eigentlichen Kern der Feindlichkeit nicht ausdrückt. Denn Queerfeindlichkeit ist in einer Ablehnung begründet und nicht in Angst.
Kannst Du dir sicher sein, dass in den Inszenierungen und Projekten, an denen Du beteiligt bist, Menschen, die sich als queer positionieren, angesprochen werden und dabei als selbstbestimmte Akteur*innen dargestellt und gezeigt werden?
Als Rassismus bezeichnet man ein Herrschafts- und Machtverhältnis, welches Menschen entlang der Merkmale Hautfarbe, ethnische Herkunft und Religion klassifiziert. Den willkürlich festgelegten Merkmalen schreibt man eine Bedeutung zu, die in Abgrenzung zur „Eigenen-Identität“ funktioniert, um Personen oder Gruppen als Andere zu markieren. BIPoC erleben aufgrund ihrer tatsächlichen oder vermeintlichen Zugehörigkeit zu einer sozial benachteiligten Gruppe Abwertung, Ausgrenzung und Benachteiligung. Weiße Menschen erfahren in diesem sozialen Ordnungssystem eine Aufwertung (Privilegierung). Das hat viel mit unserer Geschichte, genauer gesagt mit dem Kolonialismus zu tun. Rassismus äußert sich in Form von Vorurteilen, strukturellen und institutionellen Ausschlüssen bis hin zu verbaler und physischer Gewalt und Mord. Auch wenn heute bei manchen der Eindruck herrscht man hätte Rassismus überwunden, weil Rassismus immer mehr in der Öffentlichkeit diskutiert wird, beweisen rechtsextreme Anschläge wie Hanau, brennende Flüchtlingsunterkünfte, die europäische Abschottungs- und Grenzpolitik, der Mord an George Floyd und so viele weitere Fälle, dass Rassismus tötet. Zudem lassen sich bis heute Kontinuitäten des Kolonialismus hinsichtlich öffentlicher und politischer Debatten, um Zugehörigkeit und Teilhabe beobachten. BIPoC erleben in Deutschland fortwährend Abwertung, Ablehnung und Benachteiligung, z.B. dass ihnen ihr Deutschsein abgesprochen wird. Auch die Darstellenden Künste für junges Publikum sind nicht frei von rassistischen Denkmuster und Sehgewohnheiten. Zwar steigt die Sichtbarkeit von Schauspieler*innen of Color, dennoch erfahren sie häufig im Rahmen von Produktionen Rassismus. Rassistische Vorfälle anzusprechen oder zu melden ist für Betroffene mit Risiken verbunden. Sie müssen immer damit rechnen, dass die Adressierung von Rassismus negative Konsequenzen für sie haben kann. Die jüngsten Vorfälle weisen darauf hin, dass eine Auseinandersetzung mit Rassismus im Theater weiterhin notwendig ist. Dafür braucht es eine dekoloniale und rassismuskritische Praxis, die Rassismus als Herrschafts- und Machtsystem stets im Kontext von Kolonialismus und seinen gegenwärtigen Formen thematisiert.
Für Theater für junges Publikum bedeutet das, sich auf allen Ebenen diverser aufzustellen. Das alleine reicht aber nicht. Wichtig ist eine kritische Auseinandersetzung mit den Weißen Machtstrukturen, die im Theater für junges Publikum von der Stück- und Produktionsentwicklung bis hin zur Spielzeitgestaltung, der personellen Aufstellung und Gestaltung der Orte durchzogen und folglich strukturgebend sind.
Kannst Du dich im Theater für junges Publikum gegen Rassismus einsetzen, ohne dass Dir unterstellt wird, ein persönliches Anliegen zu verfolgen?
Kannst Du einen rassistischen Vorfall ansprechen, ohne befürchten zu müssen, dass Du (noch) weniger willkommen bist oder Du sogar deinen Job verlierst?
Wie können wir Kinder- und Jugendtheater so gestalten, damit alle jungen Menschen Geschichten auf der Bühne sehen mit denen sie sich identifizieren können? Dass eine Vielfalt im Ensemble vorhanden sein sollte ist eine Sache, umso wichtiger ist es, dass die Perspektive aus der letztendlich erzählt wird bspw. auch queere, weibliche, Perspektiven von People of Color und Perspektiven von behinderten Menschen miteinschließt. Dass z.B. Geschichten zu Familie auch von Patch-Work Familien oder Familien mit gleichgeschlechtlichen Eltern und Kind handeln, sodass auch die Kinder, die nicht in einer Mutter-Vater-Kind Konstellation leben, verstehen, dass alles möglich ist. Dass auch sie sich willkommen und repräsentiert fühlen. Weshalb braucht es diese Sichtbarkeit? Um Kinder und Jugendliche in ihrer Autonomie zu stärken. Das bedeutet ihnen Wege aufzuzeigen, die ihnen ermöglichen können ihr volles Potenzial auszuschöpfen. Es ist wichtig, dass bspw. Kinder aus einkommensschwachen Familien davon träumen können Autor*innen oder Dramaturg*innen zu werden. Dass ihnen Wege aufgezeigt werden, wie man den Berufswunsch in die Realität umsetzen kann. Dass junge Menschen mit Behinderung Geschichten hören und sehen, in der sie nicht nur als Randfiguren in Erscheinung treten, sondern auch als Held*innen in der Erzählung gefeiert werden. Positive Repräsentationen stärken nicht nur das Selbstbewusstsein, sondern verändern Sehgewohnheiten und festgefahrene Denkstrukturen, die Personen und Gruppen in „Wir“ und „Andere“ einteilen. Auf der anderen Seite werden Minderheitsangehörige in bestimmten Situationen häufig als Repräsentant*innen ihrer zugeschriebenen Gruppe wahrgenommen und nicht als individuelle Personen. Wogegen z.B. Weiße und nicht-behinderte Menschen nicht als Repräsentant*innen aller, sondern viel häufiger als Individuen wahrgenommen werden.
Kannst Du dir sicher sein, dass in den Programmheften und Spielzeitheften, auf Plakaten, Bildern und Postern Darstellungen von Menschen abgebildet sind, die wie Du, keine sichtbare Behinderung haben?
Roma ist sowohl eine Selbstbeschreibung als auch der Oberbegriff einer Gruppe von Menschen, die vor über 1.000 Jahren, vermutlich aus Indien, nach Europa auswanderten. Da sie sich durch verschiedene Sprachen, Religionen und Gewohnheiten voneinander unterscheiden, sprechen Expert*innen häufig von Roma-Gruppen oder Angehörigen der Roma-Minderheiten. Die wohl weitverbreitetste Sprache ist Romanes. Im männlichen Singular spricht man von Rom (Plural: Roma), im weiblichen Singular von Romni (Plural: Romnja). Bis heute verwenden Menschen häufig die diskriminierende Fremdbezeichnung das „Z-Wort“. Bspw. sorgte der Rassismusvorfall in der NDR Fernsehsendung die „Letzte Instanz“(2021) für einen Skandal, der intensiv in der kulturellen Öffentlichkeit diskutiert wurde. In der Sendung wurde der diskriminierende Begriff, das Z-Wort oft genannt. Das blieb von der Moderation jedoch unkommentiert. Angehörige der Roma sind von Rassismus betroffen und erleben Benachteiligung in Form von Ausgrenzung, Beleidigungen und Gewalt. Diese Form der Diskriminierung beschränkt sich nicht nur auf individuelle Haltungen und Handlungen. Sie wird besonders auf der strukturellen und institutionellen Ebene deutlich. Das hat eine lange Geschichte. Bereits im Nationalsozialismus wurden Roma verfolgt und ermordet. Um Roma zu kennzeichnen, tätowierten die Nazis ihnen das Z-Wort auf die Haut. Daraufhin wurden sie in Arbeits- und Konzentrationslager deportiert und ermordet. Das Z-Wort ist ein sehr gewaltvoller diskriminierender Begriff, der u.a. an den Genozid an die Roma-Minderheiten während des Nationalsozialismus erinnert. Aufgrund sozialer Kämpfe und dem Engagement der Überlebenden und ihren Nachkommen, wurde der Völkermord an die Roma erst in den 1980er Jahren offiziell von den Deutschen anerkannt. Zudem erfasste die RomnoKher-Studie 2021, dass 40 Prozent der Befragten von Diskriminierungen ihrer Kinder, auch im Unterricht von Lehrkräften und Mitschüler*innen berichteten. Zwei Drittel aller Befragten fühlen sich selbst wegen ihrer Zugehörigkeit zur Minderheit diskriminiert. Viele Statistiken weisen darauf hin, dass Kinder, die der Zugang zur Bildung verwehrt bleibt auch an der kulturellen Teilhabe gehindert werden.
Schwarze Menschen ist eine Selbstbezeichnung und beschreibt eine von Rassismus betroffene gesellschaftliche Position. Schwarz wird deshalb großgeschrieben, um zu verdeutlichen, dass es sich nicht um eine tatsächliche Beschreibung von Hautfarben handelt, sondern um ein von Menschen erfundenes Ordnungs- und Zugehörigkeitsmodell. So bedeutet Schwarzsein in diesem Kontext nicht einer festen „ethnischen Gruppe“ zugehörig zu sein. Menschen, die sich als Schwarz definieren verbinden die kollektive Erfahrung von Rassismus und Formen der Entmenschlichung und eine bestimmte Art und Weise wahrgenommen zu werden. Um das deutlich zu machen wird Schwarz groß geschrieben.
Auch das hat mit unserer Geschichte zu tun. Im Zuge des Kolonialismus und transatlantischen Sklavenhandels wurde eine Ideologie des Rassismus verbreitet, die Menschen hierarchisiert und kategorisiert. Innerhalb dieses Ordnungssystems wurden Menschen afrikanischer Herkunft als minderwertig bewertet. Weiße Menschen hingegen werteten sich selbst als überlegen auf. Letztere gaben Schwarze Menschen Namen wie das N-Wort oder nannten sie „Farbige“ als Ausdruck einer vermeintlichen Minderwertigkeit und als Abgrenzung zur erdachten „Eigen-Gruppe“. Das N-Wort und der Begriff „Farbige“ sind Fremdbezeichnungen erfunden von Weißen Menschen, um die Weiße Überlegenheit und Herrschaft über Schwarze Menschen zu untermauern. Deshalb raten wir von der Anwendung dieser Begriffe ab, denn es handelt sich um eindeutig rassistische Bezeichnungen. Möchte man Schwarze Menschen beschreiben oder aktiv ansprechen, ist es sinnvoll sich mit den Selbstzeichnungen wie Schwarz oder BIPoC vertraut zu machen, oder die Menschen einfach selbst zu fragen, wie sie gerne genannt werden möchten.
Sexismus ist ein Begriff für alle Formen der Abwertung, Benachteiligung und der Unterdrückung aufgrund der Geschlechtszugehörigkeit. Sexismus ist nicht nur eine Form der Diskriminierung, sondern auch eine Weltanschauung, die vermittelt, dass es zwischen den Geschlechtern ein Ordnungssystem gibt, indem z.B. Männer mehr wert sind als Frauen. Sexismus gibt es nicht nur bei uns, sondern überall auf der Welt. Das hat eine lange Geschichte. Frauen hatten in Deutschland lange weniger Rechte als Männer. Heute haben Frauen und Männer die gleichen politischen und soziale Rechte, trotzdem sind Menschen in ihrem Alltag von Sexismus betroffen. Frauen sind in Positionen, die mit Macht und Status zusammenhängen, z.B. in den Leitungspositionen am Theater unterrepräsentiert. Dafür übernehmen sie überproportional Sorge- und Pflegetätigkeiten (Care-Arbeit), wofür sie i.d.R. schlechter oder gar nicht bezahlt werden. Aus dem Index der geschlechtsspezifischen Ungleichheit der UNDP geht hervor, dass die Lebensqualität von Frauen weltweit schlechter ist, als die der Männer. Von der Diskriminierung sind nicht nur Frauen, sondern auch Lesben, Inter* Personen, nicht-binäre Personen, trans* Personen und agender Personen (FLINTA) betroffen. Eine Folge von Sexismus ist, dass FLINTA häufiger von sexueller Belästigung und Missbrauch betroffen sind als Männer. Der Bundesverband Schauspiel e.V. (BFFS) veranlasste eine Umfrage aus der hervorgeht, dass die auf den Sexismus zurückzuführenden Grenzverletzungen und sexuellen Übergriffe gegenüber Frauen häufig, durch männliche Akteure und Akteur*innen in Machtpositionen ausgeübt werden.
Die Beratungsstelle Themis – Vertrauensstelle gegen sexuelle Belästigung und Gewalt e.V. berät Kulturschaffende aus der Kultur- und Medienbranche, die sexuelle Belästigung erlebt haben. Betroffene können sich an Themis wenden und über das Erlebte sprechen und sich beraten lassen.
Hast Du Angst als „schwierig“ zu gelten oder Sorge Deine Anstellung zu gefährden, wenn Du auf Grenzverletzungen und Sexismus in deinem Theater oder bei einer Produktion hinweist?
„Dein Ton passt mir nicht.“, „Du reagierst mal wieder viel zu emotional.“, „Kannst du aufhören so wütend zu sein und das ein bisschen freundlicher formulieren?“, „Die Diskussion ist mir viel zu unsachlich.“
Das sind Sätze, die Menschen, die auf Unterdrückungs- und Diskriminierungserfahrungen aufmerksam machen häufig zu hören bekommen. Man bezeichnet Tone Policing (dt. Übersetzung: Ton-Kontrolle) als eine Diskussionstaktik, die in Diskussionen über Formen der Unterdrückung und Machtstrukturen immer wieder zum Vorschein tritt. Die Diskussionstaktik zielt darauf ab, dass privilegierte(re) Machtpositionen ihre Macht ausüben, indem sie versuchen zu bestimmen, wie marginalisierte Gruppen über Marginalisierungserfahrungen und das Erleben von willkürlicher Gewalt und Machtmissbrauch sprechen. Gleichzeitig wird von dem rassistischen oder diskriminierenden Vorfall abgelenkt und die Aufmerksamkeit auf die vermeintliche „Emotionalität“ der Betroffenen Person gelenkt, die negativ bewertet wird. Wer laut und emotional argumentiert gilt schnell als befangen und unsachlich. Von Tone Policing betroffen sind häufig vermeintlich aggressiv auftretende Feminist*innen und Schwarze Frauen, weil sich privilegierte Gruppen den wiederkehrenden Stereotypen der „Angry Black Women“, (dt. wütende Schwarze Frau) oder der „männerhassenden Feministin“ bedienen.
Die Diskussionstaktik ermächtigt privilegierte Personen dazu, zu definieren unter welchen Bedingungen Diskussionen über Rassismus, Diskriminierung, Machtmissbrauch und Unterdrückung besprochen werden sollen. Demnach tritt durch Tone Policing eine Abwehrhaltung zum Vorschein, die uns darin hindert unsere eigenen diskriminierenden Denkweisen und Handlungen zu hinterfragen. Dabei ist das Erleben von willkürlicher Gewalt in Form von Machtmissbrauch oder Diskriminierung von der emotionalen Ebene nicht loszulösen. Emotionalität und eine angemessene Diskussion darüber können koexistieren.
Musst du befürchten, dass dir von deinem*deiner Gesprächspartner*in vorgeworfen wird, du reagierest zu emotional, wenn du eine diskriminierende Situation oder einen grenzüberschreitenden Vorfall ansprichst?
Transfeindlichkeit beschreibt die systemisch-strukturelle Gewalt, Diskriminierungs- und Ausgrenzungserfahrungen von trans*Personen. Trans*Personen erfahren auf der individuellen, strukturellen und auch innerhalb von Institutionen Ablehnung. Zum Beispielen werden ihnen von staatlichen Behörden viele Hürden auferlegt, wenn sie ihren Namen ändern wollen, weil sie sich nicht mit dem bei ihrer Geburt zugewiesenen Geschlecht und den Namen identifizieren können und wollen. Außerdem sind trans*Personen überproportional von Gewalt und Hassverbrechen betroffen. Jährlich werden hunderte trans*Personen als vermisst gemeldet oder ermordet. Die Aufklärung und Zuordnung der Verbrechen als Hassverbrechen wird dadurch erschwert, weil trans*Personen in der Polizeistatistik häufig nicht erfasst werden. Der Begriff „Transphobie“ ist irreführend. Das Wort „Phobie“ bedeutet aus dem Lateinischen übersetzt Angst. Die Diskriminierung und Ablehnung die trans*Personen erfahren, ist Ausdruck einer systematischen Feindlichkeit. Das hat u.a. mit heteronormativen Normvorstellungen unser Gesellschaft zu tun.
Trans* ist ein Überbegriff für Personen, die sich nicht oder nur bedingt mit dem bei der Geburt zugewiesenen Geschlecht identifizieren. Es gibt aber weitere Begriffe wie z.B. transgender, Mann bzw. Frau (mit trans* Vergangenheit), nicht-binär, transgeschlechtlich, transident und transsexuell. Die Schreibweise mit dem Gendersternchen wie trans*Personen ist eine Schreibweise, die alle verschiedenen Identitäten wie „mit Transitionserfahrung“ oder Transgender, nicht-binär miteinschließt. Der Begriff „transsexuell“ wird als Selbstbeschreibung von einigen trans*Personen stark abgelehnt, weil es sich um einen aus der Medizin entwickelten Begriff zur Beschreibung eines vermeintlichen „krankhaften“ Verhaltens handelt. Außerdem handelt es sich bei trans* um keine Beschreibung einer Sexualität sondern der einer geschlechtlichen Identität. Grundsätzlich ist es wichtig, Menschen nach der eigenen Selbstbezeichnung zu fragen und diese zu respektieren.
Wenn Menschen, Gruppen oder eine Gesellschaft gezielter Willkür, Gewalt und Machtmissbrauch ausgesetzt sind, bezeichnet man das als Unterdrückung. Unterdrückung kann gezielt durch den missbräuchlichen Einsatz von Institutionen wie z.B. der Polizei oder einer Regierung, aber auch durch den Mitteln, die einer Person individuell zur Verfügung stehen, ausgehen. Zum Beispiel können Dozierende für Darstellende Künste Sexismus oder andere Diskriminierungsformen in einem größeren Umfang verinnerlicht haben und basierend auf ihr Glaubens- und Wertesystem, Studentinnen ungerechtfertigt schlechter bewerten, weil sie Frauen sind. In diesem Fall liegt eine Unterdrückung vor, weil der oder die Dozierende sich in einer machtvollen Position befindet und die Leistung seiner Studentinnen bewerten kann. Unterdrückung geschieht nicht eigenständig und ist mit der Ausübung der Tat nicht vollständig umgesetzt. Um Unterdrückung zu rechtfertigen wird im Vorfeld, Aggressionen und Vorurteile gegenüber einer Person oder einer Gruppe aufgebaut. Häufig werden Unterdrückte schlecht gemacht, beleidigt und müssen als Sündenböcke hinhalten. Danach wird bewusst oder unbewusst die Annahme, dass eine bestimmte Gruppe oder eine Person minderwertig oder rechtlos ist, übernommen. Den betroffenen Personen oder Gruppen wird folglich jegliches Mitgefühl abgesprochen. Zudem können Personen oder Gruppen einfacher unterdrückt werden, wenn ihnen der Zusammenhalt der Gruppe oder Gesellschaft fehlt.
Welche Folgen kann es für Dich haben, wenn Du eine Situation z.B. in der Probe beobachtest, in der eine Person aus dem Ensemble diskriminiert wird und Du diesen Vorfall in der Gruppe ansprichst?
Diversität bedeutet die Vielfalt von Menschen und deren Lebensentwürfen. Sie zielt auf die Anerkennung und Wertschätzung aller Menschen unabhängig von ihrem Geschlecht, ihrer sozialen Herkunft, ihrer ethnischen Herkunft, ihrer Hautfarbe, ihrer sexuellen Orientierung, ihrer Religion oder Weltanschauung, ihrem Alter, ihren körperlichen oder geistigen Fähigkeiten, ihrer Körper oder anderer Merkmale. Die genannten Merkmale sind Teile der Identität eines Menschen, die man nicht einfach ablegen oder verändern kann. Man spricht deshalb auch von identitätsstiftenden Merkmalen. Es geht darum Menschen mit ihren Unterschieden und vielfältigen Lebensentwürfen anzuerkennen und wertzuschätzen. Dieser Ansatz entspringt aus einer Notwendigkeit heraus, da Menschen hinsichtlich der oben aufgezählten Identitätsmerkmale kategorisiert, ungleich behandelt und bewertet werden, z.B. ärmere und reiche Menschen, Menschen mit Behinderung und ohne Behinderung, jüngere und ältere Menschen. Das erschwert das Miteinander, befördert Diskriminierung und hierarchische Beziehungen. Ob und wie viel Macht eine Person hat, ist abhängig von der tatsächlichen oder vermeintlichen Zugehörigkeit zu einer Gruppe. Um auch Vielfalt (Diversität) als Praxis umzusetzen, müssen wir bestehende Machtpositionen und welche Position wir in unserer Gesellschaft einnehmen, reflektieren können.
Weiß und Weißsein bezeichnen ebenso wie Schwarzsein keine biologische Eigenschaft. Es handelt sich auch um kein Modell zur Beschreibung von Hautfarben. Somit ist Weiß ein gesellschaftspolitisches und von Menschen entwickeltes Ordnungs- und Zugehörigkeitsmerkmal. Um das deutlich zu machen, plädieren Expert*innen auf diesem Gebiet, die Zuschreibungen Schwarz und Weiß groß zu schreiben. Eine alternative Schreibweise ist „weiß“ klein und kursiv zu schreiben.
Mit Weißsein ist die dominante und privilegierte Position innerhalb einer Gesellschaft gemeint, wo es Rassismus gibt und die sonst zumeist unausgesprochen und unbenannt bleibt. Weißsein umfasst ein bewusstes oder unbewusstes Selbst- und Identitätskonzept, das Weiße Menschen in ihrer Selbstsicht und ihrem Verhalten prägt.
Eine kritische Reflexion von Weißsein besteht im Perspektivwechsel auf diejenigen Institutionen, Strukturen, Gruppen und Personen, die rassistisch sind und davon profitieren. Die kritische Weißseins Forschung (Critical Whiteness Studies) etablierte sich in den 1980er Jahren als Paradigmenwechsel in der englischsprachigen Rassismusforschung. Anstoß hierfür waren die politischen Kämpfe und die Kritik von People of Color.
Wann wurde Dir zum ersten Mal bewusst, dass Du Weiß bist?
Weiße Fragilität (in engl. White Fragility) beschreibt (Abwehr-)Reaktionen von Weißen Menschen, die mit ihren eigenen rassistischen Aussagen, Denkmuster oder Handlungen konfrontiert werden. Sie reagieren häufig defensiv, versuchen sich zu verteidigen, ihre Handlung oder Aussage zu rechtfertigen oder brechen gar in Tränen aus. Begleitet wird die Reaktion von einem Gefühl von Scharm, Wut, Angst oder Schuld. Dieses Verhalten führt dazu, dass der Fokus nicht mehr auf der verletzenden Tat oder der Aussage liegt, die an die betroffene Person oder Gruppe gerichtet wurde, sondern sich auf die Person verschiebt, die rassistisch gehandelt hat. Weiße Fragilität ist wirkmächtig, weil sie eine (selbst-)kritische Auseinandersetzung mit Rassismus und den damit verbundenen Privilegien, die mit der sozialen Verortung von Weißsein einhergehen, verhindert. Durch diese Verhaltensweise werden die historisch gewachsene soziale Rangordnung zwischen Weißsein, jüdisch-sein, People of Color und Schwarzen Menschen wiederhergestellt und aufrechterhalten. Es gibt Weiße Menschen, die sich rassistisch behandelt fühlen sobald sie auf ihr Weißsein angesprochen werden. Weiße Menschen können Diskriminierungserfahrungen ausgesetzt sein, aber niemals selbst Rassismus erleben. Rassismus ist ein von Weißen Menschen erfundenes Ordnungssystem, um ihre Macht- und Herrschaftsansprüche zu rechtfertigen. Weiße Fragilität ist eine Haltung, die das Kinder- und Jungendtheater in der Auseinandersetzung mit Rassismus zurückwirft. Indem Weiße Fragilität eingesetzt wird, genießen Weiße Theatermacher*innen Sicherheit und Schutz sich nicht für ihr Verhalten verantworten zu müssen. Sie erzeugen somit eine Atmosphäre, die einen offenen Dialog über Rassismus im Kinder- und Jugendtheater erschwert. Dadurch werden ungleiche Machtverhältnisse verstetigt und Rassismus als ein System, das unsere Gesellschaft strukturiert und durch kulturelle Praktiken ausgeübt wird, verleugnet.
Weiterführende Literatur: Robin J. DiAngelo (2020): Wir müssen über Rassismus sprechen – Was es bedeutet, in unserer Gesellschaft weiß zu sein.
Das Wort Xenophobie kommt ursprünglich aus dem Griechischen und heißt ins Deutsche übersetzt „Angst vor dem Fremden“ („xénos“ (fremd) und „phobie“ (Angst)). Xenophobie meint Fremdenfeindlichkeit und beschreibt die Ablehnung und den Hass gegenüber Menschen, die als fremd oder andersartig wahrgenommen werden. Diese ablehnende Haltung ist häufig an Ausländer*innen gerichtet und fester Bestandteil von nationalistischen, rechtsextremistischen und rechtspopulistischen Gesinnungen. Dennoch ist Fremdenfeindlichkeit nicht mit Rassismus gleichzusetzen. Denn Rassismus richtet sich auch an Menschen, die gar nicht fremd sind wie z.B. Afro-Deutsche. Hierbei ist das Merkmal Hautfarbe, das zentrale Bezugsmerkmal der rassistischen Anfeindung und nicht das Merkmal Staatsangehörigkeit. Daher ist es wichtig, jeweils den Zusammenhang zu kennen, in dem von Xenophobie die Rede ist. Fremdenfeindlichkeit ist keine Ideologie, die mit einer jahrhundertelangen Geschichte verwoben ist. Vielmehr ist Fremdenfeindlichkeit, ein Gefühlszustand, der auf Vorurteilen und unbegründete Verallgemeinerungen gegenüber „Fremden“ basiert. Von Xenophobie betroffen können auch Weiße queere Menschen, Menschen mit Behinderung oder auch Obdachlose sein. Die Ablehnung und Ausgrenzung der Betroffenen basiert auf ein selbst hergestelltes Selbst- und Fremdbild. Menschen die von der gesellschaftlichen Norm abweichen, werden als Bedrohung für den gegenwärtigen Status wahrgenommen und demzufolge gefürchtet.
Der Begriff Zugänglichkeit wird aus dem englischen Begriff „Accessibility“ abgeleitet und bezieht sich auf das Thema Barrierefreiheit in Hinblick auf die barrierefreie Gestaltung von räumlichen und physischen Elementen. Nicht alle Menschen haben gleichermaßen Zugang zu öffentlichen Gebäuden wie z.B. Theater. Physische Barrieren tragen dazu bei, dass nicht alle, insbesondere behinderte Menschen, die Teilhabe an der Gesellschaft, Kunst und kulturellen Angeboten erschwert wird. Folglich werden sie häufig von öffentlichen Räumen ausgeschlossen. Nicht als vollwertiger Teil am gesellschaftlichen Leben teilhaben zu können, ist kein schönes Gefühl. Behinderte Menschen leben oft isoliert. Es gibt kaum Räume wo sich behinderte Menschen und nicht-behinderte Menschen begegnen. Beim Konzept der Zugänglichkeit geht es ähnlich wie bei Inklusion darum, dass behinderte Menschen ihr Leben nicht mehr an die gegenwärtigen Strukturen anpassen müssen. Es geht darum, dass wir als Gesellschaft (barrierefreie) Strukturen schaffen, die es allen Menschen, d.h. auch behinderten Menschen ermöglichen am kulturellen Leben teilhaben zu können. Auch als Theater für junges Publikum müssen wir uns darüber Gedanken machen, wie auf kollektive aber z.T. auch individuelle Bedarfe von behinderten Menschen in der Gestaltung von Spielzeiten, Proben oder Festivals eingegangen werden kann und diese schließlich umgesetzt werden können. Zugänglichkeit bezieht sich nicht nur auf physische Elemente, sondern auch auf Themen wie bspw. die Nutzung des Internets. Zum Beispiel sollten Informationen auf Webseiten barrierefrei oder barrierearm gestaltet sein, sodass sie problemlos mit der Tastatur gesteuert und von Screen-Readern gelesen werden können.
„When we do inclusion, we invite everyone to the party. When we do accessibility (Zugänglichkeit), we make sure, that everyone can dance too.” – Nikki Wildin (Graeae)